von
Urs Bürgi
Rechtsanwalt und Inhaber des zürch. Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes
Einleitung
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind aus dem täglichen Privat- und Geschäftsleben kaum mehr wegzudenken. Sie schaffen in bestimmten Branchen wie im Bankgeschäft, in der Versicherungswirtschaft, in der Telekom-Branche, im Transport- und Speditions-Bereich, im Bauwesen und in weiteren Sektoren eine Art «selbstgeschaffenes Wirtschaftsrecht» (vgl. GROSSMANN-DOERTH, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, Freiburg im Breisgau, 1933).
AGB-Klauseln dienen der Rationalisierung, der Risikoüberwälzung, der Transaktionskostensenkung und der Vertragsabschluss- und Vertragsverlängerungs-Technik.
Agenda
- Einleitung
- Definition der AGB
- Vertragsverlängerungsklauseln (Prolongationsklauseln)
- Anwendungsfälle automatischer Vertragsverlängerung
- Ziel der automatischen Vertragsverlängerung
- Grundsätzliche Gültigkeit
- Handicap der Kündigungs-Schriftform
- Konkludente Weiterführung des befristeten Vertrags
- Lauterkeitsrechtliche Missbräuchlichkeit?
- Rechtsfolge
- Geltendmachung der Lauterkeitsverletzung
- Fazit
- Auszug Gesetzesbestimmungen
- Weiterführende Informationen
Definition der AGB
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind die von einer Partei (AGB-Verwender oder Anbieter) vorformulierte und beim Vertragsschluss mit dem Partner (Kunde, Konsument) nicht ausgehandelte Vertragsbedingungen.
Vertragsverlängerungsklauseln (Prolongationsklauseln)
AGB von Dauerschuldverträgen enthalten oft Klauseln, wonach die zu Beginn vereinbarte Mindestvertragsdauer automatisch um eine weitere feste Dauer verlängert wird (= Verlängerungsperiode), wenn der Kunde nicht — unter Einhaltung einer bestimmten Kündigungsfrist — auf das Ende der Mindestdauer (schriftlich) kündigt.
Anwendungsfälle automatischer Vertragsverlängerung
Solche Vertragsverlängerungsklauseln sind vor allem in Abonnementsverträgen vorgesehen, für:
- Benutzung von Internet- und Telefonservices
- Fitnesskurse
- Tanzkurse
- Weiterbildungskurse
- öffentliche Transport- und Verkehrsmittel
- Ähnliche Dienstleistungen, die auf Dauer angelegt sind.
Ziel der automatischen Vertragsverlängerung
Dies dürfte weniger auf organisatorisch-technischen Überlegungen beruhen als auf dem Bemühen des AGB-Verwenders, den Konsumenten möglichst lange vertraglich an sich zu binden und nicht an die Konkurrenz zu verlieren.
Grundsätzliche Gültigkeit
Klauseln mit automatischer Verlängerung sind
- nicht atypisch;
- nicht ungewöhnlich (Beispiel Fitnessstudio; vgl. BGE 140 III 404 ff.);
- nicht unzulässig (kein Verstoss gegen zwingendes (Obligationen-)Recht; vgl. BGE 140 III 404 ff.).
Entsprechend können sie nach schweizerischem Obligationenrecht – im Rahmen einer globalen AGB-Übernahme – vereinbart werden.
Handicap der Kündigungs-Schriftform
Oft wird in den AGB eine schriftliche Kündigung (mittels eingeschriebenen Briefes) vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer gefordert:
- Wegen dieses Formerfordernisses läuft der Kunde als AGB-Übernehmer Gefahr,
- wegen verpasster Kündigung für eine weitere (fixe) Vertragsdauer und die sich daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen gebunden zu sein.
Konkludente Weiterführung des befristeten Vertrags
Wird nach Ablauf der fixen Vertragsdauer das Vertragsverhältnis von den Parteien konkludent weitergeführt,
- gilt der Vertrag als auf unbestimmte Dauer fortgesetzt.
Die stillschweigende Vertragsfortsetzung ist im Gesetz festgehalten für den
- Mietvertrag (OR 266 Abs. 2)
- Arbeitsvertrag (OR 334 Abs. 2).
Eine der Parteien kann in der Folge kündigen, nämlich:
- ordentlich
- unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungstermine und Kündigungsfristen;
- ausserordentlich
- aus wichtigem Grund.
«Lauterkeitsrechtliche» Missbräuchlichkeit?
Solche Verlängerungsklauseln in den AGB können sich aber je nach den konkreten Verhältnissen als missbräuchlich erweisen.
