sog. «strategic lawsuits against public participation» (SLAPP)
Einleitung
Missbräuchliche Gerichtsklagen gegen Medienschaffende werden im europäischen Umfeld zunehmend als Problem erkannt:
- Journalisten und Medienunternehmen sollen auch in der Schweiz gerichtliche Einschüchterungen erfahren.
Agenda
Ausgangslage
Dem Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) ist die Sicherheit der Medienschaffenden ein Anliegen.
In diesem Zusammenhang sind inzwischen erstellt worden:
- einen nationalen Aktionsplan zur Sicherheit von Medienschaffenden in der Schweiz.
- Eine Studie zu SLAPP
Nachfolgend wird auf den Aktionsplan kurz und auf die Studie ausführlicher eingegangen.
Nationaler Aktionsplan zur Sicherheit der Medienschaffenden
Das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) hatte gemeinsam mit der Medienbranche erstellt
Eines der zentralen Anliegen der Medienschaffenden war in diesem Zusammenhang, ein besseres Verständnis über missbräuchliche Klagen (sog. «strategic lawsuits against public participation», SLAPPs) zu erhalten.
Kurz-Definition von SLAPP
Als SLAPP werden missbräuchliche Gerichtsklagen, die darauf abzielen, die freie Meinungsbildung zu Themen des öffentlichen Interesses zu unterdrücken, bezeichnet.
Studie zu SLAPP
In der Folge beauftragte das BAKOM Herrn Prof. Dr. Vinzenz Wyss und sein Team vom Institut für angewandte Medienwissenschaft (IAM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), eine Studie zu den Themen von SLAPPs zu erstellen.
Ziele der Studie
Die Studie soll Recherche-Ergebnisse zu folgende Themen bieten:
- Häufigkeit
- Dynamik
- betroffene Medientypen
- Themengebiete
- mögliche Effekte von SLAPPs in der Schweizer Medienbranche.
Keine einheitliche Definition, aber vier Kriterien
Laut Studien-Team gibt es keine einheitliche Definition von SLAPP. Vier Kriterien würden aber häufig auftreten:
- Asymmetrische Rollenverteilung
- Motiv der Klagenden
- die thematisierte Sache
- die Bewertung der Klage als «missbräuchlich.»
In methodischer Hinsicht sei in der Studie ein Multi-Methoden-Design verwendet worden, welches qualitative und quantitative Methoden kombiniere.
Studiengrundlagen
Auf der Basis des Forschungsstands zu SLAPP sei wie folgt vorgegangen worden:
- Entwicklung von Themen für Leitfadeninterviews;
- Gespräche mit 19 Rechtsexperten und Chefredaktoren;
- Onlineumfrage mit Fragebogen bei 342 Chefredaktoren (Anzahl Teilnehmer: 142).
Befunde der SLAPP-Studie
Allgemeines
Nur wenige Chefredakteure der Schweizer Medienbranche hätten Erfahrungen mit SLAPP-Klagen.
Einschätzung der Befragten
- Aus Sicht der Befragten seien beeinträchtigend:
- finanzielle Belastungen
- Zeitverluste
- Störende Belastung der journalistischen Arbeit.
- SLAPPs würden auch als potenzielle Bedrohung für die Medienfreiheit betrachtet:
- Die Befragten sähen die Gefahr
- eines «chilling effects» und
- eines möglichen Verlusts der journalistischen «Watchdog-Funktion».
- Die Befragten sähen die Gefahr
Befragte Experten
- Die Mehrheit der befragten Rechtsexperten sei der Ansicht, dass die bestehenden Gesetze ausreichen würden;
- Insbesondere genügten die Regeln der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO),
- um gegen SLAPPs vorzugehen.
- Insbesondere genügten die Regeln der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO),
- Einige Experten und v.a. die Medienvertreter
- sähen trotzdessen Handlungsbedarf und
- würden Massnahmen vorschlagen,
- welche einschliessen würden:
- eine Reduzierung finanzieller Belastungen für Medienunternehmen;
- eine frühzeitige Durchsetzung des Rechtsschutzes gemäss ZPO 59 ZPO.
Rechtswissenschaftliche Bedenken
- Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive seien jedoch starke Bedenken geäussert worden hinsichtlich:
- der Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen rechtlichen Massnahmen;
- der Einführung juristischer Privilegien für journalistische Medien, mit intensiven Debatten über die Gleichbehandlung anderer Akteure.
Vorschläge der Befragten
- Die Befragten schlugen auch brancheninterne Massnahmen vor, wie
- Zugriff auf gemeinsam genutzte Rechtsressourcen;
- einen Wissens- und Erfahrungsaustausch;
- Schulungen.
- Weiter wurden folgende Ideen diskutiert:
- gemeinsamer Fonds für betroffene Redaktionen;
- eine Rolle des Presserats.
- Schliesslich wurde betont, dass die Branche die Auswirkungen von SLAPPs öffentlich besser bekannt machen solle.
Betroffenheit der Kernfunktion eines Journalisten
- Wichtig war schliesslich der Befund, dass SLAPPs «mitten ins Herz» des Journalismus zielen würden.
- Anders als in anderen Bereichen, hätten entsprechende Klagen oder deren Androhung zur Folge, dass der Journalismus in der Ausübung seiner Kernfunktion beeinträchtigt würde:
- Erwartung, aufgrund investigativer Recherchen auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen zu können.
Studienergebnis
Ein Hauptbefund der Studie war die Tatsache, dass in der Schweizer Medienbranche nur sehr wenige der befragten Redaktionsverantwortlichen Erfahrungen mit SLAPP-Klagen (sog. «strategic lawsuits against public participation») hätten.
Dieser Befund wurde auch in den «Leitfadengesprächen» mit Rechtsexperten und Redaktionsverantwortlichen weitgehend bestätigt, aber:
- Missbrauchsfeststellung nur vor Gericht
- Die Missbräuchlichkeit würde jeweils nur und erst vor Gericht festgestellt werden können.
- Feststellungsverhinderung durch aussergerichtliche (vertrauliche) Vergleichsverhandlungen
- Die Effektivität von missbräuchlichen Klagen könnten kaum eingeschätzt werden, weil oft aussergerichtlich Vergleiche erzielt würden.
- § So habe das Bezirksgericht Zürich seit 2014 im Medienbereich keine Klage aufgrund von Missbräuchlichkeit abgewiesen;
- § Mehr als die Hälfte aller Entscheide hätten in einem Vergleich geendet.
- Die Effektivität von missbräuchlichen Klagen könnten kaum eingeschätzt werden, weil oft aussergerichtlich Vergleiche erzielt würden.
- Intensivierte Berichterstattung zu SLAPP-Fällen führt zum Eindruck einer Zunahme
- Der dennoch verbreitete Eindruck einer Zunahme von SLAPPs dürfte auf die seit 2020 massiv erhöhte Berichterstattung über wenige Fälle zurückzuführen sein:
- Ebenfalls erwähnt wurde das asymmetrische Rollenmuster gemäss der Goliath/David-Konstellation im Sinne von ressourcenstarken Unternehmen gegenüber ressourcenschwachen Medien.
- Personelle Trennung von Kläger + Vertreter lässt Motiv-Bekanntgabe verheimlichen
- Die Auseinandersetzung erfolgt oft über Anwälte, nicht direkt mit den klagenden Personen.
Für weitergehende Informationen wird auf die Studie verwiesen:
Grafiken
Es sollen folgende Abbildungen, deren Auswahl vom Redaktions-Team mit dem Fokus «Recht und Prozesse ausgewählt wurde, einen Einblick in die Studie bieten und zu einem Detailstudium der Studie animieren:
«Wie haben sie auf diese Klage/n reagiert?»
Abbildung 8: «Wie haben sie auf diese Klage/n reagiert?» (Mehrfachantworten möglich; n=14)
Entscheide auf dem Gebiet des Medienrechts in ordentlichen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich
Quelle: Bezirksgericht Zürich
Abbildung 12: Entscheide auf dem Gebiet des Medienrechts in ordentlichen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich (ab 2014 bis heute; n=40)
«Welche dieser Akteur:innen stecken hinter den SLAPP-Klagen, die Sie erhalten haben?»
Abbildung 13: «Welche dieser Akteur:innen stecken hinter den SLAPP-Klagen, die Sie erhalten haben?» (Mehrfachantworten möglich; n=15)
«Welche Art von Inhalten oder Veröffentlichungen hat die SLAPP-Klagen ausgelöst?»
Abbildung 14: «Welche Art von Inhalten oder Veröffentlichungen hat die SLAPP-Klagen ausgelöst?» (Mehrfachantworten möglich; n=15)
«Welche der folgenden Vorgehensweisen begleiteten die SLAPP-Klagen, mit denen sich Mitarbeitende Ihrer Redaktion konfrontiert sahen?»
Abbildung 15: «Welche der folgenden Vorgehensweisen begleiteten die SLAPP-Klagen, mit denen sich Mitarbeitende Ihrer Redaktion konfrontiert sahen?» (n=14)
«Welche Gesetze haben diese SLAPP-Klagen betroffen?»
Abbildung 16: «Welche Gesetze haben diese SLAPP-Klagen betroffen?» (Mehrfachantworten möglich; n=14)
«Wie stark waren folgende Effekte von SLAPP-Klagen in Ihrer Redaktion spürbar?»
Abbildung 17: «Wie stark waren folgende Effekte von SLAPP-Klagen in Ihrer Redaktion spürbar?» (n=43)
«Welche rechtlichen/finanziellen Ressourcen stehen Ihnen zur Verfügung, um sich gegen SLAPP-Klagen zu verteidigen?»
Abbildung 20: «Welche rechtlichen/finanziellen Ressourcen stehen Ihnen zur Verfügung, um sich gegen SLAPP-Klagen zu verteidigen?» (n=46)
«Welche Massnahmen sollten ergriffen werden, um SLAPP-Klagen einzudämmen?»
Abbildung 21: «Welche Massnahmen sollten ergriffen werden, um SLAPP-Klagen einzudämmen?» (n=43)
Zur Studie
Weiterführende Informationen
- Nationaler Aktionsplan zur Sicherheit von Medienschaffenden in der Schweiz
- Studie «Missbräuchliche» Gerichtsklagen gegen Schweizer Medienschaffende
- Medienrecht
- Zivilprozessrecht
- Strafprozessrecht
- Strafrecht
Quelle
LawMedia Redaktionsteam