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Verkehrsrecht / Strafrecht

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Geschwindigkeits-Signalisationen + Erkennbarkeit für den Lenker

Datum:
30.05.2024
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Verkehrsrecht, Strafrecht
Thema:
Geschwindigkeits-Signalisationen
Stichworte:
Autofahren, Geschwindigkeit, Höchstgeschwindigkeit, Signalisation
Erlass:
SSV 59; SSV 101 Abs. 4
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

SSV 59; SSV 101 Abs. 4

Einleitung

Bei mehrspurigen Strassen ist es für den Fahrer oft ein Problem, innert kürzester Zeit zu erkennen, ob sich die Geschwindigkeits-Signalisation auf die ganze Fahrbahn oder nur auf einzelne Spuren bezieht.

Es kann eine reduzierte Erkennbarkeit der Signalisation bestehen, weil 1) ein LKW vorausfährt, weil 2) die Geschwindigkeitszuordnung für die Gesamtfahrbahn oder für einzelne Spuren – infolge einer Verzweigung oder Ausfahrt – nicht ohne weiteres festgestellt werden kann oder, weil 3) die abgestufte Reduktion der signalisierten Höchstgeschwindigkeit in kurzen (oder zu kurzen) Abständen erfolgt.

Nachfolgend sollen Aufschlüsse über Rechtsgrundlagen, Rechtsprechung und Handhabung der einzelnen Schwierigkeiten gewährt werden.

Fragen und Antworten

  1. Exkulpation des Nichterkennens einer Signaltafel zufolge eines vorausfahrenden Lkw?
    1. Das „Nachfahren“ hinter einem LWK mit der verkürzten Erkennungszeit von Tempo-Signalisationen ist grundsätzlich kein Entschuldigungsgrund.
    2. Entweder ist mehr Abstand zu wahren oder es ist der LKW zu überholen, was auf Autobahnen infolge der unterschiedlichen fahrzeug-bedingten Höchstgeschwindigkeiten oft möglich ist, um die Signalisation besser zu sehen.
  2. Signale für die ganze Fahrbahn oder für bloss einzelne Spuren?
    1. Grundsatz
      1. Die Signale gelten für die gesamte Fahrbahn,
        • sofern sich nicht aus ihrer Anordnung über der Fahrbahn oder aus einzelnen Bestimmungen (zB SSV 59) zweifelsfrei ergibt,
          • dass sie nur für einzelne Fahrstreifen oder besondere Verkehrsflächen gelten» (SSV 101 Abs. 4).
      2. Auf eine spurübergreifende Geltung des Geschwindigkeitssignals kann auch aus dem Umstand geschlossen werden, dass dieses Signal am gleichen «Überkopfständer» befestigt ist wie die den jeweiligen Fahrspuren zugeordneten Wegweiser.
    2. Ausnahme-Situationen
      1. Die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit nur auf eine abgehende Spur müsste mindestens durch eine nachgeordnete Platzierung des betreffenden Signals deutlich gemacht werden.
  3. In kurzen (oder zu kurzen?) Abständen abgestufte Reduktion der signalisierten Höchstgeschwindigkeit?
    1. Verhaltens-Grundsatz
      1. Im Falle einer spurübergreifenden Signalisation ist der Lenker verpflichtet, das Tempo «jedenfalls soweit zu reduzieren, wie dies ohne Gefährdung seiner selbst oder anderer Verkehrsteilnehmer möglich …» ist.
      2. Tut der Lenker dies nicht, erfüllt er den objektiven Tatbestand von SVG 90 Abs. 2.
    2. Gestufte Reduktion der Höchstgeschwindigkeiten
      1. Weisungen des EJPD vom 13.03.1990 zur Festlegung abweichender Höchstgeschwindigkeiten, S. 6:
        • «Die Erfahrungen zeigen, dass auf Autobahnen und Autostrassen Abstufungen von 20 km/h genügen.»
    3. Keine abgestufte Reduktion der Höchstgeschwindigkeit
      1. Laut Bundesgericht (BGer) hat der Lenker die direkte (nicht abgestufte) Reduktion der Höchstgeschwindigkeit von 100 auf 60 km/h trotz SSV 22 Abs. 2 i.V.m. SSV 108 Abs. 5 lit. b zu beachten.
    4. Differenz-Theorie
      1. Die Differenz-Theorie In Bezug auf die direkte (nicht abgestufte) Reduktion der Höchstgeschwindigkeit bedeutet:
        1. Ein Abstellen auf eine verhältnismässige, zB 70 km/h, bei einer Höchstgeschwindigkeitsherabsetzung von 100 km/h auf 60 km/h;
        2. Nicht das Abstellen auf die tatsächliche, als unverhältnismässig angesehene Geschwindigkeit.
    5. Divergierende Rechtsprechung
      1. Urteil BGer 6B_1439/2019 vom 02.12.2020, Erw. 1.5
        • Bejahung des objektiven und subjektiven Tatbestands von SVG 90 Abs. 2 und damit der Rücksichtslosigkeit trotz direkter (nicht abgestufter) Reduktion der Höchstgeschwindigkeit,
          • nach Ansicht von PETER NÜESCH, in: „Jahrbuch Strassenverkehrsrecht 2022“, Rechtsprechung kompakt: Strassenverkehrsstrafrecht, Rz 54, S. 121,
      2. Unrecht wegen Ausserachtlassung der „Differenztheorie“.
      3. Urteil BGer 6B_755/2020 vom 03.11.2020, Erw. 4.2
        • Abstellen des BGer auf die von Polizisten hinsichtlich einer Dringlichkeitsfahrt geltend gemachte «Differenztheorie», d.h. Abstellen auf eine verhältnismässige, zB 70 km/h, und nicht auf die tatsächliche, als unverhältnismässig angesehene Geschwindigkeit, welche in concreto innerorts 92 statt 50 km/h betrug.
        • Ob Fahrzweck („Eilfahrt“) Grund für die Zulassung der Differenz-Theorie ausschlaggebend war,  lässt sich aus den Ausführungen des BGer nicht genau herauslesen.
        • Vgl. die Hinweise von PETER NÜESCH, in: „Jahrbuch Strassenverkehrsrecht 2022“, Rechtsprechung kompakt: Strassenverkehrsstrafrecht, Rz 54, S. 121.

Fazit

Es frägt sich, ob sich die «Differenz-Theorie», angewandt am 03.11.2020 (vgl. Ziffer 3/d/i oben) und wenige Tage später nicht mehr angewandt am 02.12.2020 (vgl. Ziffer 3/d/ii oben), durchsetzt.

Jeder Streit- bzw. Straffall ist – Prinzipien hin oder her – wieder anders, weshalb eine als uneinheitlich empfundene Rechtsprechung möglich ist.

Weisungen des EJPD vom 13.03.1990 zur Festlegung abweichender Höchstgeschwindigkeiten (Seite 6):

Quelle: astra2.admin.ch (abgerufen am 28.04.2024)

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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