ZGB 520 / Ausser Spesen nichts gewesen
Sachverhalt
«C____ (nachfolgend Erblasserin) verfasste nachfolgendes, vollständig von Hand verfasstes Schriftstück:
Dieses Schriftstück legte die Erblasserin in einen Umschlag, den sie von Hand mit dem Text Testament C____, Basel» beschriftete, und übergab den verschlossenen Umschlag persönlich am 5. August 2013 dem Erbschaftsamt Basel-Stadt zwecks Hinterlegung. Der Mitarbeiter des Erbschaftsamts, der den Umschlag entgegennahm, vermerkte darauf das Datum («v. 05.08.2013»), so dass sich der hinterlegte Umschlag wie folgt präsentiert:
Die Erblasserin verstarb am […] 2019. Mit Schreiben vom 2. September 2019 eröffnete das Erbschaftsamt Basel-Stadt A____ (nachfolgend Klägerin) das von der Erblasserin beim Erbschaftsamt hinterlegte Schriftstück.»
Prozess-History
Gesuch um Rechtsschutz in klaren Fällen / Schlichtungsgesuch
- Nachdem das Zivilgericht Basel-Stadt auf ein Gesuch um Rechtsschutz in klaren Fällen der Klägerin vom 9. September 2019 gegen C____ (nachfolgend Beklagte) mit Entscheid vom 21. Januar 2020 nicht eingetreten war, reichte die Klägerin am 24. Februar 2020 ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde des Zivilgerichts Basel-Stadt gegen die Beklagte ein.
- Mangels Einigung zwischen den Parteien wurde der Klägerin die Klagebewilligung ausgestellt.
Zivilgericht Basel-Stadt
- Mit Klage vom 10. Juli 2020 beantragte die Klägerin beim Zivilgericht Basel-Stadt die Ungültigerklärung des eigenhändigen Testaments der Erblasserin vom 5. August 2013.
- Mit Klageantwort vom 4. November 2020 beantragte die Beklagte die vollumfängliche Abweisung der Klage vom 10. Juli 2020.
- Mit Entscheid vom 27. Oktober 2021 wies das Zivilgericht die Klage ab und auferlegte der Klägerin die Prozesskosten.
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
- Mit Berufung vom 29. November 2021 beantragt die Klägerin beim Appellationsgericht Basel-Stadt die Aufhebung des Entscheids des Zivilgerichts vom 27. Oktober 2021 und die Gutheissung der Klage vom 10. Juli 2020.
- Mit Berufungsantwort vom 19. Januar 2022 beantragt die Beklagte die Abweisung der Berufung.
- Streitwert: CHF 3’100’000.– (Erw. 1 Abs. 1).
Erwägungen
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt erwog zusammengefasst:
Fehlende Unterschrift
- «… Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein Formerfordernis kein Selbstzweck (vgl. BGE 131 III 601 E. 3.1 S. 604; BGer 5A_323/2013 vom 23. August 2013 E. 2.1) und ist der Grundsatz des «favor testamenti» auch bei der Anwendung von Formvorschriften zu beachten (vgl. BGE 135 III 206 E. 3.7 S. 211, 116 II 117 E. 7b S. 127). Dies gilt aber nur insoweit, als es mit dem Erfordernis der Rechts- und Verkehrssicherheit vereinbar ist (vgl. BGE 116 II 117 E. 7b S. 127). Zudem ändert der Grundsatz des «favor testamenti» nichts daran, dass die geltenden Formvorschriften vom Gericht anzuwenden sind (vgl. BGE 117 II 246 E. 4 S. 251, 116 II 117 E. 7c S. 128 f.) und der letzte Wille der Erblasserin im Fall eines Formmangels keinen Schutz findet (vgl. BGE 117 II 246 E. 4 S. 251). Der Wille der Erblasserin kann nur respektiert werden, wenn er in einer der vom Gesetz festgelegten Formen geäussert worden ist (BGer 5A_247/2009 vom 29. Mai 2009 E. 3). Eine Unterschrift kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Inhalt des Erklärungsträgers und dem Namen und damit die Rekognitionsabsicht aus dem Erklärungsträger selbst hervorgeht (vgl. BGE 40 II 190 E. 3 S. 193 f. und E. 5 S. 195 f.). Ein Rückgriff auf ausserhalb des Erklärungsträgers liegende Tatsachen zur Feststellung dieses Zusammenhangs wäre mit dem Erfordernis der Rechts- und Verkehrssicherheit nicht vereinbar. Die Nennung des Namens der Erblasserin am Anfang eines Schriftstücks kann die Rekognitionsfunktion einer Unterschrift nicht erfüllen (vgl. BGE 135 III 206 E. 3.5 S. 211 und E. 3.7 S. 211). Damit ändert der Grundsatz des «favor testamenti» nichts daran, dass die Namensnennung am Anfang eines Schriftstücks keine Unterschrift im Rechtssinn darstellt (vgl. BGE 135 III 206 E. 3.7 S. 211) und dass sich der für das Vorliegen einer Unterschrift im Rechtssinn erforderliche Zusammenhang zwischen dem Namen und dem Inhalt des Schriftstücks aus dem Schriftstück selbst ergeben muss.» (Erw. 3.3.5).
