Sachverhalt
Die GastroSocial Ausgleichskasse forderte mit rechtskräftiger Verfügung von der A.________ GmbH für die Zeit vom 17.09.2020 bis 31.08.2021 zu viel ausgerichtete Erwerbsausfallentschädigung im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus im Betrag von CHF 21’981.70 zurück, welche für die beiden Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung bezogen wurde.
Ein von der A.________ GmbH gestelltes Gesuch um Erlass der Rückerstattung wurde von der GastroSocial Ausgleichskasse abgewiesen (Verfügung vom 04.08.2022, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 28.10.2022):
- Begründung
- Die grosse Härte in analoger Anwendung von AHVV 40 verlange eine eingetretene oder unmittelbare drohende Überschuldung,
- wobei der COVID-19-Kredit in den Büchern der A.________ GmbH als Eigen- und nicht als Fremdkapital berücksichtigt wurde.
- Die grosse Härte in analoger Anwendung von AHVV 40 verlange eine eingetretene oder unmittelbare drohende Überschuldung,
Prozess-History
- Verwaltungsgericht des Kantons Bern
- Die A.________ GmbH liess beschwerdeweise die Aufhebung des Einspracheentscheides und den Erlass der Rückforderung beantragen.
- Das angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde am 06.02.2023 gut, hob den Einspracheentscheid vom 28.10.2022 auf und wies die Sache an die GastroSocial Ausgleichskasse zurück, damit diese – nach Vornahme der Abklärungen im Sinne der Erwägungen – neu verfüge; im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen.
- Bundesgericht
- Die GastroSocial Ausgleichskasse führte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht, mit dem Rechtsbegehren, das kantonale Urteil vom 06.02.2023 sei aufzuheben und die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 28.10.2022 vollumfänglich abzuweisen.
Begründung des Bundesgerichts
Das Bundesgericht erwog in der konkreten Sache was folgt:
- COVID-19-Gesetz und Verweisung auf EOG
- In der bundesrätlichen Botschaft vom 12.08.2020 zum COVID-19-Gesetz wurde bestimmt, dass sich die Leistungen im Zusammenhang mit dem Erwerbsausfall in Bezug auf die Umsetzung und das Verfahren an das System beim Erwerbsersatz gemäss dem EOG anlehnen.
- Daher finden die Bestimmungen aus dem EO-Bereich auf den Corona-Erwerbsersatz analoge Anwendung
- in diversen Fragen und
- grundsätzlich auch zur Frage des Erlasses.
- Keine mildernden Umstände
- Im konkreten Fall waren keine speziellen Umstände ersichtlich,
- welche ausnahmsweise für eine mildere Betrachtung der grossen Härte sprechen könnten.
- Daher ist für die Beurteilung der grossen Härte der prinzipiell anwendbare strenge Massstab entscheidend.
- Im konkreten Fall waren keine speziellen Umstände ersichtlich,
- Erlassvoraussetzungen
- Die Erlassvoraussetzung dürfen daher nur bejaht werden, wenn
- eine Überschuldung unmittelbar eingetreten ist oder
- unmittelbar droht.
- Die Erlassvoraussetzung dürfen daher nur bejaht werden, wenn
- Überschuldung einer GmbH
- Die Überschuldung bei einer GmbH liegt vor, wenn
- 1) durch Kapitalverluste das gesamte Eigenkapital und
- 2) ein Teil des Fremdkapitals nicht mehr gedeckt sind,
- weder zu
- Fortführungsführungswerten,
- noch zu
- Liquidationswerten.
- Die Überschuldung bei einer GmbH liegt vor, wenn
- COVID-19-Kredite als Fremdkapital
- Für die Prüfung der Frage,
- ob eine Überschuldung besteht oder unmittelbar droht,
- sind COVID-19-Kredite, wie alle anderen Kredite auch,
- ungeachtet der Bestimmung von Art. 24 Covid.19-SBüG,
- als Fremdkapital zu berücksichtigen.
- sind COVID-19-Kredite, wie alle anderen Kredite auch,
- ob eine Überschuldung besteht oder unmittelbar droht,
- Für die Prüfung der Frage,
Entscheid des Bundesgerichts
- Abweisung der Beschwerde der GastroSocial Ausgleichskasse.
BGer 9C_202/2023 vom 21.12.2023 = BGE 150 V 57 ff.
Art. 40 AHVV Erlass der Nachzahlung
1 Nachzahlungspflichtigen, die in gutem Glauben annehmen konnten, die nachgeforderten Beiträge nicht zu schulden, ist die Nachzahlung ganz oder teilweise zu erlassen, wenn diese für sie angesichts ihrer Verhältnisse eine grosse Härte bedeuten würde.
2 Der Erlass wird von der Ausgleichskasse auf schriftliches Gesuch des Nachzahlungspflichtigen hin verfügt. Das Gesuch ist zu begründen und innert 30 Tagen seit der Zustellung der Nachzahlungsverfügung der Ausgleichskasse einzureichen. Vorbehalten bleibt Absatz 3.
3 Sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 offensichtlich erfüllt, so kann die Ausgleichskasse den Erlass auch von sich aus verfügen.
4 Die Erlassverfügungen sind den Gesuchstellern zuzustellen.
Art. 25 ATSG Rückerstattung
1 Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten. Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt.
2 Der Rückforderungsanspruch erlischt drei Jahre, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre seit der Auszahlung der einzelnen Leistung.19 Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend.
3 Zuviel bezahlte Beiträge können zurückgefordert werden. Der Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem der Beitragspflichtige von seinen zu hohen Zahlungen Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge bezahlt wurden.
Art. 24 Covid-19-SBüG Kapitalverlust und Überschuldung
1 Für die Berechnung der Deckung von Kapital und Reserven nach Artikel 725a Absatz 1 OR und für die Berechnung einer Überschuldung nach Artikel 725b Absatz 1 OR werden Kredite, die gestützt auf Artikel 3 Covid-19-SBüV verbürgt wurden, nicht als Fremdkapital berücksichtigt.
2 Absatz 1 gilt sinngemäss für alle Rechtsformen, die einer gesetzlichen Anzeigepflicht bei Kapitalverlust und bei Überschuldung nach Artikel 725a und 725b OR unterstehen.
Weiterführende Informationen
- Botschaft vom 12.08.2020 zum COVID-19-Gesetz
- COVID-19 LAWINFO-Beiträge (Auszug)
- COVID-19-Kredit
- COVID-19-Missbrauchsfälle
- Kapitalverlust und Überschuldung
- Allgemein
- AG
- GmbH
Quelle
LawMedia Redaktionsteam