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Bildung / Schulrecht

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Mädchensekundarschule «Kathi» in Wil (SG): Aktueller Betrieb nicht verfassungskonform

Datum:
20.01.2025
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Bildungsrecht, Schulrecht
Thema:
Mädchensekundarschule „Kathi“ in Wil (SG)
Stichworte:
Betrieb, Gleichbehandlung, konfessionelle Neutralität, Mädchensekundarschule, Schulbetrieb, Verfassungskonformität
Entscheid:
BGer 2C_405/2022 vom 17.01.2025
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Der jetzige Betrieb der von der Stiftung Schule St. Katharina geführten Mädchensekundarschule «Kathi» in Wil (SG) ist mit dem Gebot der konfessionellen Neutralität von öffentlichen Schulen unvereinbar und verstösst zudem gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung:

  • Das Bundesgericht (BGer) hiess daher eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem vom Stadtparlament der Gemeinde Wil 2016 genehmigten Schulvertrag gut.

Sachverhalt

Das Kloster St. Katharina und die Politische Gemeinde Wil schlossen 1996 einen Vertrag über die Führung einer Mädchensekundarschule durch das Kloster ab:

  • Der Vertrag sieht vor, dass die «Kathi» genannte Schule nach dem gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag zu führen ist.
  • Das Wiler Stadtparlament stimmte 2016 einem Nachtrag zum Schulvertrag zu, wonach die Stiftung Schule St. Katharina den Schulvertrag übernimmt.
  • Der Stadtgemeinde Wil wurde das Recht eingeräumt, über die Aufnahme von Mädchen mit Wohnsitz Wil ins «Kathi» zu entscheiden.

History

  • Beschwerde an Stadtparlament
    • Zwei Privatpersonen und eine politische Partei erhoben gegen den Beschluss des Stadtparlaments Beschwerde.
  • Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
    • Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (VwGer SG) wies die Beschwerde (nach einem Rückweisungsentscheid des Bundesgerichts) 2022 ab.
    • Es verneinte dabei insbesondere
      • eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie
      • des Gebots der Gleichbehandlung von Mann und Frau.
  • Bundesgericht (BGer)
    • Das BGer hiess die Beschwerde an seiner öffentlichen Beratung vom 17.01.2025 gut.

Erwägungen

Der gegenwärtige Betrieb des «Kathi» gemäss dem Schulvertrag von 2016 verstösst zunächst gegen das Gebot der konfessionellen Neutralität von öffentlichen Schulen:

  • Besuch in Glaubens- und Gewissenfreiheit
    • Die Schule muss ohne Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können.
  • Gegenstand der konfessionellen Neutralität
    • Der Grundsatz der konfessionellen Neutralität beinhaltet
      • nicht nur das Ziel, die religiösen Überzeugungen der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern zu schützen,
      • sondern auch den Zweck, den Religionsfrieden zu wahren.
  • Umfang des Neutralitätsgebots
    • Das Neutralitätsgebot gilt dabei nicht absolut.
    • Kantonal unterschiedliche Gewichtungen können zulässig sein.
  • Keine Ausrichtung der Lerninhalt auf eine Glaubensrichtung
    • Lerninhalte und -methoden sowie Organisationsformen dürfen jedoch nicht systematisch auf eine Glaubensrichtung hin ausgerichtet sein.
  • Keine Druckausübung
    • Auf Schülerinnen und Schüler darf kein irgendwie gearteter Druck ausgeübt werden, an konfessionell ausgerichtetem Unterricht teilzunehmen.
  • Konfessionelle Ausrichtung
    • Das «Kathi» ist konfessionell klar christlich, beziehungsweise katholisch orientiert.
    • Es werden bewusst im Schulalltag umfangreiche religiöse Akzente gesetzt.
    • Dies betrifft Aktivitäten wie
      • Wallfahrt
      • Gottesdienste
      • Adventseinstiege
      • Meditationen
      • Assisiwoche.
    • Aufgrund der Umstände liegt es laut BGer nahe, dass seitens der Schule
      • die Erwartung zur Teilnahme besteht und
      • ein Fernbleiben mit Hürden verbunden ist.
    • Gesamthaft ist von einer konfessionellen Ausrichtung auszugehen, die eine Intensität aufweist, die mit dem Neutralitätsgebot für öffentliche Schulen nicht mehr vereinbar ist.
  • Unvereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgebot
    • Dass der Zugang ans «Kathi» nur Mädchen offensteht, ist zudem nicht mit dem Gebot der Gleichbehandlung vereinbar.
    • Es gilt der Grundsatz des gemischtgeschlechtlichen Unterrichts (Koedukation).
    • Monoedukativer (nur einem Geschlecht zugänglicher) Unterricht in einem bestimmten Bereich kann ausnahmsweise zulässig sein, wenn damit geschlechtsbedingten Benachteiligungen begegnet werden soll.
    • Eine Abweichung vom Grundsatz der Koeduktion in allen Fächern wie am «Kathi» ist nicht verfassungskonform.

Entscheid

BGer 2C_405/2022 vom 17.01.2025

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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