von
Urs Bürgi
Rechtsanwalt und Inhaber des zürch. Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes
Einleitung
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) haben – vor allem bei Massengeschäften – eine grosse Bedeutung und begründen eine Art «selbstgeschaffenes Wirtschaftsrecht».
Agenda
- Einleitung
- Definition der AGB
- Abgrenzungen
- Die einseitigen Änderungsrechte
- Anwendungsfälle einseitiger Änderungsrechte
- Ziel der einseitigen Änderungsklauseln
- Grundsätzliche Gültigkeit
- Lauterkeitsrechtliche Missbräuchlichkeit?
- Rechtsfolge
- Geltendmachung der Lauterkeitsverletzung
- Fazit
- Auszug Gesetzesbestimmungen
- Weiterführende Informationen
Definition der AGB
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) beinhalten die von einer Partei (AGB-Verwender oder Anbieter) redigierten und bei der Vertragsabrede mit dem Partner (Kunde, Konsument) in der Regel nicht behandelten bzw. nicht individualisierten Vertragskonditionen.
Abgrenzungen
Bei den Änderungsrechten sind unterschiedliche Formulierungen und Rechtsverhältnisse anzutreffen:
- Automatikklauseln
- Arten von Automatikklauseln
- Den Automatikklauseln ist eigen, dass sie die vertraglichen Änderungsvoraussetzungen und deren Folgen abschliessend regeln
- zB mathematische Formel;
- zB Index-Regeln;
- zB Währungsumrechnungen;
- etc.
- Den Automatikklauseln ist eigen, dass sie die vertraglichen Änderungsvoraussetzungen und deren Folgen abschliessend regeln
- Rechtsnatur
- Eine solche Vertragsänderung hängt nicht von der Willenserklärung einer Partei ab.
- Automatikklauseln mit präzisem und parteiunabhängigem Massstab stellen eine äusserst transparente Form und damit unproblematische Vertragsmodifikation dar.
- Arten von Automatikklauseln
- Neuverhandlungsklauseln
- Definition
- Neuverhandlungsklauseln beinhalten vertragliche Bestimmungen, wonach die Parteien den Vertrag nach Eintritt bestimmter Bedingungen neu verhandeln sollen.
- Definition
- Gesetzliche Änderungsregeln
- Abgrenzung
- Vertragliche Änderungsklauseln, welche auf Basis übereinstimmender Willenserklärungen zu Stande kommen, sind
- einvernehmliche, parteiautonome Regeln;
- keine gesetzlich verankerten Änderungsregeln.
- Vertragliche Änderungsklauseln, welche auf Basis übereinstimmender Willenserklärungen zu Stande kommen, sind
- Eigennormen
- Parteiregeln sind gemäss der Lehre sog. Eigennormen der Parteien.
- Fremdnormen
- Gesetzliche Änderungsregeln sind sog. Fremdnormen, welche eine einseitige Vertragsänderung unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, wie
- zB Mietrecht (OR 269d);
- zB Pauschalreiserecht (PauRG 7 und 8) über Vorschriften.
- Gesetzliche Änderungsregeln sind sog. Fremdnormen, welche eine einseitige Vertragsänderung unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, wie
- Abgrenzung
- Clausula rebus sic stantibus
- Definition
- Nach der clausula rebus sic stantibus kann eine Vertragsanpassung verlangt werden, wenn einer Partei die unveränderte Vertragserfüllung aufgrund unvorhersehbarer Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann.
- Korrekturwirkung
- Die clausula rebus sic stantibus erfasst somit Situationen, in welcher sich eine Vertragsanpassung aufgrund einer erheblichen Äquivalenzstörung aufdrängt.
- Vgl. hiezu auch
- Definition
Die einseitigen Änderungsrechte
Die AGB von Dauerschuldverträgen – wie hievor erwähnt – Klauseln enthalten, die veränderte Verhältnisse berücksichtigen, sei dies bei der Gegenleistung (v.a. Kaufpreis und dessen Bedingungen) oder sonstigen Kondition bzw. Vertragsbedingungen.
