Rechtsanwalt und Inhaber des zürch. Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes,
Bürgi Nägeli Rechtsanwälte, Zürich
Einleitung
Dieser Tage scheint es, als würden sich die Behörden einen Sport daraus machen, Bürgern und Usern rechtsmittelfähige Verfügungen zuzustellen, deren Fristenlauf zwischen Weihnachten und Neujahr enden. Hoffen die Behörden auf einen Verfahrensfortschritt durch Rechtsmittelverzicht mangels Lust und/oder Zeit der Betroffenen? Erboste Verfügungsempfänger empfanden es als zusätzlich stossend, dass die betreffenden Verwaltungsverfahren mehrere Jahre von den Verwaltungen unbearbeitet liegen blieben.
Agenda
Fristen
Fristen im Allgemeinen
Im Rechtsalltag und insbesondere in Verwaltungsverfahren sind Fristen von grosser Bedeutung.
(Gesetzliche) Fristen in Rechtsmittelverfahren
In Rechtsmittelverfahren gelten sog. «gesetzliche Fristen» für die Erhebung eines Rekurses oder einer Beschwerde gegen die Verfügung oder einen Beschluss:
- Gesetzliche Fristen sind nicht erstreckbar.
Beim Bund und den meisten Kantonen beträgt die ordentliche Rechtsmittelfrist:
- 30 Tage.
Die Fristen betragen manchmal auch nur
- 20 Tage;
- in einzelnen Kantonen können die ordentlichen Fristen sogar kürzer sein.
Behördliche oder gerichtliche Fristen
Behördliche bzw. gerichtliche Fristen während des Rechtsmittelverfahrens für
- Rekurs- oder Beschwerdeantwort
- Replik
- Duplik
- weitere verfahrensleitende Anordnungen
sind meistens:
- erstreckbar.
Gerichtsferien
In Gerichtsverfahren gelten in der Regel Gerichtsferien, während denen die Fristen stillstehen,
- über die hohen Feiertage
-
- Weihnachten
- Neujahr
- Ostern
- im Sommer.
Gerichtsverfahren
In Gerichtsverfahren gelten in fristenrechtlicher Hinsicht zumutbare und mit den Gerichtsferien faire Lösungen.
Verwaltungsverfahren
Keine Gerichtsferien / kein Rechtsstillstand
In Verfahren vor den Verwaltungsbehörden gibt es
- keine Gerichtsferien und damit
- keinen Rechtsstillstand.
Dies bewirkt, dass die gesetzlichen und behördlichen Fristen auch über die erwähnten hohen Feiertage und während der Sommerpause weiterlaufen!
Für die Betroffenen und die Rechtsanwälte wird der fehlende Rechtsstillstand als stossend empfunden, wenn in Verwaltungsverfahren bei fristgebundenen Publikationen in keiner Weise Rücksicht genommen wird; – absichtlich oder gedankenlos?
Beschleunigungswirkung?
Wird die Gesamtdauer von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren betrachtet, stellen sich die Betroffenen mit Fug die Frage, ob hohe Feiertage und die Sommerpause als Beschleunigungspotentiale herhalten müssen.
Eine andere Frage ist, ob die Zustellung von Verfügungen vor den Feiertagen und in der Sommerpause eine echte Beschleunigungswirkung darstellen:
- Behörden und Private sind erschwert erreichbar;
- Die Rechtsschrift muss über die Oster- oder Weihnachtstage ausgearbeitet werden;
- Trifft die Eingabe nach Weihnachten bei der Rechtsmittelinstanz ein, liegt sie während der Weihnachts-Betriebsferien von mehr als einer Woche unbearbeitet dort.
Unhaltbar und verfassungswidrig
Für alle Beteiligten sind Verfügungen vor Weihnachten, Ostern und vor der Sommerpause unhaltbar.
Zudem verstösst ein solches Behördenvorgehen gegen
- Treu und Glauben
- (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV)
- den verfassungsrechtlichen Anspruch auf gerechte Behandlung
- das Gebot der Fairness
Fazit
Wünschbar wären
- Gesetzliche Regelungen
-
- Positiv wäre die Schaffung entsprechender gesetzlicher Regelungen für Verwaltungsverfahren.
- Rücksichtsvolles Verwaltungshandeln
-
- Erwartet werden darf eine rücksichtsvolle Eröffnung von Entscheiden und fristauslösenden Anordnungen durch die Behörden.
- Beachtung der Bundesverfassung
-
- Angebracht wäre die Beachtung verfassungsrechtlichen Ansprüche auf
- eine Behandlung nach Treu und Glauben;
- ein faires Verfahren.
- Angebracht wäre die Beachtung verfassungsrechtlichen Ansprüche auf
Weiterführende Informationen
Publikation
- JAAG TOBIAS, Fristen – Fairness – Feiertage, ZBl 125 (2022), Heft 3, S. 113 f.