BGFA 12 lit. c, BGFA 14 und BGFA 16 Abs. 1
Die Anwaltsaufsichtskommission jenes Kantons, in welchem die das Einschreiten auslösende Tätigkeit stattgefunden hat, ist auch für die Disziplinierung eines ausserkantonalen Rechtsanwalts zuständig.
Für die Beurteilung, ob eine Doppelvertretung mit konkretem Interessekonfliktrisiko besteht, sind sämtliche Geschäftsvorfälle im gleichen Sachzusammenhang, auch ausserkantonale, massgebend.
Sachverhalt
Die Anwaltskommission des Kantons Obwalden auferlegte am 17. Juni 2019 Rechtsanwalt A.________, Goldach/SG, wegen mehrfachen Verstosses gegen Art. 12 lit. c des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA; SR 935.61) eine Busse von Fr. 10’000.–.
Zur Begründung führte die Anwaltskommission im Wesentlichen aus, A.________ habe in verschiedenen Verfahren sowohl die B.________ AG bzw. die C.________ AG als auch A.D.________, Delegierten des Verwaltungsrates der B.________ AG, vertreten. Damit habe er eine unzulässige Doppelvertretung wahrgenommen.
Detail-Sachverhalt zu den Verstössen
Erw. 3.
„Sachverhaltlich ergibt sich aus dem vorinstanzlichen Urteil und aus den Akten (Art. 105 Abs. 2 BGG) Folgendes:
3.1. Erstens: Am 22. März 2013 reichte E.________ bei der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl eine Strafanzeige ein gegen die zuständigen Organe der B.________ AG (d.h. A.D.________ und F.________) wegen Missbrauch von Lohnabzügen zulasten von ihr. In diesem Verfahren vertrat der Beschwerdeführer sowohl die B.________ AG als auch A.D.________, letzteren sowohl vor der Kantonspolizei Zürich als auch der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl. Mit Verfügung vom 21. März 2016 stellte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl die Strafverfahren gegen die Beschuldigten B.________ AG bzw. deren Organe F.________ und A.D.________ gestützt auf Art. 53 StPO ein, da die B.________ AG in der Zwischenzeit sämtliche Ausstände, insbesondere jene der Geschädigten, beglichen hatte und weder private noch öffentliche Interessen einer Einstellung der Verfahren entgegen standen. Wegen des Verhaltens des Beschwerdeführers im Kanton Zürich disziplinierte der St. Galler Anwaltsverband (am 29. November 2016) und in der Folge dessen Disziplinarrekurskommission (am 18. Juli 2017) diesen nach Art. 17 BGFA wegen einer Verletzung von Art. 12 lit. c BGFA. Der Entscheid ist rechtskräftig.
3.2. Zweitens: Am 10. Oktober 2013 reichte F.________ eine arbeitsrechtliche Forderungsklage beim Kantonsgericht Obwalden gegen die B.________ AG ein. Der Beschwerdeführer hat sich in diesem Zivilverfahren als Vertreter der B.________ AG konstituiert. Diese sollte zur Zahlung von Fr. 1’872’767.– sowie zur Übertragung von 50 Aktien der C.________ AG verpflichtet werden. Die B.________ AG bestritt den Anspruch unter anderem damit, die fristlose Kündigung von F.________ sei zu Recht erfolgt, da dieser vom Geschäftskonto eine Zahlung von Fr. 51’598.45 für private Zwecke ausgelöst habe. Diese Beschuldigung hatte der Beschwerdeführer bereits in dem von der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl gegen die B.________ AG und deren Organe geführten Strafverfahren (oben E. 3.1) vorgebracht, um A.D.________ und die B.________ AG zu entlasten. F.________ bestreitet nicht, die Zahlung für private Zwecke ausgelöst zu haben. Die Zahlung sei aber – im Sinne einer Bonuszahlung – von A.D.________ genehmigt und die Verbuchung als geschäftsmässiger Aufwand der B.________ AG von A.D.________ angeordnet worden. Im Berufungsverfahren vor dem Obergericht des Kantons Obwalden hat das Obergericht dem Beschwerdeführer untersagt, wegen Interessenkollision zwischen A.D.________ und der B.________ AG diese im obergerichtlichen Verfahren zu vertreten (vgl. zur Durchsetzung des Verbots von Interessenkollisionen im Prozess WALTER FELLMANN/YVONNE BURGER, Das Verbot von Interessenkollisionen und seine Durchsetzung im Prozess, Anwaltsrevue 2020, S. 14 ff.). Die Zwischenverfügung des Obergerichts ist rechtskräftig und bildet Anlass für das vorliegende Verfahren. Im Hauptverfahren obsiegte F.________. Die B.________ AG wurde u.a. verpflichtet, diesem ein sehr gutes Arbeitszeugnis auszustellen und diesem Fr. 1’379’829.– nebst Zins zu bezahlen (vgl. letztinstanzlich: Urteil des Bundesgerichts 4A_291/2018 vom 10. Januar 2019).
