Im Zentrum der meisten Arzthaftungsfälle steht der von Patienten erhobene Vorwurf, „nicht richtig behandelt“ worden zu sein. Früher betrachtete man es als „Kunstfehler“, wenn ein Arzt nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelte und dadurch dem Patienten ein Schaden entstand. Heute verwendet man häufiger den Begriff Behandlungsfehler um zu verdeutlichen, dass jedes ärztliche Fehlverhalten bei der Behandlung Schadenersatzpflichten auslösen kann.
Rechtsprechung
Das Bundesgericht hat festgehalten, dass nicht nur ein eigentlicher „Kunstfehler“, sondern jede Sorgfaltspflichtverletzung haftungsbegründend ist. Dies bedeutet, ohne Sorgfaltspflichtverletzung keine Haftung; selbst dann nicht, wenn der Einzelfall tragisch ist. Eine „Billigkeitshaftung“ kennt die privatrechtliche Haftungsordnung nicht.
Massgebende Kriterien für die Beurteilung eines Behandlungsfehlers sind:
- Ex-Post-Beurteilung der Angemessenheit der Behandlung (nicht ex-ante)
- keine Haftung für Schäden, deren Ursachen nach dem gegenwärtigen Stand der Medizin selbst bei aufmerksamer und gewissenhafter Prüfung nicht erkennbar waren.
- Arzt hat sein Fachwissen auf der Höhe zu halten (indirekter Fortbildungszwang)
- keine Behandlung ohne entsprechende fachliche Kompetenz (sog. Übernahmeverschulden)
- vorbefasste Meinung des Arztes unzulässig
vgl. BGE 133 III 121
Verwechslung bei Operationen
Zu Verwechslungen kann es etwa bei Amputationen oder Organentnahmen kommen.
Beispiel
Einer Patientin hätte am Mittelfinger der rechten Hand ein sog. Anker eingesetzt werden sollen. Aus Versehen operierte der Arzt die Patientin am Zeigefinger.
Transfusionsfehler
Im Rahmen einer Bluttransfusion kommt es zu Komplikationen, weil die Blutgruppe des Patienten falsch bestimmt oder Blutproben/Blutkonserven verwechselt werden.
Narkosefehler
Als problematisch erweist sich der Umstand, dass Narkoseschäden häufig nicht auf fehlerhafte bzw. unsachgemässe Narkosen zurückzuführen sind, sondern als Folge nicht voraussehbarer organisch-physiologischer Geschehensabläufe auftreten, die sich einer rechtlichen Beurteilung weitgehend entziehen.
Injektionsfehler
Eine nicht lege artis durchgeführte Injektion kann zu Abszessbildungen führen. Spritzenabszesse entstehen oft durch Infektionen der Einstichstellen. Als Ursache kommen hier etwa unsaubere Injektionsinstrumentarien in Frage.
Dem Arzt steht der Exkulpationsbeweis offen, dass er alle nach der ärztlichen Kunst gebotenen Vorkehrungen getroffen hat, und selbst bei Anwendung dieser Sorgfalt eine Infektion solcher Art nicht vermieden werden konnte.
Vor der Injektion eines für den Arzt neuen Heilmittels, hat er sich über die Handhabung bzw. Injektionsart (subkutan, intravenös etc.) zu informieren (vgl. BGE 62 II 274 – das Bundesgericht erachtete das Unterlassen in diesem Fall als Sorgfaltspflichtverletzung).
Medikamentierungsfehler
Bei der Verschreibung eines Medikaments hat der Arzt seinen Patienten über die besonderen Risiken in Kenntnis zu setzen (BGer 4C.229/2000 vom 27.11.2011).
Häufig geht es um Schädigungen des Patienten, bei denen der Arzt bestimmte Kontraindikationen, wie allergische Reaktionen des Patienten auf bestimmte Medikamente, nicht beachtet. Schädigungen können auch durch die Überdosierung eines Medikamentes entstehen. Eine Überdosis kann aber im Einzelfall zulässig sein, wenn der Arzt sie zu rechtfertigen vermag.
Vergessene Operationsinstrumente
Ein Operationszwischenfall besteht insbesondere, wenn am Ende einer Operation Instrumente wie Mulltupfer, Scheren, Klammern, Schläuche etc. in der Wunde zurückbleiben. Dies kann auch noch nach Jahren zu schweren Fremdkörperreaktionen führen (vgl. BGE 30 II 304).
Strahlenschäden
Schädigungen des Patienten – wie Verbrennungen – können durch unsachgemässe Bestrahlung, z.B. durch zu hohe Strahlendosis, erfolgen oder indem etwa eine Röntgenröhre ungenau eingestellt wird.
Beispiel
Ein Röntgenologe bestrahlte bei Kindern Warzen und Muttermale, wobei die Röntgenstrahlen die Wachstumszone der Arme und Beine erreichten. Dies führte zu Verkrüppelungen.
Hygiene
Für durch mangelhafte Hygiene verursachte Schädigungen des Patienten kann im Einzelfall der Arzt oder das verantwortliche Spital bzw. der Spitalträger haftbar gemacht werden, insbesondere wenn offensichtliche Hygienemängel Ursache einer Schädigung/Infektion sind.
Die Problematik liegt hier in der Beweissituation, die je nach Haftungsgrundlage (Vertragshaftung oder Deliktshaftung) und Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient (privatrechtlich/öffentlich-rechtlich) unterschiedlich zu beurteilen ist. Problematisch dürfte auch der Nachweis des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen den mangelhaften hygienischen Verhältnissen und der Schädigung des Patienten sein.
Kosmetische Schäden
Bei kosmetischen Operationen und Operationen mit der Gefahr kosmetischer Beeinträchtigungen kommt der ärztlichen Aufklärungspflicht eine besonders zentrale Bedeutung zu.
Beispiel
Als Folge zu kurzer Schnittführung bei der Bauchhautstraffung einer jungen Striptease-Tänzerin bildeten sich an den Nahtstellen Nekrosen, die zu bleibenden, auffallenden Narben führten, die eine weitere Berufsausübung verunmöglichten. Weil die Patientin bei verschiedenen Agenturen unter Vertrag war, konnte sie den entstandenen Verdienstausfall als Schaden geltend machen.