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Strafrecht / Verkehrsrecht

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Schikanestopp: Eine Nötigung mit «doppelter» Bestrafung

Datum:
02.05.2022
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Strafrecht, Verkehrsrecht
Stichworte:
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

StGB 181; StGB 90 Ziffer 2

Einleitung

Es gibt immer wieder Fahrzeuglenker, die einem andern Fahrer mit einem sog. «Schikanestopp» eine Lektion erteilen wollen.

Gründe für eine solche «Belehrungsaktion» gibt es viele:

  • Zu kurzes Einbiegen in die Fahrspur
  • Verweigerung des Vortrittsrechts
  • Zu nahes Einbiegen nach einem Überholvorgang
  • Scheinwerfer-Einschaltung
  • Gefährliches Überholen
  • usw.

Das Bundesgericht hat sich erstmals 2011 dazu äussern müssen, ob Beeinträchtigungen der freien Willensbetätigung im Strassenverkehr, namentlich bei Schikanestopps oder dem nicht verkehrsbedingten Ausbremsen nachfolgender Fahrzeuge, rechtlich als Nötigung zu qualifizieren sind.

Es ging dabei auch um die rechtliche Qualifikation solcher Fahrmanöver und um die Frage des Konkurrenzverhältnisses zwischen der Nötigung und SVG-Delikten.

Ausgangslage

Solche belehrenden «Schikanestopp» haben meistens mehrere Ablauf-Elemente:

  • Verhaltensärgernis des einen Fahrers
  • Überholvorgang des anderen, verärgerten Fahrzeuglenkers
  • Starkes und abruptes Abbremsen des verärgerten Fahrzeuglenkers ohne verkehrsbedingten Grund,
    • teils wiederholt
    • teils bis zum Stillstand
    • teils mit Weiterfahrtshinderung
  • Kollision, wenn der «Hintermann» nicht mehr rechtzeitig anhalten kann.

Begriff des Schikanestopps

Ein Schikanestopp beinhaltet ein brüskes Anhalten oder Bremsen – ohne einen Notfall – mit dem Zweck der Schikane, wie dem Erteilen einer Lektion oder des Erziehens eines anderen Verkehrsteilnehmers.

Beurteilung im konkreten Einzelfall

Die Frage, ob das unvermittelte Bremsen unnötigerweise erfolgte, kann nicht generell, sondern nur im konkreten Fall unter Würdigung aller Umstände entschieden werden (zur Unaufmerksamkeit eines nachfolgenden Fahrzeugführers vgl. BGE 115 IV 248, Erw. 4c) mit Hinweis).

Handlungsfreiheit einschränkende Zwangssituation

Ein Schikanestopp bis zum Stillstand

  • überschreitet das üblicherweise geduldete Mass
  • unabhängig vom zeitlichen Aspekt ebenso eindeutig,
    • wie es der Fall ist
      • bei der Ausübung von Gewalt oder
      • beim Androhen ernstlicher Nachteile.

Der Schikanestopp ist eine für den nachfolgenden Verkehrsteilnehmer geschaffene Zwangssituation von einer solchen Intensität, dass sie dessen Handlungsfreiheit einschränkt.

Ernstliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer

Der schikanierende Fahrzeuglenker ruft mit seinem Vorgehen eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer hervor und zwingt den Hintermann zu einem unvermittelten Anhalten.

Eine schikanöse Vollbremsung auf der Autobahn kann laut Bundesgericht eine Gefährdung des Lebens nach StGB 129 darstellen (vgl. Urteil 6S.563/1995 vom 24.11.1995).

Gerichtspraxis

Die Gerichte sprechen seither Fahrzeuglenker, welche (wiederholte) Schikanestopps machten,

  • der (mehrfachen) Nötigung und
  • der (mehrfachen) groben Verletzung der Verkehrsregeln

schuldig.

Nötigung

Wegen Nötigung gemäss StGB 181 wird bestraft, wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden.

Die Tatbestandsvariante der «anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit» ist restriktiv auszulegen und hat den anderen beiden Nötigungsmitteln in Intensität und Wirkung ähnlich zu sein. Der Hintermann ist in aller Regel in seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigt.

Verkehrsregelverletzung

Die Nötigungsmittel, d. h. die brüsken, nicht verkehrsbedingten Vollbremsungen des vorausfahrenden Lenkers, waren unrechtmässig (SVG 37 Abs. 1 + VRV 12 Abs. 2).

Dies gilt auch für den damit verfolgten Zweck, dem Hintermann eine Lektion zu erteilen. Solche Nötigungen sind tatbestandsmässig und rechtswidrig.

Echte Strafbarkeitskonkurrenz

Zwischen der Nötigung nach StGB 181 und der Verkehrsregelverletzung nach StGB 90 besteht eineechte Idealkonkurrenz.

Die beiden Normen schützen unterschiedliche Rechtsgüter:

  • Nötigung

    • Geschütztes Rechtsgut von StGB 181:
      • Handlungsfreiheit bzw. Freiheit der Willensbildung und -betätigung des Einzelnen.
        • Geschützt ist auch die Freiheit, den Willen der automobilen Fortbewegung zu betätigen (vgl. zur Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung auch BGE 134 IV 216, Erw. 4.4.3).
  • Verkehrsregeln

    • Geschütztes Rechtsgut von StGB 90:
      • Gewährleistung der Verkehrssicherheit
      • Der Schikanierende bewirkt mit seinen Bremsmanövern:
        • einerseits eine Verletzung der Handlungsfreiheit des nachfolgenden Automobilisten,
        • andererseits die Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer.
      • Sein Verhalten betrifft damit auch verschiedene Rechtsgutträger.

Fazit

Wer also andere Verkehrsteilnehmer durch einen Schikanestopp zum Stillstand zwingt, macht sich schuldig:

  • einer Nötigung und
  • einer Verkehrsregelverletzung. 

Das Bundesgericht liess im Urteil BGE 137 IV 326 ff. die Frage offen, ob die erforderliche Intensität für die Bejahung einer Nötigung im Falle eines schikanösen Ausbremsens, ohne dass es zum Stillstand der beteiligten Fahrzeuge kommt, ebenfalls gegeben wäre.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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