Um ihre Unterscheidungsfunktion erfüllen zu können, müssen Marken eine gewisse Exklusivität haben. – Der Gesetzgeber hat daher diejenigen Zeichen vom Markenschutz ausgeschlossen (MSchG 3), welche
- mit einer älteren Marke identisch sind
- ähnlich sind
- für gleichartige Waren und Dienstleistungen bestimmt sind und sich daraus eine Verwechslungsgefahr ergibt.
Es bestehen folgende relativen Ausschlussgründe, mit unterschiedlichen Grundlagen, Kriterien und Wirkungsfolgen:
- Zeichenähnlichkeit
- Gleichartigkeit von Waren und Dienstleistungen
- Verwechslungsgefahr
- Prioritätsregelung (Ältere Marke + notorisch bekannte Marke)
Vorabhinweise
- Alterspriorität
- Schutzausschluss der jüngeren Marke
- Doppel-Identität (MSchG 3 Abs. 1 lit. a)
- Zeichenidentität bei Waren- und Dienstleistungs-Gleichheit
- Verwechslungsgefahr (MSchG 3 Abs. 1 lit. b und c)
- Zeichen-Identität oder Zeichenähnlichkeit
- Waren und Dienstleistungen-Gleichheit oder -Gleichartigkeit
Zeichenähnlichkeit
Mittels des Kriteriums der „Zeichenähnlichkeit“ wird geprüft, ob sich zwei Zeichen kognitiv zu nahe kommen, sodass Fehlzurechnungen entstehen könnten:
- Allgemeine Kriterien
- Gesamteindruck der Marke
- Marken-Registereintrag
- Erinnerungsbild des Durchschnittskonsumenten
- Kennzeichnungskraft und Verhältnis zum Schutzbereich
- «Je grösser die Kennzeichnungskraft, desto grösser der Schutzbereich»
- Starke Marke
- Grosser Schutzbereich
- Schwache Marke
- Kleiner Schutzbereich
- Kriterien bei Wortmarken
- Schriftbild der Wortmarke
- Wortklang der Wortmarke
- Sinngehalt der Wortmarke
Beispiele für die Zeichenähnlichkeit
- Massgeblichkeit Gesamteindruck
- „Kamillosan“ (BGE 122 III 382)
- „Swing“ und „Swing Relaxx“ (fig.) (BVGer B-3118/2007)
- „Salamander“ (fig.) (BVGer B-4536/2007)
- Wortmarken
- Wortklang
- „Radion“ vs. „Radomat“ (BGE 119 II 473)
- „Rivella“ vs. „Apiella“ (BGE 126 III 315)
- „Escolino“ vs. „Seccolino“ (BGE 112 II 362)
- Kurzwörter
- „Boss“ vs. „Boks“ (BGE 121 III 377)
- Wortbild / Sinngehalt
- „Yello/Yellow Access“ (BGer 4C.258/2004)
- „Weissenburger“ vs. „Schwarzenburger“ (BGE 82 II 346)
- Wortklang
- Bildmarken
- „Pfotenabdruck“ (BVGer B-789/2007)
- „facebook“ (fig.) vs. „facegirl“ (fig.) (BVGer B-6921/2018)
- Sonstige Marken
- „Appenzeller“ (BGE 128 III 441)
- „ICE watch“ (fig.) vs. „NICE watch“ (fig.) (BVGer B-1481/2015
Beispiele Kennzeichenkraft bei Starker Marke / grosser Schutzbereich
- RedBull
- Kamillosan
Beispiel Kennzeichenkraft bei schwacher Marke / kleiner Schutzbereich
- Liquid Gold
Gleichartigkeit von Waren und Dienstleistungen
Die Frage, ob zwei Produkte gleichartig sind, ist aufgrund der abstrakten Begriffe zu beurteilen, wie sie im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis beansprucht sind:
- Annahmen des Publikums
- Annahmen der massgebliche Konsumentenkreise, das Angebot könnte vom selben Unternehmen oder aus dem Kontrollkreis des Markeninhabers stammen
- Kriterien
- Eigenschaften und Verwendungszweck des Produkts
- Abnehmerkreise und Substituierbarkeit des Produkts
- Indiz
- Waren- und Dienstleistungsklassen-Einteilung nach Nizza-Abkommen
Beispiele für Gleichartigkeitskonflikt
- Abstrakte Beurteilung
- „Yellow/Yellow Access“ (BGer 4C. 258/2004)
- Fehlende Relevanz der Nizza-Klassifikation
- „Appenzeller“ (BGE 128 III 441)
- Portfolio-Bildung?
- „coolwater/cool water“ (BGE 4A_242/2009)
- „Orfina“ (BE 128 III 96)
- Gleicher Verwendungszweck
- „Belvedere/Ca’Belvedere amarone“ (BVGer B-159/2014)
- Gleiche Technologie / gleiches Know-how
- „max MAXIMUM + VALUE“ (fig.) (BVGer B-7505/2006)
Verwechslungsgefahr
Generelles
Für den Fall, dass die „Zeichenähnlichkeit“ und „Gleichartigkeit“ zu bejahen sind, so ist im abschliessenden Schritt zu prüfen, ob deshalb eine rechtlich zu berücksichtigende „Verwechslungsgefahr“ droht.