Unlauter bzw. „lauterkeitsrechtlich“ bedenklich handelt, wer AGB‘s verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil des Konsumenten (nur B2C) ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten begründen bzw. „vorsehen“ (vgl. UWG 8 (2011), siehe Box unten).
Die Tatbestandselemente sind:
- AGB-Verwendung
- Vorgesehenes Missverhältnis
- „Feststellung“ des Missverhältnisses
- „Erheblichkeit“ des Missverhältnisses
- „Ungerechtfertigtheit“ des Missverhältnisses
- „Kompensation“ nachteiliger AGB mit vorteilhaften Bestimmungen
- „Treuwidrigkeit“
- „Missverhältnis“ zum Nachteil des Konsumenten
Bei einem erheblichen, ungerechtfertigten Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten zwischen Anbieter und Konsument kann bei einer einseitig vorformulierten AGB-Klausel zur automatischen Vertragsverlängerung – ohne Möglichkeit zur Kompensation der nachteiligen mit vorteilhaften AGB-Bestimmungen – dazu führen, dass – infolge Teilnichtigkeit – auf eine Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Zeitablauf geschlossen werden kann.
Siehe ferner nachfolgend:
Rechtsfolge
- Allgemein
- Werden AGB als unlauter bzw. missbräuchlich qualifiziert, weil sie zulasten des Konsumenten ein treuwidriges, erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und Pflichten enthalten, liegt seitens des AGB-Verwenders (Anbieters) ein widerrechtliches Verhalten im Sinne der Generalklausel von UWG 2 vor.
- Zivilrechtliche Sanktion
- Ausgangslage
- Unlautere und damit nach UWG 2 widerrechtliche AGB gelten als unwirksam resp. nichtig im Sinne von OR 19 / OR 20.
- Nichtigkeit
- Die Nichtigkeit ist vom Richter – unbefristet – von Amtes wegen zu beachten
- Die Nichtigkeit erfasst einzig die als unlauter qualifizierten AGB-Klauseln (Teilnichtigkeit) und stellt die Gültigkeit den verbleibenden AGB-Klausen und den Vertrag nicht in Frage.
- Vertragsergänzung
- An die Stelle der nichtigen AGB-Klausel treten nach den Grundsätzen der Vertragsergänzung die Regeln
- des dispositiven Gesetzesrechts resp.
- der hypothetische Parteiwille bei Innominatkontrakten.
- An die Stelle der nichtigen AGB-Klausel treten nach den Grundsätzen der Vertragsergänzung die Regeln
- Ausgangslage
- Strafrechtliche Sanktion?
- Die Verwendung missbräuchlicher AGB zieht keine strafrechtlichen Sanktion nach sich, da die Norm von UWG 8 (2011) in UWG 23 nicht erwähnt ist.
Geltendmachung der Lauterkeitsverletzung
Ein Verstoss gegen die Lauterkeit würde im Rahmen der sog. „offenen Inhaltskontrolle“ nach UWG 8 (2011) festgestellt werden.
UWG 8 enthält eine relativ komplexe Tatbestands-Struktur. In der Praxis wird folgender Ablauf gewählt:
- Konsenskontrolle
- Auslegungskontrolle
- Gültigkeitskontrolle
- Offene Inhaltskontrolle
Ergibt sich aus den Kontrollen 1 – 3, dass die Vertragsparteien die betreffenden AGB gültig vereinbart haben, wird die offene Inhaltskontrolle in vier Stufen vorgenommen, und zwar in folgenden Kaskade-Schritten:
- Stufe 1:
- Herstellung einer Vergleichsbasis zur „Missverhältnis-Feststellung“.
- Stufe 2:
- Beurteilung, ob das festgestellte Missverhältnis „erheblich“ ist.
- Stufe 3:
- Vorliegen eines „erheblichen Missverhältnisses“ der Rechte + Pflichten
- > Beurteilung, ob das durch die AGB bewirkte Missverhältnis als „treuwidrig“ zu qualifizieren ist
- > Prüfung, ob der AGB-Übernehmer (Konsument) die AGB „ohne Inhaltsänderung“ oder „ohne Kompensationsgegenleistung“ des AGB-Verwenders (Anbieter) übernommen hätte.
- > Beurteilung, ob das durch die AGB bewirkte Missverhältnis als „treuwidrig“ zu qualifizieren ist
- Vorliegen eines „erheblichen Missverhältnisses“ der Rechte + Pflichten
- Stufe 4:
- Bei der Bejahung einer Treuwidrigkeit gilt das „treuwidrige erhebliche Missverhältnis“ als gleichzeitig „ungerechtfertigt“, wobei dem AGB-Verwender (Anbieter) der sog. „Gegenbeweis“ offensteht.
- Das Missverhältnis ist durch Vorteile zu mildern oder zu mindern, bis die „Missbräuchlichkeit“ beseitigt ist.