Vgl. hiezu nachgenannten Anwendungsfälle.
Anwendungsfälle einseitiger Änderungsrechte
Es lassen sich hier zwei Gruppierungen feststellen:
- Weitgehend unproblematische Änderungsverhältnisse
- Vereinbarung einer Preis- oder Leistungsanpassung anhand genau definierter Referenzwerte wie
- Landesindex der Konsumentenpreise
- Rohstoff- oder Energiepreise
- Wechselkurse
- Leitzinssatz der Nationalbank
- Etc.
- Vereinbarung einer Preis- oder Leistungsanpassung anhand genau definierter Referenzwerte wie
- Problematische Änderungsverhältnisse
- Ein Konsens notwendig machende Änderungsverhältnisse
- voraussetzungslose Änderungsmöglichkeiten
- im Ausmass beliebige Änderungsrechte des AGB-Verwenders.
- Ein Konsens notwendig machende Änderungsverhältnisse
Ziel der einseitigen Änderungsklauseln
Klauseln für eine einseitige AGB-Änderung sind für den AGB-Verwender praktisch.
Er kann auf veränderte Verhältnisse einfacher reagieren und die einheitlichen Vertragsstrukturen beibehalten; er braucht die Änderungen nicht individuell auszuhandeln.
Grundsätzliche Gültigkeit
Zunächst ist zu prüfen, ob ein Konsens über die einseitige Änderungsrechtsklausel besteht.
Fehlt eine Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des Vertragsinhalts ist die Gültigkeit der unbestimmten und deshalb beliebigen Änderungsrechte fraglich (vgl. BGer 4A_299/2008 E. 2.5).
Unsittlich im Sinne von ZGB 27 Abs. 2 wären
- eine übermässige Bindung
- d.h. die Bindung durch die Unterwerfung
- unter das willkürliche Änderungsrecht der anderen Vertragspartei;
- eine trotz gültigem einseitigem Änderungsrecht ungewöhnliche Bestimmung,
- d.h. wenn diese kein Ausstiegsrecht für die Vertragspartei vorsieht,
- die die einseitigen Änderungen nicht mittragen will;
- vgl. BGer 4A_299/2008 E. 2.6 – 3.5.
Dem AGB-Verwender ist folgendes zu empfehlen:
- Beschränkung des einseitigen Änderungsrechts auf effektiv änderungsbedürftige Punkte;
- Genaue Definition
- des Änderungsausmasses;
- des Referenzwertes.
«Lauterkeitsrechtliche» Missbräuchlichkeit?
Solche Verlängerungsklauseln in den AGB können sich aber je nach den konkreten Verhältnissen als missbräuchlich erweisen.
Unlauter bzw. „lauterkeitsrechtlich“ bedenklich handelt, wer AGB‘s verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil des Konsumenten (nur B2C) ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten begründen bzw. „vorsehen“ (vgl. UWG 8 (2011), siehe Box unten).
Die Tatbestandselemente sind:
- AGB-Verwendung
- Vorgesehenes Missverhältnis
- „Feststellung“ des Missverhältnisses
- „Erheblichkeit“ des Missverhältnisses
- „Ungerechtfertigtheit“ des Missverhältnisses
- „Kompensation“ nachteiliger AGB mit vorteilhaften Bestimmungen
- „Treuwidrigkeit“
- „Missverhältnis“ zum Nachteil des Konsumenten
Bei einem erheblichen, ungerechtfertigten Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten zwischen Anbieter und Konsument kann bei einer einseitig vorformulierten AGB-Klausel zur automatischen Vertragsverlängerung – ohne Möglichkeit zur Kompensation der nachteiligen mit vorteilhaften AGB-Bestimmungen – dazu führen, dass – infolge Teilnichtigkeit – auf eine Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Zeitablauf geschlossen werden kann.
Siehe ferner nachfolgend:
Rechtsfolge
- Allgemein
- Werden AGB als unlauter bzw. missbräuchlich qualifiziert, weil sie zulasten des Konsumenten ein treuwidriges, erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und Pflichten enthalten, liegt seitens des AGB-Verwenders (Anbieters) ein widerrechtliches Verhalten im Sinne der Generalklausel von UWG 2 vor.
