StPO 141 Abs. 2; DSG 12 und 13; SVG 90 – in strafbarer Weise erlangter Beweis (Präzisierung der Rechtsprechung)
Einleitung
Das Bundesgericht (BGer) hat wiederholt zur Bildaufzeichnung Privater von allenfalls strafbaren Vorgängen im Strassenverkehr urteilen müssen.
Dabei hat das BGer «privatpolizeilichen» Ambitionen eine Absage erteilt und an seiner am Datenschutz angeknüpften Rechtsprechung stets festgehalten (vgl. hiezu 6B_1288/2019 vom 21.12.2020).
Anlass zu diesem Beitrag bildet:
BGer 6B_1282/2019 vom 13.11.2020 = BGE 147 IV 16 ff.
Sphärenbetrachtung bei der Aufzeichnung
Ein Verkehrsteilnehmer befindet sich grundsätzlich freiwillig im öffentlichen Raum und setzt sich damit der Beobachtung anderer Verkehrsteilnehmer aus.
Solche Aufnahmen in diesem Bereich beschlagen lediglich die Sozialsphäre, nicht aber die weiteren Sphären, nämlich:
- Privatsphäre
- Geheimsphäre.
Diese Differenzierung ist bei der Frage nach der Verwertbarkeit von Dashcam- bzw. GoPro-Kamera-Aufzeichnungen von Belang.
Rechtswidrig erlangte Beweise
Beweise, welche in Verletzung des Datenschutzgesetzes (DSG) oder des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) erlangt wurden, können als in strafbarer Weise erlangte Beweise qualifiziert werden.
Nichtverwertbarkeit mit Rechtfertigungsvorbehalt
Gemäss StPO 142 Abs. 2 dürfen Beweise, welche die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
Gemäss StPO-Wortlaut ist eine Beweismittelverwendung also dann zulässig, wenn sie zur Aufklärung schwerer Straftaten notwendig ist.
Art. 141 StPO Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise
1 Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
2 Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
3 Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.
4 Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre.
5 Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.
Rechtswidrigkeit eines unter Verletzung des DSG erlangten Beweises
Die nicht erkennbaren und durch eine am Fahrzeug angebrachte GoPro-Kamera getätigten Aufzeichnungen dessen, was auf einer öffentlichen Strasse in deren Aufnahmebereich gelangt, wird derzeit als Persönlichkeitsverletzung im Sinne von DSG 4 Abs. 4 und 12 Abs. 2 lit. a qualifiziert.
Neuere bzw. intelligentere Dashcams können den Datenschutz gewährleisten, durch:
- Technik (privacy by design)
- datenschutzfreundliche Voreinstellungen (privacy by default).
Ob diese Entwicklung unter nDSG 7 (Inkrafttreten 2022) zu einer Anpassung der aktuell strengen Rechtsprechung führen wird, muss sich weisen.
Art. 4 DSG Grundsätze
1 Personendaten dürfen nur rechtmässig bearbeitet werden.
2 Ihre Bearbeitung hat nach Treu und Glauben zu erfolgen und muss verhältnismässig sein.
3 Personendaten dürfen nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist.
4 Die Beschaffung von Personendaten und insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung müssen für die betroffene Person erkennbar sein.
5 Ist für die Bearbeitung von Personendaten die Einwilligung der betroffenen Person erforderlich, so ist diese Einwilligung erst gültig, wenn sie nach angemessener Information freiwillig erfolgt. Bei der Bearbeitung von besonders schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeitsprofilen muss die Einwilligung zudem ausdrücklich erfolgen.
Art. 12 DSG Persönlichkeitsverletzungen
1 Wer Personendaten bearbeitet, darf dabei die Persönlichkeit der betroffenen Personen nicht widerrechtlich verletzen.
2 Er darf insbesondere nicht:
a. Personendaten entgegen den Grundsätzen der Artikel 4, 5 Absatz 1 und 7 Absatz 1 bearbeiten;
b. ohne Rechtfertigungsgrund Daten einer Person gegen deren ausdrücklichen Willen bearbeiten;
c. ohne Rechtfertigungsgrund besonders schützenswerte Personendaten oder Persönlichkeitsprofile Dritten bekanntgeben.19
3 In der Regel liegt keine Persönlichkeitsverletzung vor, wenn die betroffene Person die Daten allgemein zugänglich gemacht und eine Bearbeitung nicht ausdrücklich untersagt hat.
Art. 5 DSG Richtigkeit der Daten
1 Wer Personendaten bearbeitet, hat sich über deren Richtigkeit zu vergewissern. Er hat alle angemessenen Massnahmen zu treffen, damit die Daten berichtigt oder vernichtet werden, die im Hinblick auf den Zweck ihrer Beschaffung oder Bearbeitung unrichtig oder unvollständig sind.