3.3. Drittens: Am 10. Oktober 2014 reichte der Beschwerdeführer namens der B.________ AG bei der Staatsanwaltschaft Obwalden Straf- und Zivilanzeige gegen F.________ ein und beschuldigt diesen, die B.________ AG geschädigt zu haben, indem er vom Geschäftskonto eine Zahlung von Fr. 51’598.45 für private Zwecke ausgelöst habe. In der Strafanzeige wird unter anderem ausgeführt, F.________ habe ausdrücklich anerkannt, dass es sich bei der Zahlung um eine geschäftsfremde Zahlung gehandelt habe. Im Verfahren machte F.________ allerdings geltend, die Summe vom Delegierten des Verwaltungsrates der B.________ AG, A.D.________, als Bonus erhalten zu haben. Die B.________ AG ihrerseits lässt dazu ausführen, dass sie zu keinem Zeitpunkt eine besondere Lohnzahlung bzw. einen Bonus in Höhe von Fr. 51’598.45 bewilligt bzw. beschlossen habe. Auch könne sich A.D.________, als Delegierter des Verwaltungsrates der B.________ AG, nicht erinnern, jemals von F.________ über eine geschäftsfremde Verwendung der fraglichen Summe für dessen privaten Zweck orientiert worden zu sein oder dieser sogar zugestimmt zu haben. Zudem seien die Ausführung der verdeckten Zahlung für geschäftsfremde Zwecke als auch die Verbuchung als geschäftseigener Aufwand, unabhängig von einer behaupteten Kenntnis und Zustimmung von A.D.________, widerrechtlich und strafbar.
3.4. Viertens: Der Beschwerdeführer als Vertreter der C.________ AG hat am 24. Juni 2016 bei der Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden am 24. Juni 2016 Strafanzeige gegen F.________ eingereicht und diesen des Betruges und der Urkundenfälschung beschuldigt. Insbesondere habe dieser sich zum Nachteil der B.________ AG bereichert, welche eine Tochtergesellschaft der C.________ AG sei. Damit habe er auch die C.________ AG und deren Aktionäre geschädigt. Zudem habe F.________, indem er in einem Verfahren vor dem Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden ein unechtes Aktienbuch vorgelegt habe, versucht, unrechtmässig als Eigentümer der Namensaktien Nr. 1829 und Nr. 0311 – 0320 ins Aktienbuch der C.________ AG eingetragen zu werden. Die Aktie Nr. 1829 sei F.________ von A.D.________ nicht zu Eigentum, sondern nur zu Besitz übertragen worden, damit dieser A.D.________ an der Generalversammlung vertreten könne. Die weiteren Aktien Nr. 0311 – 0320 seien mit Kaufvertrag vom 22. September 2008 an B.D.________ übertragen worden und diese habe die Aktien nicht weiterveräussert und auch nicht an F.________ übertragen. Das Verfahren wurde mit Verfügung vom 1. September 2016 von der Staatsanwaltschaft Obwalden übernommen.“
Prozess-History
-
Verwaltungsgericht Obwalden
- A.________ erhob das Rechtsmittel gegen den Entscheid der Anwaltskommission des Kantons Obwalden Beschwerde beim Verwaltungsgericht Obwalden (VGer OW).