- Zivilrechtliche Sanktion
- Ausgangslage
- Unlautere und damit nach UWG 2 widerrechtliche AGB gelten als unwirksam resp. nichtig im Sinne von OR 19 / OR 20.
- Nichtigkeit
- Die Nichtigkeit ist vom Richter – unbefristet – von Amtes wegen zu beachten
- Die Nichtigkeit erfasst einzig die als unlauter qualifizierten AGB-Klauseln (Teilnichtigkeit) und stellt die Gültigkeit den verbleibenden AGB-Klausen und den Vertrag nicht in Frage.
- Vertragsergänzung
- An die Stelle der nichtigen AGB-Klausel treten nach den Grundsätzen der Vertragsergänzung die Regeln
- des dispositiven Gesetzesrechts resp.
- der hypothetische Parteiwille bei Innominatkontrakten.
- An die Stelle der nichtigen AGB-Klausel treten nach den Grundsätzen der Vertragsergänzung die Regeln
- Ausgangslage
- Strafrechtliche Sanktion?
- Die Verwendung missbräuchlicher AGB zieht keine strafrechtlichen Sanktion nach sich, da die Norm von UWG 8 (2011) in UWG 23 nicht erwähnt ist.
Geltendmachung der Lauterkeitsverletzung
Ein Verstoss gegen die Lauterkeit würde im Rahmen der sog. „offenen Inhaltskontrolle“ nach UWG 8 (2011) festgestellt werden.
UWG 8 enthält eine relativ komplexe Tatbestands-Struktur. In der Praxis wird folgender Ablauf gewählt:
- Konsenskontrolle
- Auslegungskontrolle
- Gültigkeitskontrolle
- Offene Inhaltskontrolle
Ergibt sich aus den Kontrollen 1 – 3, dass die Vertragsparteien die betreffenden AGB gültig vereinbart haben, wird die offene Inhaltskontrolle in vier Stufen vorgenommen, und zwar in folgenden Kaskade-Schritten:
- Stufe 1:
- Herstellung einer Vergleichsbasis zur „Missverhältnis-Feststellung“.
- Stufe 2:
- Beurteilung, ob das festgestellte Missverhältnis „erheblich“ ist.
- Stufe 3:
- Vorliegen eines „erheblichen Missverhältnisses“ der Rechte + Pflichten
- > Beurteilung, ob das durch die AGB bewirkte Missverhältnis als „treuwidrig“ zu qualifizieren ist
- > Prüfung, ob der AGB-Übernehmer (Konsument) die AGB „ohne Inhaltsänderung“ oder „ohne Kompensationsgegenleistung“ des AGB-Verwenders (Anbieter) übernommen hätte.
- > Beurteilung, ob das durch die AGB bewirkte Missverhältnis als „treuwidrig“ zu qualifizieren ist
- Vorliegen eines „erheblichen Missverhältnisses“ der Rechte + Pflichten
- Stufe 4:
- Bei der Bejahung einer Treuwidrigkeit gilt das „treuwidrige erhebliche Missverhältnis“ als gleichzeitig „ungerechtfertigt“, wobei dem AGB-Verwender (Anbieter) der sog. „Gegenbeweis“ offensteht.
- Das Missverhältnis ist durch Vorteile zu mildern oder zu mindern, bis die „Missbräuchlichkeit“ beseitigt ist.
- Bei der Verneinung einer Treuwidrigkeit, da der AGB-Übernehmer (Konsument) die AGB-Klausel ohne Inhaltsänderung oder Kompensationsvorteile akzeptiert hätte,
- entfällt die Prüfung des Tatbestandselements der „Ungerechtfertigkeit“ (andere Gründe vorbehalten).
- Bei der Bejahung einer Treuwidrigkeit gilt das „treuwidrige erhebliche Missverhältnis“ als gleichzeitig „ungerechtfertigt“, wobei dem AGB-Verwender (Anbieter) der sog. „Gegenbeweis“ offensteht.