- Bei der Verneinung einer Treuwidrigkeit, da der AGB-Übernehmer (Konsument) die AGB-Klausel ohne Inhaltsänderung oder Kompensationsvorteile akzeptiert hätte,
- entfällt die Prüfung des Tatbestandselements der „Ungerechtfertigkeit“ (andere Gründe vorbehalten).
- Bei der Bejahung einer Treuwidrigkeit gilt das „treuwidrige erhebliche Missverhältnis“ als gleichzeitig „ungerechtfertigt“, wobei dem AGB-Verwender (Anbieter) der sog. „Gegenbeweis“ offensteht.
Zur Beweislast:
- Die Beweislast für das Vorliegen eines erheblichen Missverhältnisses obliegt dem AGB-Übernehmer (Konsument).
- Die Beweislast für die Kompensation mittels konkreter Vorteile aus andern AGB-Bestimmungen trägt der AGB-Verwender (Anbieter).
Fazit
Die AGB-Klausel zur Beendigung des Vertrags bzw. zur automatischen Vertragsverlängerung sollte nicht ohne Tragweitenprüfung AGB-weise übernommen und im Fristenmanagementsystem erfasst werden, damit keine Kündigungsgelegenheit verpasst wird.
Auszug Gesetzesbestimmungen
Art. 8 UWG24 Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen
Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.
24 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 17. Juni 2011, in Kraft seit 1. Juli 2012 (AS 2011 4909; BBl 2009 6151).
Art. 2 UWG Grundsatz
Unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst.
4. Kapitel: Strafbestimmungen
Art. 23 UWG48 Unlauterer Wettbewerb
1 Wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb nach Artikel 3, 4, 5 oder 6 begeht, wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.49
2 Strafantrag stellen kann, wer nach den Artikeln 9 und 10 zur Zivilklage berechtigt ist.
3 Der Bund hat im Verfahren die Rechte eines Privatklägers.50
48 Fassung gemäss Art. 2 Ziff. 1 des BB vom 7. Okt. 2005 über die Genehmigung und die Umsetzung des Strafrechtsübereink. und des Zusatzprot. des Europarates über Korruption, in Kraft seit 1. Juli 2006 (AS 2006 2371; BBl 2004 6983).
49 Fassung gemäss Ziff. II 1 des BG vom 25. Sept. 2015 (Korruptionsstrafrecht), in Kraft seit 1. Juli 2016 (AS 2016 1287; BBl 2014 3591).
50 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 17. Juni 2011, in Kraft seit 1. April 2012 (AS 2011 4909; BBl 2009 6151).
I. Ablauf der vereinbarten Dauer
Art. 266 OR
1 Haben die Parteien eine bestimmte Dauer ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart, so endet das Mietverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf dieser Dauer.
2 Setzen die Parteien das Mietverhältnis stillschweigend fort, so gilt es als unbefristetes Mietverhältnis.
I. Befristetes Arbeitsverhältnis
Art. 334 OR
1 Ein befristetes Arbeitsverhältnis endigt ohne Kündigung.
2 Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis nach Ablauf der vereinbarten Dauer stillschweigend fortgesetzt, so gilt es als unbefristetes Arbeitsverhältnis.
3 Nach Ablauf von zehn Jahren kann jede Vertragspartei ein auf längere Dauer abgeschlossenes befristetes Arbeitsverhältnis jederzeit mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten auf das Ende eines Monats kündigen.
I. Bestimmung des Inhaltes
Art. 19 OR
1 Der Inhalt des Vertrages kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden.
2 Von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarungen sind nur zulässig, wo das Gesetz nicht eine unabänderliche Vorschrift aufstellt oder die Abweichung nicht einen Verstoss gegen die öffentliche Ordnung, gegen die guten Sitten oder gegen das Recht der Persönlichkeit in sich schliesst.
II. Nichtigkeit
Art. 20 OR
1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2 Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
Weiterführende Informationen
- Allgemeine Geschäftsbedingungen im Allgemeinen
- Verlängerungsklauseln als sog. «Spezialklauseln»
- Judikatur mit Streitgegenstand AGB-Vertragsverlängerungs-Klauseln
- BGE 140 III 404 (BGer 4A_475/2013 vom 15.07.2014) (Vertragsdauer: ein Jahr; Kündigungsdauer: drei Monate vor Ablauf der Vertragsdauer)
- BGE 136 III 23 (zur Kündigungsfrist)
- BGer 5P.115/2005 (zur befristeten Verlängerungsperiode)
- Fitnesskurse
- B2C
- B2B
- Innominatkontrakte
s.e.&o. – Ohne Gewähr.
Foto: Tim Reckmann / ccnull.de