- Das VGer OW hiess die Beschwerde teilweise gut und reduzierte die Busse wegen mehrfachen Verstosses gegen Art. 12 lit. c BGFA auf Fr. 8’000.–.
-
Bundesgericht
- Vor Bundesgericht beantragt A.________, den Entscheid des VGer OW vom 26.10.2020 aufzuheben.
Erwägungen
Aus dem dargestellten Sachverhalt ergibt sich laut Bundesgericht (BGer), dass ein konkretes Risiko eines Interessenkonflikts vorliegt:
Der Beschwerdeführer hat zeitgleich vertreten:
- Im Strafverfahren vor der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, vor der Staatsanwaltschaft Obwalden und im Zivilverfahren vor den Gerichten Obwalden die B.________ AG;
- im Strafverfahren vor der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl zusätzlich noch A.D.________;
In allen Verfahren stand der Vorwurf im Raum, A.D.________ könnte durch seine Handlungen die B.________ AG geschädigt haben.
Da der Beschwerdeführer zeitgleich die B.________ AG vor der Staatsanwaltschaft Obwalden und den Gerichten des Kantons Obwalden sowie im Kanton Zürich zudem auch A.D.________ in einem Strafverfahren vertreten hat, befand er sich mit seinem Doppelmandat in den Verfahren im Kanton Obwalden in einem Interessenkonflikt:
- Dieser Konflikt war dem angezeigten Anwalt auch bewusst, hat er doch in der am 10. Oktober 2014 erhobenen Strafanzeige gegen F.________ selbst darauf hingewiesen, dass die Ausführung der verdeckten Zahlung für geschäftsfremde Zwecke, unabhängig von der Zustimmung des Delegierten des Verwaltungsrates, widerrechtlich und strafbar sei.
- Mit einer möglichen Zustimmung durch A.D.________ würde aber auch dieser als möglicher Schädiger der B.________ AG in den Fokus der Behörden gelangen.
Insofern konnte der Beschwerdeführer vor den Behörden des Kanton Obwalden die Interessen der B.________ AG nicht ohne Konflikt mit den Interessen von A.D.________ vertreten, was auch das Obergericht mit Verfügung vom 13. Juni 2017 im arbeitsrechtlichen Zivilverfahren festhielt und dem Beschwerdeführer untersagte, die B.________ AG weiterhin zu vertreten.
Dieser Interessenkonflikt gilt auch für das vom Kanton Obwalden übernommene Verfahren aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden (1. September 2016):
In diesem Verfahren hat der Beschwerdeführer
- vertreten
- die C.________ AG (Muttergesellschaft der B.________ AG) und
- in dieser Eigenschaft am 24. Juni 2016 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Appenzell Ausserrhoden gegen F.________ eingereicht, wegen
- Betrugs;
- Urkundenfälschung;
- Bereicherung zum Nachteil der B.________ AG;
- Vorweisen eines unechten Aktienbuchs;
- unrechtmässige Eintragung als Eigentümer von Namensaktien ins Aktienbuch der C.________ AG.
Auch in diesem Verfahren bestreitet F.________ sämtliche ihm zu Last gelegten Straftaten und führt aus, A.D.________ habe ihm die Aktien im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses übertragen sowie die Zahlung von Fr. 51’598.45 für seine guten Verdienste für die B.________ AG genehmigt. Auch hier bestand somit die konkrete Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft Obwalden gegen A.D.________ ermitteln würde.
Die Interessen von A.D.________ sind somit gegenläufig zu den ihrerseits gleichgerichteten Interessen der B.________ AG und der C.________ AG:
- Auch hier befand sich der Beschwerdeführer in einem Interessenkonflikt und konnte sich nicht uneingeschränkt für die Interessen der B.________ AG und der C.________ AG, als Geschädigte einsetzen, ohne konkrete Gefahr zu laufen, die Interessen von A.D.________ zu verletzen.
