OBG 6 Abs. 1
„Übertretungen“ der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes können nach dem Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 (OBG; SR 741.03) in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen bis zu Fr. 300.– geahndet werden (Ordnungsbussenverfahren; Art. 1 Abs. 1 und 2 OBG).
Das Ordnungsbussenverfahren ist, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind, obligatorisch anzuwenden.
Die Fälle, in denen eine dem Ordnungsbussenrecht unterstehende Übertretung ausnahmsweise im ordentlichen Verfahren zu ahnden ist, werden durch Gesetz und Verordnung abschliessend geregelt.
Das Ordnungsbussengesetz
- dispensiert von der Anwendung der Strafzumessungsgrundsätze des Strafgesetzbuchs ( 1 Abs. 3 OBG)
- Unberücksichtigt bleiben:
- Vorleben
- persönliche Verhältnisse des Täters
- regelt auch wenige rein verfahrensrechtliche Fragen der vereinfachten Ahndung von Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften
- Unberücksichtigt bleiben:
Beim Ordnungsbussenverfahren handelt es sich um ein formalisiertes und rasches Verfahren:
- mit schematisch für die gleichen Verstösse für alle schuldhaft handelnden Täter
- mit gleichen Bussen und Vollzugsmodalitäten
- für eine rasche und definitive Erledigung der im Strassenverkehr massenhaft vorkommenden Übertretungen mit Bagatellcharakter
- mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand
Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bleibe auch das nach dem OBG abgewickelte Sonderverfahren für die in der Bussenliste abschliessend umschriebenen Verkehrsübertretungen ein Strafverfahren.
An der Natur des Verfahrens habe sich nichts geändert. Ordnungsbussen seien trotz ihrer Abhängigkeit von der Zustimmung des Täters echte Strafen.
Es würden – abgesehen davon, dass Vorleben und persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden – die Grundsätze des Strafrechts gelten.
Ist den Behörden nichtbekannt, wer die Übertretung begangen hat, wird die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt (vgl. OBG 6 Abs. 1).
Ein Fahrzeughalter akzeptierte die ihm im Ordnungsbussenverfahren auferlegte Busse nicht und stellte sich im ordentlichen Strafverfahren auf den Standpunkt, die ihm zur Last gelegte Halterhaftung verletze rechtsstaatliche Garantien:
- Die Strafprozessordnung (StPO) kenne keine Halterhaftung
- Die StPO stelle nur auf den Verschuldensgrundsatz und die Unschuldsvermutung ab.
Das Bundesgericht erwog nun, dass sich der Geltungsbereich des Ordnungsbussengesetzes nicht auf das Ordnungsbussenverfahren beschränke, sondern auch in einem nachgelagerten ordentlichen Strafverfahren angerufen werden könne.
Im Übrigen habe der Fahrzeughalter nicht aufgezeigt und es sei auch nicht ersichtlich, weshalb die Nennung des Fahrzeuglenkers für ihn konkret unzumutbar oder objektiv unmöglich gewesen sein soll, selbst wenn er geltend gemacht habe, auf der Fotodokumentation habe er nicht erkennen können, wer das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt gelenkt habe.
Quelle
BGer 6B_722/2019 vom 23.01.2020