«Testament», Datierung + Umschlag
- «Das Zivilgericht stellte fest, es sei unbestritten oder urkundlich belegt, dass die Erblasserin die Texte auf dem Schriftstück und dem Umschlag eigenhändig anbrachte, das Schriftstück im Umschlag am 5. August 2013 beim Erbschaftsamt Basel-Stadt hinterlegte, die dafür geschuldete Gebühr von CHF 50.– bezahlte und sich die Hinterlegung bescheinigen liess (angefochtener Entscheid E. 6.2, 6.4, 7.2 und 7.7). Dies ist richtig. Bewiesen ist zudem, dass die Erblasserin im Auftrag Haushaltsauflösung vom […] 2019 (Klageantwortbeilage 22), also zwei Tage vor ihrem Freitod am […] 2019, erklärt hat, dass ein Testament beim Erbschaftsamt Basel-Stadt hinterlegt sei (vgl. dazu Klageantwort Ziff. 16.c und 21.a). Zum Inhalt des Testaments äusserte sich die Erblasserin im Auftrag Haushaltsauflösung allerdings nicht.
- Unrichtig sind hingegen die weiteren Feststellungen des Zivilgerichts und der Beklagten, es sei unbestritten oder urkundlich belegt, dass die Erblasserin den gesamten Text auf dem Schriftstück und dem Umschlag am 5. August 2013 geschrieben, das Schriftstück in einem Zug verfasst, das Schriftstück selber in den Umschlag gelegt und diesen verschlossen habe (angefochtener Entscheid E. 6.4, 7.2 und 7.7; Berufungsantwort Ziff. 13b.iii, 13.d.ii und 13.d.v), wie die Klägerin sinngemäss zu Recht geltend macht (vgl. Berufung Ziff. 3 und 42-44, 51). Die entsprechenden Behauptungen der Beklagten (vgl. Klageantwort Ziff. 16.d und 21.b.iii) sind von der Klägerin bestritten worden (vgl. Replik Ziff. 25 und 72) und nicht durch Urkunden bewiesen. Abgesehen von der Behauptung, der Umschlag sei verschlossen gewesen, könnten sie auch von niemandem bestätigt werden, weil die Beklagte nicht behauptet, die Erblasserin habe das Schriftstück in Anwesenheit einer anderen Person verfasst. Indem die Beklagte schreibt, es sei «davon auszugehen, dass die testamentarischen Anordnungen sowie der Umschlag in einem Zug geschrieben wurden» (Klageantwort Ziff. 21.b.iii) gesteht sie im Übrigen selbst zu, dass ihr der zeitliche Ablauf der Niederschrift der Texte nicht bekannt ist. Für die Frage, ob eine Tatsachenbehauptung urkundlich belegt ist, ist entgegen der Ansicht der Klägerin (vgl. Berufung Ziff. 16, 42 und 49) nicht der strafrechtliche, sondern der zivilprozessuale Urkundenbegriff massgebend. Gemäss Art. 177 ZPO gelten als Urkunden Dokumente, die geeignet sind, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen. Ob die Beweiseignung tatsächlich eine Voraussetzung des Vorliegens einer Urkunde im Sinn der ZPO darstellt, ist umstritten (vgl. statt vieler Dolge, in: Basler Kommentar, 3. Auflage 2017, Art. 177 ZPO N 3-5 mit Nachweisen; Schmid/Baumgartner, a.a.O., Art. 177 N 1 mit Nachweisen). Jedenfalls kann höchstens abstrakte Beweiseignung verlangt werden (vgl. Dolge, a.a.O., Art. 177 ZPO N 5; Sutter-Somm/Seiler, Handkommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2021, Art. 177 N 2; Weibel, in: Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur ZPO, 3. Auflage, Zürich 2016, Art. 177 N 14). Eine solche ist gegeben, wenn das Dokument für das Gericht als Erkenntnisquelle in Frage kommt (vgl. Müller, in: Brunner et al. [Hrsg.], ZPO Kommentar, 2. Auflage, Zürich 2016, Art. 177 N 3; Weibel, a.a.O., Art. 177 N 14). Dies ist für das mit 5. August 2013 datierte Schriftstück zu bejahen. Dass das Schriftstück unterschrieben ist, ist nicht begriffsnotwendig und selbst ein Schriftstück, das den gesetzlichen Formerfordernissen offensichtlich nicht genügt, kann eine Urkunde im Sinn des Zivilprozessrechts sein (Weibel, a.a.O., Art. 177 N 8 und 16). Daher kann dem Schriftstück die Urkundenqualität im zivilprozessualen Sinn entgegen der Ansicht der Klägerin (vgl. Berufung Ziff. 11 und 61) auch nicht wegen Fehlens einer Unterschrift abgesprochen werden. Das Schriftstück ist mit 5. August 2013 datiert. Die Richtigkeit