Sachverhalt
Ein Genfer Arzt (Gynäkologe) entfernte aufgrund einer Fehldiagnose einer Patientin die Gebärmutter.
Die Patientin zeigte den Arzt bei der Aufsichtskommission über die Ärzte an.
Prozess-History
- Kantonale Behörde / Gericht
- Der Kanton Genf verhängte ein dreimonatiges Berufsverbot.
- Bundesgericht
- Der Gynäkologe erhob dagegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht.
Erwägungen
Das Bundesgericht erwog zusammengefasst folgendes:
- Bundesrecht
- Das Bundesrecht regelt in MedBG 40 – abschliessend – die Berufspflichten von Personen, die einen «universitären Medizinalberuf» in eigener fachlicher Verantwortung ausüben.
- Kantonales Recht
- Kantonale Bestimmungen sind dann mit dem Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts konform (vgl. BV 49 Abs. 1), sofern und soweit sie die Pflichten von MedBG 40 präzisieren und/oder konkretisieren.
- Generalklausel zur sorgfältigen und gewissenhaften Ausübung
- Allgemein
- Der bundesrechtliche Vorrang gilt insbesondere für die Generalklauseln zur
- sorgfältigen und gewissenhaften Ausübung der medizinischen Berufe (MedBG 40 lit. a) und
- Wahrung der Patientenrechte (MedBG 40 lit. c).
- Der bundesrechtliche Vorrang gilt insbesondere für die Generalklauseln zur
- Kantonales Recht
- Das Genfer Recht konnte berücksichtigt werden, soweit es anerkannte Regeln und Prinzipien der Schweiz zum Ausdruck bringt.
- Allgemein
- In concreto
- Detail-Sachverhalt
- Der Arzt verletzte seine Pflicht zur sorgfältigen Berufsausübung,
- indem er
- keine Differentialdiagnose durchführte,
- sondern aufgrund eines einzigen Symptoms Krebs diagnostizierte;
- die Patientin mangelhaft informierte:
- nur mündliche Information über die angebliche Notwendigkeit der Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie) und erst unmittelbar im Anschluss an eine erste Operation (Hysteroskopie), welche aus Sicht des Arztes nicht den gewünschten Erfolg brachte.
- Die Patientin konnte nicht erkennen, dass sie nach der Hysterektomie keine Kinder mehr werde gebären können.
- das Patientendossier unvollständig und teilweise fehlerhaft führte.
- keine Differentialdiagnose durchführte,
- indem er
- Der Arzt verletzte seine Pflicht zur sorgfältigen Berufsausübung,
- Gegenstand der Berufsregelverletzung
- Diagnosefehler (Verletzung der Sorgfaltspflicht und von Berufsregeln)
- Eine sorgfältige und gewissenhafte Berufsausübung hätte die Anwendung der Differenzialdiagnose erfordert.
- Verletzung der Informationspflicht gegenüber der Patientin
- Die Wahrung der Patientenrechte verlangt eine Aufklärung der Patientin so, dass sie ihre Selbstbestimmungsrechte hätte nutzen können.
- Lückenhafte Führung der Patientenakte
- Die medizinische Patientenentwicklung und der Behandlungsverlauf waren deshalb nicht nachvollziehbar.
- Diagnosefehler (Verletzung der Sorgfaltspflicht und von Berufsregeln)
- Disziplinarmassnahme
- Das Verbot, den Arztberuf während drei Monaten ausüben zu dürfen, ist laut Bundesgericht als Disziplinarmassnahme verhältnismässig.
- Detail-Sachverhalt
Entscheid
- Abweisung der Beschwerde des Arztes in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Kostenfolge.
BGer 2C_53/2022 vom 22.11.2022 = BGE 149 II 109 ff.
Art. 40 MedBG Berufspflichten
Personen, die einen universitären Medizinalberuf in eigener fachlicher Verantwortung ausüben, halten sich an folgende Berufspflichten:70
- Sie üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus; sie halten sich an die Grenzen der Kompetenzen, die sie im Rahmen der Aus-, Weiter- und Fortbildung erworben haben.
- 71 Sie vertiefen, erweitern und verbessern ihre beruflichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Interesse der Qualitätssicherung durch lebenslange Fortbildung.
- Sie wahren die Rechte der Patientinnen und Patienten.
- Sie machen nur Werbung, die objektiv ist, dem öffentlichen Bedürfnis entspricht und weder irreführend noch aufdringlich ist.
- Sie wahren bei der Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Gesundheitsberufe ausschliesslich die Interessen der Patientinnen und Patienten und handeln unabhängig von finanziellen Vorteilen.
- Sie wahren das Berufsgeheimnis nach Massgabe der einschlägigen Vorschriften.
- Sie leisten in dringenden Fällen Beistand und wirken nach Massgabe der kantonalen Vorschriften in Notfalldiensten mit.
- 72 Sie schliessen eine Berufshaftpflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, ab oder weisen eine solche Versicherung auf, es sei denn, die Ausübung ihrer Tätigkeit unterliegt dem Staatshaftungsrecht.
70 Fassung gemäss Anhang Ziff. 4 des Gesundheitsberufegesetzes vom 30. Sept. 2016, in Kraft seit 1. Febr. 2020 (AS 2020 57; BBl 2015 8715).
71 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 20. März 2015, in Kraft seit 1. Jan. 2018 (AS 2015 5081, 2017 2703; BBl 2013 6205).
72 Fassung gemäss Anhang Ziff. 4 des Gesundheitsberufegesetzes vom 30. Sept. 2016, in Kraft seit 1. Febr. 2020 (AS 2020 57; BBl 2015 8715).
Art. 43 MedBG Disziplinarmassnahmen
1 Bei Verletzung der Berufspflichten, der Vorschriften dieses Gesetzes oder von Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz kann die Aufsichtsbehörde folgende Disziplinarmassnahmen anordnen:
- eine Verwarnung;
- einen Verweis;
- eine Busse bis zu 20 000 Franken;
- ein Verbot der Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung für längstens sechs Jahre (befristetes Verbot);
- ein definitives Verbot der Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung für das ganze oder einen Teil des Tätigkeitsspektrums.
2 Für die Verletzung der Berufspflichten nach Artikel 40 Buchstabe b können nur Disziplinarmassnahmen gemäss Absatz 1 Buchstaben a–c verhängt werden.
3 Eine Busse kann zusätzlich zu einem Verbot der Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung angeordnet werden.
4 Die Aufsichtsbehörde kann die Bewilligung zur Berufsausübung während des Disziplinarverfahrens einschränken, mit Auflagen versehen oder entziehen.
Art. 49 BV Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts
1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2 Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
Weiterführende Informationen
- Arzt bei staatlicher Gesundheitseinrichtung
- Rechtsverhältnis Arzt + Patient
- Arzt + Auftragsverhältnis
- Arzthaftung
Quelle
LawMedia Redaktionsteam