Zur Beweislast:
- Die Beweislast für das Vorliegen eines erheblichen Missverhältnisses obliegt dem AGB-Übernehmer (Konsument).
- Die Beweislast für die Kompensation mittels konkreter Vorteile aus andern AGB-Bestimmungen trägt der AGB-Verwender (Anbieter).
Fazit
Je unspezifischer das einseitige Änderungsrecht ist, desto grösser ist der Ermessensspielraum des AGB-Verwenders und desto grösser ist die Gefahr, dass
- das Änderungsrecht zum Nachteil des Kunden gereicht.
Unbestimmte einseitige Änderungsklauseln in den AGB können dazu zu führen, dass die einseitige Änderung nicht mehr durch ursprünglichen Konsens gedeckt ist. In solchen Fällen soll Einhalt geboten werden können.
Auszug Gesetzesbestimmungen
Art. 8 UWG24 Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen
Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.
24 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 17. Juni 2011, in Kraft seit 1. Juli 2012 (AS 2011 4909; BBl 2009 6151).
Art. 2 UWG Grundsatz
Unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst.
4. Kapitel: Strafbestimmungen
Art. 23 UWG48 Unlauterer Wettbewerb
1 Wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb nach Artikel 3, 4, 5 oder 6 begeht, wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.49
2 Strafantrag stellen kann, wer nach den Artikeln 9 und 10 zur Zivilklage berechtigt ist.
3 Der Bund hat im Verfahren die Rechte eines Privatklägers.50
48 Fassung gemäss Art. 2 Ziff. 1 des BB vom 7. Okt. 2005 über die Genehmigung und die Umsetzung des Strafrechtsübereink. und des Zusatzprot. des Europarates über Korruption, in Kraft seit 1. Juli 2006 (AS 2006 2371; BBl 2004 6983).
49 Fassung gemäss Ziff. II 1 des BG vom 25. Sept. 2015 (Korruptionsstrafrecht), in Kraft seit 1. Juli 2016 (AS 2016 1287; BBl 2014 3591).
50 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 17. Juni 2011, in Kraft seit 1. April 2012 (AS 2011 4909; BBl 2009 6151).
I. Ablauf der vereinbarten Dauer
Art. 266 OR
1 Haben die Parteien eine bestimmte Dauer ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart, so endet das Mietverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf dieser Dauer.
2 Setzen die Parteien das Mietverhältnis stillschweigend fort, so gilt es als unbefristetes Mietverhältnis.
I. Befristetes
Arbeitsverhältnis
Art. 334 OR
1 Ein befristetes Arbeitsverhältnis endigt ohne Kündigung.
2 Wird ein befristetes Arbeitsverhältnis nach Ablauf der vereinbarten Dauer stillschweigend fortgesetzt, so gilt es als unbefristetes Arbeitsverhältnis.
3 Nach Ablauf von zehn Jahren kann jede Vertragspartei ein auf längere Dauer abgeschlossenes befristetes Arbeitsverhältnis jederzeit mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten auf das Ende eines Monats kündigen.
I. Bestimmung des Inhaltes
Art. 19 OR
1 Der Inhalt des Vertrages kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden.
2 Von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarungen sind nur zulässig, wo das Gesetz nicht eine unabänderliche Vorschrift aufstellt oder die Abweichung nicht einen Verstoss gegen die öffentliche Ordnung, gegen die guten Sitten oder gegen das Recht der Persönlichkeit in sich schliesst.
II. Nichtigkeit
Art. 20 OR
1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2 Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
Weiterführende Informationen
- Allgemeine Geschäftsbedingungen im Allgemeinen
- Änderungsklauseln als sog. «Spezialklauseln»
- Judikatur
- Fragliche beliebige Änderungsrechte
- BGer 4A_299/2008, Erw. 2.5
- Ungewöhnlichkeit bei fehlendem Ausstiegsrecht der anderen Vertragspartei
- BGer 4A_299/2008, Erw. 2.6 – 3.5
- Fragliche beliebige Änderungsrechte
- B2C
- B2B
- Innominatkontrakte
s.e.&o. – Ohne Gewähr.