OR 23 f.; OR 28
Ein Occasionsfahrzeug darf trotz eines Hagelschadens als «unfallfrei» bezeichnet werden.
Ferner:
- Keine absichtliche Täuschung des Autokäufers;
- Kein Grundlagenirrtum des Autokäufers.
Sachverhalt
«A.
A.________ (Käufer, Beschwerdeführer) erwarb am 12. Oktober 2012 für Fr. 24’000.– einen Personenwagen von B.________ (Verkäufer, Beschwerdegegner). In der Folge entstand Streit im Zusammenhang mit einem Hagelschaden.» (Bundesgerichtsurteil)
Prozess-History
- Einzelgericht
- «Der Käufer verlangte mit Klage vom 7. Januar 2020, der Verkäufer sei zu verpflichten, ihm Fr. 21’637.– nebst Zins zu 5 % auf Fr. 24’000.– seit 12. Oktober 2012 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Personenwagens.
- Der Einzelrichter am Bezirksgericht March wies die Klage am 23. Februar 2022 ab.»
- Kantonsgericht Schwyz
- Der Kläger gelangte dagegen mit Berufung ans Kantonsgericht Schwyz.
- Das Kantonsgericht Schwyz wies am 30. Mai 2023 ab, soweit es darauf eintrat.
- Bundesgericht
- Der Beschwerdeführer beantragte – streitwertbedingt – mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Klage sei gutzuheissen.
- Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
- Das Gesuch des Beschwerdeführers um (superprovisorische) Erteilung der aufschiebenden Wirkung wurde am 6. Juli 2023 abgelehnt.
Erwägungen des Bundesgerichts
Die Zusammenfassung der wesentlichen Erwägungen des Bundesgerichts:
- Absichtliche Täuschung?
- Voraussetzungen
- Verleitete ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung die andere Vertragspartei zum Vertragsabschluss, so ist der Vertrag für ihn gemäss OR 28 Abs. 1 selbst dann unverbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
- Täuschendes Verhalten
- Das täuschende Verhalten kann bestehen
- in der Vorspiegelung falscher Tatsachen oder
- im Verschweigen von Tatsachen.
- Kumulative Anrufung
- Der Getäuschte kann sich bei einem wesentlichen Irrtum kumulativ auf den Irrtum im Sinne von OR 24 berufen (siehe Box unten).
- Das täuschende Verhalten kann bestehen
- Voraussetzungen
- Grundlagenirrtum
- Irrtum bei Vertragsabschluss
- Gemäss OR 23 ist der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat.
- Wesentlicher Irrtum
- Ein wesentlicher Irrtum nach OR 24 besteht dann, wenn sich der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt bezog, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrags betrachtet wurde.
- Voraussetzungen
- Subjektive Wesentlichkeit
- Der dem Irrtum zugrunde liegende Sachverhalt muss auch objektiv betrachtet eine notwendige Grundlage des Vertrags sein, und zwar
- vom Standpunkt her oder
- nach den Anforderungen des Geschäftsverkehrs.
- Irrtum bei Vertragsabschluss
- Im konkreten Fall
- Absichtliche Täuschung?
- Täuschung
- Eine absichtliche Täuschung war in concreto zu verneinen:
- Der Verkäufer
- nahm an, der erste Hagelschadensei fachmännisch repariert worden;
- konnte mangels Fachkenntnisse die Mangelhaftigkeit der Reparatur nicht erkennen;
- hat den Käufer nicht absichtlich getäuscht, indem er das Fahrzeug als «unfallfrei» bezeichnete.
- Unfall
- Ein «Unfall» setzt gemäss einer Lehrmeinung folgendes voraus:
- Dem Fahrzeug muss in der Kausalkette eine gewisse minimale Bedeutung oder Mitursache zukommen.
- Bei einem Hagelschadenist dies laut BGer nicht der Fall.
- Ein «Unfall» setzt gemäss einer Lehrmeinung folgendes voraus:
- Der Verkäufer
- Eine absichtliche Täuschung war in concreto zu verneinen:
- Täuschung
- Grundlagenirrtum?
- Ein Grundlagenirrtum lag aus folgenden Gründen nicht vor:
- Der Käufer hat beim Kauf aus der vom Verkäufer zugesicherten Mängelfreiheit nicht geschlossen,
- dass kein reparierter Hagelschadenvorliege;
- Für den Käufer wurde erst mit der Mitteilung irrtum-wesentlich,
- dass der erste Hagelschadennicht fachmännisch repariert wurde und
- dass deshalb die Reparatur des zweiten Hagelschadens unbefriedigend ausfallen werde.
- Für den Verkäufer war daher subjektiv nicht erkennbar,
- dass die Absenz eines reparierten Hagelschadens für den Käufer eine wesentliche Vertragsgrundlage bildete.
- Der behauptete Irrtum konnte nicht als objektiv wesentlich bezeichnet werden,
- weil die Absenz eines Hagelschadens für eine durchschnittlich denkende Drittperson nur dann eine notwendige Vertragsgrundlage bilden würde,
- wenn er nicht repariert wäre oder
- wenn der Wert des Fahrzeugs trotz Reparatur erheblich gemindert worden wäre.
- Insgesamt lag maximal ein unbeachtlicher «Motivirrtum» vor (vgl. OR 24 Abs. 2, siehe Box).
- weil die Absenz eines Hagelschadens für eine durchschnittlich denkende Drittperson nur dann eine notwendige Vertragsgrundlage bilden würde,
- Der Käufer hat beim Kauf aus der vom Verkäufer zugesicherten Mängelfreiheit nicht geschlossen,
- Ein Grundlagenirrtum lag aus folgenden Gründen nicht vor:
- Prozessuales
- Der Beschwerdeführer rügte zu Unrecht
- eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung;
- eine willkürliche Beweiswürdigung.
- Gemäss BGer lag keine willkürliche Anwendung von Bundesrecht durch die Vorinstanz vor.
- Der Beschwerdeführer brachte über weite Strecken lediglich eine sog. «appellatorische Kritik» am angefochtenen Urteil vor.
- Im Rahmen der Willkürprüfung bestätigte das Bundesgericht die Ansicht des Kantonsgerichts Schwyz, wonach weder ein Grundlagenirrtum, noch eine absichtliche Täuschung vorlag.
- Der Beschwerdeführer rügte zu Unrecht
- Absichtliche Täuschung?
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde war abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden konnte.
Erkenntnis des Bundesgerichts
- Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
- Die Gerichtskosten von Fr. 2’000.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
BGer 4D_37/2023 vom 25.09.2023
F. Mängel des Vertragsabschlusses
I. Irrtum
1. Wirkung
Art. 23 OR
Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat.
2. Fälle des Irrtums
Art. 24 OR
1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
- wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
- wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
- wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
- wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2 Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3 Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
II. Absichtliche Täuschung
Art. 28 OR
1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2 Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
Weiterführende Informationen
- Fahrzeugkauf
- Willensmängel
- Absichtliche Täuschung
- Grundlagenirrtum
Quelle
LawMedia Redaktionsteam