- Dies musste ihm bewusst sein, wenn er am 10. Juli 2017 ausgeführt hatte, «unabhängig der vom Beschuldigten behaupteten Anstiftung durch den Delegierten des Verwaltungsrates der Privatklägerin hat der Beschuldigte durch seine Handlungsweise die Straftatbestände der Veruntreuung nach Art. 138 StGB und der Urkundenfälschung nach Art. 251 StGB erfüllt, welche beide von Amtes wegen zu verfolgen sind.»
Würdigung des Bundesgerichts:
Indem der Beschwerdeführer im Kanton Obwalden die B.________ AG bzw. die C.________ AG und (gleichzeitig) auch A.D.________ in dem zum gleichen Sachzusammenhang gehörenden Verfahren vor der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl vertrat und – wie dargelegt – ein konkretes Risiko eines Interessenkonflikts gegeben war, hat der Beschwerdeführer Art. 12 lit. c BGFA verletzt.
Entscheid
- Die Beschwerde wird abgewiesen.
- Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 2’000.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden schriftlich mitgeteilt.
BGer 2C_999/2020 vom 08.12.2021
Anmerkung der Redaktion
Die Versuchung ist immer wieder gross, sowohl Gesellschaft wie Organ zu vertreten. Anwälte wollen nicht das Organ als ihre Mandatsquelle verlieren und den Klienten einem Konkurrenten überlassen, obwohl ebengerade dies ein auftrags- und standeskonformes Verhalten verlangt.
Das strikte Auseinanderhalten der Interessen der Gesellschaft und des Organs ist notwendig und geht den Beziehungs- und anderen Interessen des Anwalts eindeutig vor.
Weiterführende Informationen
Quelle
LawMedia Redaktionsteam
Art. 12 BGFA Berufsregeln
Für Anwältinnen und Anwälte gelten folgende Berufsregeln:
- Sie üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus.
- Sie üben ihren Beruf unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung aus.
- Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen.
- Sie können Werbung machen, solange diese objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht.
- Sie dürfen vor Beendigung eines Rechtsstreits mit der Klientin oder dem Klienten keine Vereinbarung über die Beteiligung am Prozessgewinn als Ersatz für das Honorar abschliessen; sie dürfen sich auch nicht dazu verpflichten, im Falle eines ungünstigen Abschlusses des Verfahrens auf das Honorar zu verzichten.
- Sie haben eine Berufshaftpflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, abzuschliessen; die Versicherungssumme muss mindestens eine Million Franken pro Jahr betragen; anstelle der Haftpflichtversicherung können andere, gleichwertige Sicherheiten erbracht werden.
- Sie sind verpflichtet, in dem Kanton, in dessen Register sie eingetragen sind, amtliche Pflichtverteidigungen und im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege Rechtsvertretungen zu übernehmen.
- Sie bewahren die ihnen anvertrauten Vermögenswerte getrennt von ihrem eigenen Vermögen auf.
- Sie klären ihre Klientschaft bei Übernahme des Mandates über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung auf und informieren sie periodisch oder auf Verlangen über die Höhe des geschuldeten Honorars.
- Sie teilen der Aufsichtsbehörde jede Änderung der sie betreffenden Daten im Register mit.
Art. 14 BGFA Kantonale Aufsichtsbehörde über die Anwältinnen und Anwälte
Jeder Kanton bezeichnet eine Behörde, welche die Anwältinnen und Anwälte beaufsichtigt, die auf seinem Gebiet Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten.
Art. 16 BGFA Disziplinarverfahren in einem anderen Kanton
1 Eröffnet eine Aufsichtsbehörde ein Disziplinarverfahren gegen Anwältinnen oder Anwälte, die nicht im Register dieses Kantons eingetragen sind, so informiert sie die Aufsichtsbehörde des Kantons, in dessen Register sie eingetragen sind.
2 Beabsichtigt sie, eine Disziplinarmassnahme anzuordnen, so räumt sie der Aufsichtsbehörde des Kantons, in dessen Register die Anwältin oder der Anwalt eingetragen ist, die Möglichkeit ein, zum Ergebnis der Untersuchung Stellung zu nehmen.
3 Das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ist der Aufsichtsbehörde des Kantons mitzuteilen, in dessen Register die Anwältin oder der Anwalt eingetragen ist.