Präzisierung der Rechtsprechung zu den Beweismitteln
Einleitung
Das Bundesgericht (BGer) präzisiert seine Rechtsprechung zur gerichtlichen Festsetzung des Anfangsmietzinses einer Wohnung in einer Altliegenschaft, wenn der vereinbarte Mietzins vermutungsweise missbräuchlich ist, aber weder Vergleichsobjekte noch offizielle Statistiken zur Bestimmung des orts- und quartierüblichen Mietzinses vorliegen. – Dabei bestätigte es einen Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Waadt (Urteil 1).
In einem weiteren Urteil (Urteil 2) fasste das BGer seine Rechtsprechung zur Kündigung einer Wohnung durch den Vermieter wegen Renovationsarbeiten zusammen.
Urteil 1
Sachverhalt
Die beiden neuen Mieter einer 4-Zimmerwohnung in einem Gebäude aus den 1960er-Jahren am Genfersee in Montreux (VD) fochten den vereinbarten Mietzins von CHF 2’280 netto als missbräuchlich an:
- Sie verlangten eine Herabsetzung des Anfangsmietzinses auf CHF 1’467.
- Der Vormieter hatte CHF 1’562 bezahlt.
Prozess-History
- Erste Instanz (Mietgericht)
- Das Mietgericht des Kantons Waadt legte den Mietzins nach Durchführung eines Augenscheins auf CHF 1’800 fest.
- Zweite Instanz (Kantonsgericht)
- Das Waadtländer Kantonsgericht bestätigte den vorinstanzlichen Entscheid.
- Dritte Instanz (Bundesgericht)
- Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde der Mieter ab.
Erwägungen des Bundesgerichts
Das BGer erwog folgendes:
- Orts- und Quartierüblichkeit
- Der Mietzins einer Altbau-Wohnung ist grundsätzlich nicht missbräuchlich, wenn er orts- und quartierüblich ist.
- Überprüfung aufgrund von Statistiken + Vergleichsobjekten
- Die Orts- und Quartierüblichkeit ist anhand offizieller Statistiken oder von fünf Vergleichsobjekten zu prüfen.
- Massive Erhöhung des Mietzinses
- Ein missbräuchlicher Mietzins sei zu vermuten, wenn
- er deutlich mehr als 10 Prozent über dem vom Vormieter bezahlten liegt (massive Erhöhung) und
- sich dies nicht durch eine Entwicklung des Referenzzinssatzes für Hypotheken oder des Landesindex für Konsumentenpreise erklären lasse.
- Ein missbräuchlicher Mietzins sei zu vermuten, wenn
- Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses
- Im konkreten Fall war von der Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses auszugehen.
- Dem Vermieter war es nicht gelungen, diese Vermutung zu erschüttern.
- Richterliche Anfangsmietzins-Festsetzung
- In diesem Fall war es Sache des Richters, den zulässigen Anfangsmietzins festzusetzen.
- Fehlende Beweismittel
- Das BGer hatte in einem früheren Urteil festgehalten, dass es bei fehlenden Beweismitteln der Parteien bundesrechtskonform sei, auf den vom Vormieter bezahlten Mietzins abzustellen.
- Präzisierung der Rechtsprechung zu den Beweismitteln
- Ausgangslage
- In Präzisierung seiner Rechtsprechung kam das BGer nun zum Schluss, dass ein Abstellen auf den Vormieter-Mietzins nicht zwangsläufig der Fall sein müsse.
- Abstellen auf den Vormieter-Mietzins nur, wenn kein anderes Beweismittel vorhanden
- Auf den vom Vormieter bezahlten Mietzins sei nur abzustellen, wenn überhaupt kein anderes Beweismittel vorläge.
- Abstellen auf weitere Grundlagen
- Gebe es indessen andere Grundlagen – die nicht von den Parteien stammen müssten –, wie kantonale oder kommunale Statistiken,
- könne der Richter diesen bei der Festsetzung des Mietzinses Rechnung tragen,
- selbst wenn sie nicht ausreichend differenziert seien.
- Ausgangslage
- Konkreter Fall
- Von der Vorinstanz herangezogene Grundlagen
- Im konkreten Fall hatte sich die Vorinstanz auf Statistiken des Bundesamtes für Statistik gestützt.
- Zur Bestimmung des orts- und quartierüblichen Mietzinses seien diese aber nicht ausreichend detailliert.
- Grundlagen-Verwendung
- Das Waadtländer Kantonsgericht durfte die aus diesen Statistiken resultierenden Werte jedoch gewichten, aufgrund
- der konkreten Merkmale der Wohnung,
- des vom Vormieter bezahlten Mietzinses und
- seiner Kenntnisse des lokalen Mietmarktes und
- seiner Erfahrungen.
- Das Waadtländer Kantonsgericht durfte die aus diesen Statistiken resultierenden Werte jedoch gewichten, aufgrund
- Von der Vorinstanz herangezogene Grundlagen
Die so erfolgte gerichtliche Festsetzung des Anfangsmietzinses von CHF 1’800 war daher nicht zu beanstanden.
Urteil 2
In einem weiteren Urteil fasst das BGer seine Rechtsprechung zur Kündigung einer Wohnung durch den Vermieter wegen Renovationsarbeiten zusammen:
- Das BGer gelangte zum Schluss, dass die Kündigung im konkreten Fall nicht missbräuchlich war.
- Das Kantonsgericht durfte davon ausgehen, dass
- der Vermieter die Renovation tatsächlich beabsichtigte und
- die Renovationsarbeiten den Auszug der Mieterin notwendig machten.
Urteile des Bundesgerichts
4A_247/2021 vom 04.05.2022 = BGE 148 III 215 ff.
4A_554/2021 vom 02.05.2022 = BGE 148 III 209 ff.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam