Ausgangslage
Dem Bundesgerichtsentscheid 5A_691/2023 liegt die Berechnung der Verwirkungsfrist der Klagebewilligung gemäss ZPO 209 Abs. 3 im Kontext einer erbrechtlichen Streitigkeit zugrunde.
Entscheid-Thematik
Bisherige Rechtsprechung
Das Bundesgericht musste in seiner bisherigen Rechtsprechung zu ZPO 142 Abs. 1 und 2 noch nie zum Verhältnis von ZPO 142 zum Europäischen Fristenübereinkommen äussern; es wäre dies nur erforderlich gewesen, wenn sich diese beiden Normierungen widersprechen würden.
- ZPO 142 Abs. 1
- Allgemeiner Beginn des Fristenlaufs
- Gemäss ZPO 142 beginnen Fristen, welche durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, am folgenden Tag zu laufen (Abs. 1).
- Allgemeiner Beginn des Fristenlaufs
- ZPO 142 Abs. 2, 1. Satz
- Nach Monaten bestimmte Frist
- Berechnet sich eine Frist nach Monaten, so endet diese im letzten Monat an dem Tag, welcher dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem die Frist zu laufen begann (Abs. 2, Satz 1).
- Nach Monaten bestimmte Frist
- ZPO 142 Abs. 2, 2. Satz
- Fehlen einer Zahl für den Ablauf des massgeblichen Tags im letzten Monat der Frist
- Fehlt der entsprechende Tag, so endet die Frist am letzten Tag des Monats (Abs. 2, Satz 2).
- Fehlen einer Zahl für den Ablauf des massgeblichen Tags im letzten Monat der Frist
- ZPO 142 Abs. 3
- Gesetzliche Fristverlängerung
- Fällt der letzte Tag einer Frist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Gerichtsort vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet sie am nächsten Werktag (Abs. 3).
- Gesetzliche Fristverlängerung
Theorienstreit
Umstritten war bisher, wie Abs. 1 und 2 von ZPO 142 auszulegen sind:
- Die Hauptfrage war,
- ob die beiden Absätze von ZPO 142 zu «kombinieren» sind,
- d.h. dass der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann»,
- nach ZPO 142 Abs. 2 in Anwendung von ZPO 142 Abs. 1 definiert wird als der Tag,
- welcher einer Mitteilung oder dem Eintritt eines Ereignisses folgt,
- nach ZPO 142 Abs. 2 in Anwendung von ZPO 142 Abs. 1 definiert wird als der Tag,
- d.h. dass der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann»,
- ob die beiden Absätze von ZPO 142 zu «kombinieren» sind,
oder,
-
- ob die beiden Absätze von ZPO 142 «getrennt» auszulegen sind,
- d.h. dass sich Abs. 1
- nur auf Tagesfristen bezieht und
- demgegenüber für die Berechnung einer Frist nach Monaten der Ereignistag (Fristablauf) relevanter Bezugspunkt bildet.
- nur auf Tagesfristen bezieht und
- d.h. dass sich Abs. 1
- ob die beiden Absätze von ZPO 142 «getrennt» auszulegen sind,
Neue Rechtsprechung
Nach einer näheren Befassung mit der Lehre und einer umfassenden Auslegung von ZPO 142 Abs. 2 folgerte das Bundesgericht nun,
- dass ZPO 142 Abs. 2 so auszulegen ist,
- dass der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann»,
- sich nicht nach ZPO 142 Abs. 1 richte (Tag nach dem Empfang),
- sondern auf den Tag des fristauslösenden Ereignisses (Empfangstag) Bezug nehme.
- dass der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann»,
In casu
Der Beschwerdeführer verpasste bei der neuen Anwendung der Rechtsprechung zu ZPO 142 Abs. 2 die Klagefrist gemäss ZPO 209 Abs. 3.
Kein Normenkonflikt zwischen ZPO 142 Abs. 2 und dem Europäisches Übereinkommen über die Berechnung von Fristen
Es besteht kein Normenkonflikt zwischen ZPO 142 Abs. 2 und dem Europäischen Fristenübereinkommen, weshalb die Frage nach deren Verhältnis nicht zu beantworten war.
Entscheid des Bundesgerichts
- Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
- Aufhebung des Entscheides des Kantonsgerichts Schwyz und Rückweisung der Sache zur weiteren Beurteilung an das Bezirksgericht Höfe.
- Keine Gerichtskosten und keine Parteientschädigungen.
BGer 5A_691/2023 vom 13.08.2024
1. Abschnitt: Fristen
Art. 142 ZGB Beginn und Berechnung
1 Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen.
2 Berechnet sich eine Frist nach Monaten, so endet sie im letzten Monat an dem Tag, der dieselbe Zahl trägt wie der Tag, an dem die Frist zu laufen begann. Fehlt der entsprechende Tag, so endet die Frist am letzten Tag des Monats.
3 Fällt der letzte Tag einer Frist auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen am Gerichtsort vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet sie am nächsten Werktag.
Art. 209 Klagebewilligung
1 Kommt es zu keiner Einigung, so hält die Schlichtungsbehörde dies im Protokoll fest und erteilt die Klagebewilligung:
- bei der Anfechtung von Miet- und Pachtzinserhöhungen: dem Vermieter oder Verpächter;
- in den übrigen Fällen: der klagenden Partei.
2 Die Klagebewilligung enthält:
- die Namen und Adressen der Parteien und allfälliger Vertretungen;
- das Rechtsbegehren der klagenden Partei mit Streitgegenstand und eine allfällige Widerklage;
- das Datum der Einleitung des Schlichtungsverfahrens;
- die Verfügung über die Kosten des Schlichtungsverfahrens;
- das Datum der Klagebewilligung;
- die Unterschrift der Schlichtungsbehörde.
3 Nach Eröffnung berechtigt die Klagebewilligung während dreier Monate zur Einreichung der Klage beim Gericht.
4 In Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht beträgt die Klagefrist 30 Tage. Vorbehalten bleiben weitere besondere gesetzliche und gerichtliche Klagefristen.
Weiterführende Informationen
Europäisches Übereinkommen über die Berechnung von Fristen vom 16.05.1972 (SR 0.221.122.3)
- Europäisches Übereinkommen über die Berechnung von Fristen | fedlex.admin.ch
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam