Einleitung
Leerkündigungen oder Leerkaufskündigungen – also die Kündigung der Mietverhältnisse in einem gesamten Mehrfamilienhaus, oft zugunsten von Sanierungen oder Neubauten – sind ein kontrovers diskutiertes Thema in der Schweizer Mietlandschaft.
So wurden in den Schweizer Medien in den vergangenen Monaten einige Fälle thematisiert, so z.B.:
- Sugus Häuser in Zürich, Kreis 5
- Vita-Siedlung im Sihltal, Langnau am Albis
Sie werfen grundlegende Fragen über den Umgang mit sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Interessen auf.
Ein Bericht der Zürcher Kantonalbank (ZKB) zeigt neue Einblicke in Häufigkeit, Auswirkungen und Ursachen dieser oft emotional aufgeladenen Praxis und lädt zur differenzierten Betrachtung ein.
Agenda
Die Fakten: Voraussetzungen und Häufigkeiten
In der Schweiz wurden zwischen 2018 und 2022 jährlich über 2’000 Mehrfamilienhäuser leergekündigt, die insgesamt 30’000 Bewohner betrafen. Solche Leerkündigungen traten besonders häufig in grossen Städten wie Zürich, Basel und Genf sowie in touristisch attraktiven Bergregionen wie Davos, Zermatt und Saanen auf. In Zürich, der am stärksten betroffenen Stadt, handelte es sich bei einem Viertel aller entmieteten Gebäude um gemeinnützige Wohnprojekte wie Genossenschaften. Dort erhielten Mieter oft alternative bezahlbare Wohnungen in anderen Objekten des gleichen Bauträgers oder kehrten nach den Umbauten zurück.
Interessanterweise konzentrieren sich Leerkündigungen überwiegend auf ältere Gebäude: 80 Prozent der betroffenen Objekte sind über 40 Jahre alt. Dieser Zusammenhang deutet auf einen erheblichen Renovationsbedarf hin, nicht zuletzt im Sinne der ökologischen Sanierung und der Erhöhung der Gebäudeeffizienz. Zugleich ist bei rund 16 Prozent der Leerkündigungen ein Totalabriss zugunsten von Neubauten dokumentiert, was die stark gestiegenen Landpreise reflektiert.
Die Betroffenen: Verdrängung oder Nachbarschaftswechsel?
Leerkündigungen haben zweifelsfrei deutliche Auswirkungen auf die betroffenen Mietparteien. Viele verlieren nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihr gewohntes soziales Umfeld. Dies betrifft insbesondere ältere Menschen, die während der Kündigungsphase selten umziehen möchten, oder junge Familien, die sich aufgrund unterschiedlicher finanzieller Belastungen eine Sanierung oder höhere Mieten im gleichen Gebäude oft nicht leisten können.
Eine zentrale Erkenntnis des Zürcher Kantonalbank-Berichts ist jedoch, dass die Mehrheit der entmieteten Mieter in derselben Gemeinde verbleibt. Rund zwei Drittel der Betroffenen fanden eine neue Wohnung in der gleichen Gemeinde, und 12 Prozent schafften es, in eine Nachbargemeinde umzuziehen. Besonders Familien mit schulpflichtigen Kindern oder ältere Menschen, die eng mit einem Quartier verbunden sind, hatten Erfolg, in ihrer vertrauten Umgebung zu bleiben. Dies stellt eine beruhigende Perspektive dar, relativiert aber nicht die finanziellen Belastungen durch die oft steigenden Marktmieten.
Dennoch gibt es Gruppen, die besonders von den Folgen betroffen sind. In den betroffenen Bergregionen beispielsweise trifft die Umnutzung von Wohnraum – etwa durch Zweitwohnungen oder Neubauten – oft sozial schwächere Gruppen, darunter saisonale Arbeitskräfte aus der Hotellerie, Gastronomie oder dem Tourismus. Diese müssen häufiger längere Arbeitswege in Kauf nehmen, da erschwinglicher Wohnraum rar ist.
Die Interessen im Konflikt: Investoren vs. Mieterschutz
Leerkündigungen sind meist ein Spiegel der miteinander konkurrierenden Interessen von Investoren, Mietern und den ökologischen oder städtebaulichen Herausforderungen. Auf der einen Seite steht der verständliche Wunsch der Investoren, durch Renovationen und Neubauten die Rentabilität von Immobilien zu steigern. In Zeiten stark gestiegener Landpreise und knappem Wohnraum bieten sich insbesondere in Städten erhebliche finanzielle Anreize, Altbauten zu modernisieren oder durch Neubauten zu ersetzen. Sanierungen sind zudem oft notwendig, um Klimaziele zu erreichen oder Gebäude energetisch fit zu machen – eine Anforderung, die in vielen Fällen auch regulatorisch verlangt wird.
Auf der anderen Seite stehen die Mieter, deren Bestandsmieten in der Regel weit unter den aktuellen Marktmieten liegen. Laut dem Bericht der Zürcher Kantonalbank ist der Unterschied zwischen Bestandes- und Angebotsmieten besonders in Städten wie Zürich erheblich – hier haben die Angebotsmieten seit 2016 um satte 38 Prozent zugelegt. So entsteht für viele Mieter ein Dilemma: Sie profitieren nicht von der höheren Wohnqualität nach Sanierungen, da sich die neuen Mieten für sie oft schlicht nicht mehr leisten lassen. Bestehende soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten könnten sich daher durch Leerkündigungen verschärfen.
Zwischen Regulierung und Prozessoptimierung
Der Bericht macht auch Unterschiede in der regionalen Herangehensweise an Leerkündigungen und Mieterschutz deutlich. Während Genf seit Jahrzehnten als Vorreiter in Sachen Mieterschutz gilt und durch strenge Regulierungen die Anzahl entmieteter Häuser gering hält, hat Basel erst kürzlich eine sogenannte Wohnschutzinitiative eingeführt. Diese verschärft, ähnlich wie in Genf, die Genehmigungsverfahren für Renovationen und begrenzt mögliche Mietzinssteigerungen. In touristischen Regionen wiederum spiegelt sich die entgegengesetzte Entwicklung wider: Die Umnutzung zu lukrativen Zweitwohnungen wird durch gesetzliche Rahmenbedingungen begünstigt, was ebenfalls häufig Leerkündigungen nach sich zieht.
Fazit: Ein notwendiges Dilemma
Die Daten der Zürcher Kantonalbank zeigen, dass das Thema Leerkündigungen weder schwarz noch weiss ist. Sie sind in den meisten Fällen ein unvermeidlicher Teil der Transformation der Immobilienlandschaft – sei es zur Modernisierung, Verbesserung der Energieeffizienz oder Erhöhung des Wohnungsmasses in verdichteten Räumen. Gleichzeitig bleibt es wichtig, den sozialen Kontext nicht zu vernachlässigen.
Investoren sollten Leerkündigungen mit Bedacht und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse ihrer Mieter umsetzen. Eine frühzeitige Kommunikation, Hilfsangebote bei der Wohnungssuche und langfristige Lösungen für bezahlbaren Wohnraum in ihren Portfolios könnten dazu beitragen, das Dilemma von Leerkündigungen zu entschärfen.
Von Seiten der Politik braucht es kreative Ansätze, um regulierend einzugreifen, etwa durch Förderprogramme für Sanierungen ohne Entmietung oder Anreize für gemeinnützigen Wohnraum. Denn eines bleibt sicher: Der steigende Druck auf den Wohnungsmarkt – insbesondere in den städtischen Zentren – erfordert Lösungen, die das Dilemma von Leerkündigungen nicht in ein soziales Drama umkippen lassen.
«Immobilien aktuell»: Die Ausgabe 02-2024
Bericht «Leerkündigungen – ein Dilemma» auf Seite 14:
Quelle: zkb.ch
A. Anfechtbarkeit der Kündigung
I. Im Allgemeinen
Art. 271 OR
1 Die Kündigung ist anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst.
2 Die Kündigung muss auf Verlangen begründet werden.
II. Kündigung durch den Vermieter
Art. 271a
1 Die Kündigung durch den Vermieter ist insbesondere anfechtbar, wenn sie ausgesprochen wird:
- weil der Mieter nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Mietverhältnis geltend macht;
- weil der Vermieter eine einseitige Vertragsänderung zu Lasten des Mieters oder eine Mietzinsanpassung durchsetzen will;
- allein um den Mieter zum Erwerb der gemieteten Wohnung zu veranlassen;
- während eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens, ausser wenn der Mieter das Verfahren missbräuchlich eingeleitet hat;
- vor Ablauf von drei Jahren nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens, in dem der Vermieter:
- zu einem erheblichen Teil unterlegen ist;
- seine Forderung oder Klage zurückgezogen oder erheblich eingeschränkt hat;
- auf die Anrufung des Richters verzichtet hat;
- mit dem Mieter einen Vergleich geschlossen oder sich sonstwie geeinigt hat;
- wegen Änderungen in der familiären Situation des Mieters, aus denen dem Vermieter keine wesentlichen Nachteile entstehen.
2 Absatz 1 Buchstabe e ist auch anwendbar, wenn der Mieter durch Schriftstücke nachweisen kann, dass er sich mit dem Vermieter ausserhalb eines Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens über eine Forderung aus dem Mietverhältnis geeinigt hat.
3 Absatz 1 Buchstaben d und e sind nicht anwendbar bei Kündigungen:
- wegen dringenden Eigenbedarfs des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte;
- wegen Zahlungsrückstand des Mieters (Art. 257d);
- wegen schwerer Verletzung der Pflicht des Mieters zu Sorgfalt und Rücksichtnahme (Art. 257f Abs. 3 und 4);
- infolge Veräusserung der Sache (Art. 261)
- aus wichtigen Gründen (Art. 266g);
- wegen Konkurs des Mieters (Art. 266h).
Quelle
LawMedia Redaktionsteam