2 Jede betroffene Person kann verlangen, dass unrichtige Daten berichtigt werden.
Art. 7 Datensicherheit
1 Personendaten müssen durch angemessene technische und organisatorische Massnahmen gegen unbefugtes Bearbeiten geschützt werden.
2 Der Bundesrat erlässt nähere Bestimmungen über die Mindestanforderungen an die Datensicherheit.
Rechtswidrigkeit eines unter Verletzung des SVG erlangten Beweises
In Präzisierung der Rechtsprechung (von BGE 146 IV 226) lässt das BGer nun in 6B_1282/2019 auch Rechtfertigungsgründe zu den unter Verletzung des SVG erlangten Beweisen beschränkt zu, nämlich:
- Rechtfertigungsgründe, welche die Rechtswidrigkeit eines Beweises aufheben, insbesondere betreffend die Aufzeichnung einer Verletzung des SVG durch eine an einem Fahrzeug befestigte Dashcam.
Die Zulassung solcher Rechtfertigungsgründe bewirkt das Erfordernis einer Prüfungskaskade.
Kaskadenweise Prüfung der Rechtfertigungsgründe
Eine allfällige Rechtfertigung ist in zwei Schritten zu prüfen:
- Wurde ein Beweis von einer Privatperson unter Verletzung der im DSG statuierten Grundsätze erlangt,
- ist in einem ersten Schritt zu prüfen,
- ob Rechtfertigungsgründe im Sinne von DSG 13 vorliegen.
- Gilt die Rechtswidrigkeit der Persönlichkeitsverletzung durch einen Rechtfertigungsgrund nach DSG 13als aufgehoben,
- ist der Beweis uneingeschränkt verwertbar.
- ist in einem ersten Schritt zu prüfen,
- Liegt kein Rechtfertigungsgrund nach DSG 13vor und ist der Beweis als rechtswidrig erlangt zu qualifizieren,
- sind in einem zweiten Schritt die im Strafverfahren geltenden Voraussetzungen für die Verwertbarkeit im Sinne von StPO 141 Abs. 2 zu prüfen.
Art. 13 DSG Rechtfertigungsgründe
1 Eine Verletzung der Persönlichkeit ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
2 Ein überwiegendes Interesse der bearbeitenden Person fällt insbesondere in Betracht, wenn diese:
a. in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Abwicklung eines Vertrags Personendaten über ihren Vertragspartner bearbeitet;
b. mit einer anderen Person in wirtschaftlichem Wettbewerb steht oder treten will und zu diesem Zweck Personendaten bearbeitet, ohne diese Dritten bekannt zu geben;
c. zur Prüfung der Kreditwürdigkeit einer anderen Person weder besonders schützenswerte Personendaten noch Persönlichkeitsprofile bearbeitet und Dritten nur Daten bekannt gibt, die sie für den Abschluss oder die Abwicklung eines Vertrages mit der betroffenen Person benötigen;
d. beruflich Personendaten ausschliesslich für die Veröffentlichung im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums bearbeitet;
e. Personendaten zu nicht personenbezogenen Zwecken insbesondere in der Forschung, Planung und Statistik bearbeitet und die Ergebnisse so veröffentlicht, dass die betroffenen Personen nicht bestimmbar sind;
f. Daten über eine Person des öffentlichen Lebens sammelt, sofern sich die Daten auf das Wirken dieser Person in der Öffentlichkeit beziehen.
Art. 141 StPO Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise
1 Beweise, die in Verletzung von Artikel 140 erhoben wurden, sind in keinem Falle verwertbar. Dasselbe gilt, wenn dieses Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet.
2 Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
3 Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.
4 Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 2 nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre.
5 Die Aufzeichnungen über unverwertbare Beweise werden aus den Strafakten entfernt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unter separatem Verschluss gehalten und danach vernichtet.
«Schwere Straftaten“ im Sinne von StPO 141 Abs. 2 als Rechtfertigungsgrund
Bei qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen gemäss SVG 90 Abs. 3 und der Gefährdung des Lebens nach StGB 129 handelt es sich um „Verbrechenstatbestände“.
Im eingangs erwähnten Falle 6B_1282/2019 hat nun das BGer die Voraussetzungen für die Annahme einer „schweren Straftat“ im Sinne von StPO 141 Abs. 2 bejaht (vgl. auch BGer 6B_1304/2019 vom 17.08.2020, Erw. 1.4).
Art. 90 SVG
1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3 Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
4 Absatz 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um:
a. mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b. mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c. mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d. mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.
5 Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches findet in diesen Fällen keine Anwendung.
Art. 129 StGB
Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Weiterführende Informationen
Quelle
LawMedia Redaktionsteam