eines handschriftlichen Datums auf einem Testament wird zwar vermutet (vgl. BGE 116 II 117 E. 3 S. 119, 95 II 1 E. 1 S. 3, 93 II 161 E. 1a S. 163; Breitschmid, Basler Kommentar, Art. 505 ZGB N 11; Lenz, a.a.O., Art. 505 N 15; Weimar, a.a.O., Art. 505 ZGB N 17). Da einem handschriftlich unterzeichneten Schriftstück in der Regel eine höhere Beweiskraft zukommt als einem solchen ohne Unterschrift (vgl. Müller, a.a.O., Art. 177 N 21), erscheint es jedoch zweifelhaft, dass diese Vermutung auch dann gilt, wenn die Erblasserin das Schriftstück wie im vorliegenden Fall nicht unterzeichnet hat. Zudem ist das Datum auch dann richtig, wenn sich die Niederschrift über mehrere Tage oder gar Wochen hingezogen hat und die Erblasserin das Testament am angegebenen Tag vollendet hat (vgl. Druey, a.a.O., § 9 N 21; Weimar, a.a.O., Art. 505 ZGB N 18; Wolf/Genna, a.a.O., S. 200). Folglich kann aus der Vermutung der Richtigkeit des Datums nicht geschlossen werden, das Schriftstück sei an einem Tag verfasst worden. Aus den vorstehenden Gründen liefert das mit 5. August 2013 datierte Schriftstück keinen Beweis dafür, dass die Erblasserin den ganzen Text am angegebenen Tag geschrieben hat, und könnte sie das Datum ohne weiteres auch nach der Niederschrift des übrigen Texts angebracht haben. Im Übrigen ist die Frage, ob die vorstehend erwähnten bestrittenen Tatsachen durch Urkunden belegt sind, nicht entscheidwesentlich, weil die Beklagte daraus auch im Fall der Bejahung eines Urkundenbeweises nichts zu ihren Gunsten ableiten könnte (vgl. unten E. 4.2.3).» (Erw. 4.2.2)
- (Ausführungen zur möglichen Verwechslung von Entwurf und Original bei der Dokumenteneinlage in den Umschlag) (vgl. Erw. 4.2.3)
Bemerkungen zum Parteigutachten
- «Die Beklagte reichte ein Parteigutachten von […] (Klageantwortbeilage 36) ein. Darin kam dieser zum Schluss, «dass das Testament der Erblasserin vom 5. August 2013 in tauglicher und rechtsgenügender Form, durch einleitende Selbstbenennung und/oder in Verbindung mit der Namensnennung auf dem Umschlag, unterzeichnet und damit gültig ist.» Die Begründung dieses Parteigutachtens enthält nichts, was geeignet wäre, die Richtigkeit der vorstehenden Erwägungen und der Rechtsprechung des Bundesgerichts in Frage zu stellen. …» (Erw. 4.3).
Aus den Erwägungen, hier auszugsweise wiedergegebenen, folgte, dass die Berufung und die Klage der Klägerin gutzuheissen war. Ausgangsgemäss hatte die Beklagte in Anwendung von ZPO 106 Abs. 1 die erst- und zweitinstanzlichen Prozesskosten zu tragen.
Entscheid
://: In Gutheissung der Berufung wird der Entscheid des Zivilgerichts vom 27. Oktober 2021 ([…]) aufgehoben und die nicht unterzeichnete eigenhändige letztwillige Verfügung von C____, gestorben am […] 2019, für ungültig erklärt.
Die Berufungsbeklagte trägt die Kosten des Schlichtungsverfahrens von CHF 5’000.–, die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 45’750.– und die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von CHF 45’750.–.
Die Kosten des Schlichtungsverfahrens, die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden mit der Zahlung der Berufungsklägerin von CHF 5’000.–, dem Kostenvorschuss der Berufungsklägerin von CHF 45’750.– und dem Kostenvorschuss der Berufungsklägerin von CHF 45’750.– verrechnet, sodass die Berufungsbeklagte der Berufungsklägerin CHF 96’500.– zu bezahlen hat.
Die Berufungsbeklagte hat der Berufungsklägerin eine Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren von CHF 105’400.–, zuzüglich 7,7 % MWST von CHF 8’115.80, und für das Berufungsverfahren von CHF 38’505.–, zuzüglich 7,7 % MWST von CHF 2’964.90, zu bezahlen.
Mitteilung an:
- Berufungsklägerin
- Berufungsbeklagte
- Zivilgericht Basel-Stadt
Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 05.12.2022
ZB.2021.52 (AG.2023.42)
Publikationsdatum: 21.01.2023
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam