LAWNEWS

Verkehrsrecht

QR Code

Anpassung der Rechtsprechung zum Führerausweisentzug wegen Rechtsüberholens

Datum:
09.12.2022
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Verkehrsrecht
Stichworte:
Führerausweisentzug, Rechtsüberholen
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

OBV

Rechtsüberholen auf der Autobahn oder auf der Autostrasse durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen hat aufgrund der geänderten Rechtslage nicht mehr in jedem Fall ein Führerausweisentzug zur Folge.

Das Bundesgericht (BGer) passt seine Rechtsprechungspraxis der geänderten Rechtslage an.

Ausnahmen vom Führerausweisentzug sind jedoch zurückhaltend anzuwenden.

Sachverhalt

Ein Autolenker fuhr zunächst auf der Überholspur der Autobahn, wechselte dann auf die Normalspur, beschleunigte, überholte ein anderes Fahrzeug rechts und bog wieder auf die Überholspur ein.

Prozess-History

  • Strafverfahren
    • Der Autolenker wurde für diesen Fahrvorgang mit einer Geldstrafe und einer Busse belegt.
  • Administrativmassnahmen (Strassenverkehrsamt)
    • Das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern entzog ihm anschliessend den Führerausweis wegen schwerer Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften durch Rechtsüberholen für 12 Monate, wobei es einen früheren Ausweisentzug wegen einer schweren Widerhandlung berücksichtigte.
  • Rekurskommission des Kantons Bern
    • Die zuständige Rekurskommission des Kantons Bern wies das Rechtsmittel des Fahrzeuglenkers ab.
  • Bundesgericht
    • Das Bundesgericht (BGer) hiess nun seine Beschwerde gut und hob den Entscheid der Rekurskommission auf.

Erwägungen des Bundesgerichts

Gemäss dem Strassenverkehrsgesetz wird der Lern- oder Führerausweis bei Widerhandlungen gegen die Vorschriften des Strassenverkehrs entzogen (oder eine Verwarnung ausgesprochen), wenn das Ordnungsbussenverfahren (OBV) ausgeschlossen ist:

  • Geänderte Rechtslage
    • Auf den 01.01.2021 hat der Bundesrat die Bussenliste für Übertretungen in der Ordnungsbussenverordnung (OBV) angepasst.
  • Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen auf Autobahnen/Autostrassen (neu)
    • Demnach wird Rechtsüberholen durch Ausschwenken und Wiedereinbiegen auf Autobahnen und Autostrassen mit mehreren Fahrstreifen mit einer Ordnungsbusse von CHF 250  sanktioniert.
  • Bisherige Rechtsprechung
    • Gemäss bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichts stellte das Rechtsüberholen auf der Autobahn
      • grundsätzlich eine schwere Widerhandlung im Strassenverkehr dar und
      • es war der Führerausweis daher für mindestens drei Monate zu entziehen;
      • diese Rechtsprechung wurde in der Lehre als zu streng kritisiert.
  • Anpassung der OBV
    • Gemäss dem Bundesamt für Strassen (ASTRA) soll mit der fraglichen Anpassung der OBV zum Ausdruck gebracht werden,
      • dass nicht alle Fälle von Rechtsüberholen als schwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften zu qualifizieren seien und,
      • dass dies nicht zwingend zu einem Ausweisentzug führen müsse.
  • Anpassung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
    • Das BGer hat seine Praxis der geänderten Rechtslage angepasst.
  • Enge Auslegung und zurückhaltende Anwendung der neuen Praxis
    • Mit Blick auf die Risiken, die vom Rechtsüberholen auf der Autobahn ausgehen,
      • ist allerdings
        • eine enge Auslegung und
        • eine zurückhaltende Anwendung der neuen Regelung angezeigt.
  • Berücksichtigung der individuell konkreten Verhältnisse
    • Im Einzelfall hat in Berücksichtigung der gesamten konkreten Verhältnisse vorzuliegen:
      • ein einfaches Rechtsüberholen,
      • ohne erschwerende Umstände.
  • In concreto
    • Fahrvorgang
      • Im konkreten Fall stand folgendes fest:
        • Das Ausschwenken, das Wiedereinbiegen und rechts überholen des Autolenkers eines Personenwagens;
        • Manöver am Tag, bei trockener Strasse, guten Sichtverhältnissen und schwachem Verkehrsaufkommen;
        • Keine Notwendigkeit der Fahrverhaltensänderung des überholten Lenkers.
    • Verhalten unter neuem Recht
      • Unter dem neuen Recht ist ein solches Fahrverhalten – im Gegensatz zum früheren Recht – ausnahmsweise als blosse Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren.
    • Anwendung des neuen, milderen Rechts
      • Daher kam im konkreten Verfahren bezüglich Führerausweisentzug das neue, mildere Recht zur Anwendung.

Ein Führerausweisentzug kam hier nicht mehr in Betracht und war daher aufzuheben.

BGer 1C_626/2021 vom 03.11.2022  =  BGE 149 II 96 ff.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

Vorbehalt / Disclaimer

Diese allgemeine Information erfolgt ohne jede Gewähr und ersetzt eine Individualberatung im konkreten Einzelfall nicht. Jede Handlung, die der Leser bzw. Nutzer aufgrund der vorstehenden allgemeinen Information vornimmt, geschieht von ihm ausschliesslich in eigenem Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko.

Urheber- und Verlagsrechte

Alle in dieser Web-Information veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheide und Leitsätze, soweit sie von den Autoren oder den Redaktoren erarbeitet oder redigiert worden sind. Der Rechtschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Web-Information darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – sämtliche technische und digitale Verfahren – reproduziert werden.