Bei der Gesamtbeurteilung ist folgendes zu beachten:
- Gesamtabstand von Produkt und Zeichen
- Stärke der älteren Marke
- Monopolisierbarkeit des Überschneidungsbereiches
- Marktspezifische Besonderheiten des konkreten Markenkonflikts
Prüfungs-Detailpunkte
- Kombination von Zeichenähnlichkeit und Waren- bzw. Dienstleistungs-Gleichartigkeit
- Unmittelbare Verwechslungsgefahr
- Keine Unterscheidbarkeit der Marken durch das massgebende Publikum
- Mittelbare Verwechslungsgefahr
- Wahrnehmung der Unterschiede, aber falsche Zuordnung (zB Irrtum, es handle sich um eine Serienmarke)
- Bewusste Falsch-Vermittlung einer gleichen (Qualitäts-)Botschaft
Doppelidentität
Der Prüfungsschritt der „Verwechselbarkeit“ entfällt im Falle einer „Doppelidentität“, wo der Gesetzgeber die Verwechslungsgefahr angesichts der doppelten Übereinstimmung generell abstrakt bejaht
- Vgl. hiezu:
- Marbach Eugen / Ducrey Patrik / Wild Gregor, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 4. Auflage, Bern 2017, Rz 687
- Einleitung
Beispiel für Verwechslungsgefahr
- Allgemeines
- „Rivella“ (BGE 126 III 315) > Funktion des Verwechslungsgefahrkriteriums + Begrifflichkeit der Verwechslungsgefahr
- Relativität von Zeichen und Produktabstand
- „Boss“ vs. „Boks“ (BGE 121 III 377) > Wechselwirkung von Zeichen- und Produktabstand, in dem der erforderliche Zeichenabstand durch den Produktabstand mitbestimmt wird
- Gemeinfreie Elemente
- —
- Stärkere Zeichen mit grösserem Schutz als schwache
- Allgemeines
- „Kamillosan“ (BGE 122 III 382) > Kennzeichnungskraft
- „Yello/Yellow Access“ (BGer 4C.258/2004) > Verhältnis starke zu schwache Zeichen
- „facebook“ (fig.) vs. „facegirl“ (fig.) (BVGer B-6921/2018)
- Als starke Marke qualifiziert
- „Appenzeller“ (BGE 128 III 441) > für Käse
- „Red Bull“ (RKGE, sic! 2007, 531) > für Lebensmittel und Getränke
- „Converse“ (fig.) (BVGer B-7475/2006) > für Casual-Schuhe
- Als schwache Marke qualifiziert
- „Yello/Yellow Access“ (BGer 4C.258/2004) > für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 35, 36, 38 und 42
- „Activia“ (BGer 4C.353/2001) > für Lebensmittel und Getränke
- „IPad Mini“ (BVGer B-7046/2015) > für Tablets (knapp unterscheidungskräftig)
- Allgemeines
- Markenspezifische Besonderheiten
- „Yello/Yellow Access“ (BGer 4C.258/2004) > Berücksichtigung marktspezifischer Besonderheiten
- „Kamillosan“ (BGE 122 III 382) > Zusammensetzung der Verkehrskreise (Massenartikel?)
- „ABSOLUTE / Absolute Poker et al.“ (BVGer B-7503/2006) > Berücksichtigung, dass Internetnutzer gewohnt sind, geringfügige Unterschiede zu erkennen
- „Converse All Star [Stern]“ (fig.) / Army tex [Stern]“ (fig.). (BVGer B-7475/2006) > Wahrnehmungsunterschiede je nach Markenplatzierung
- BLACKBERRY / blackphone (fig.) (BVGer B-720/2017 vom 06.12.2018) > teilw. Verwechslungsgefahr trotz schwindender Marktanteile in der Schweiz
Prioritätsregelung (Ältere Marke + notorisch bekannte Marke)
Mit dem Eintragungsverfahren wird zugleich für jede Marke die Priorität festgelegt (Zeitrang), welche ihr im Konflikt mit Drittzeichen zukommt:
- Hinterlegte oder eingetragene Marke (Regelfall)
- Hinterlegungspriorität (MSchG 6)
- Frühere Hinterlegung der Marke in Schweiz
- Frühere Hinterlegung begründet Recht an der Marke, aber nicht ein Recht auf die Marke
- Priorität nach der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) (MSchG 7)
- Frühere Hinterlegung in Verbandsstaat der PVÜ
- Beanspruchung der Priorität bei Hinterlegung in Schweiz
- Prioritätsfrist
- 6 Monate
- Voraussetzung
- Gleichstellung, wenn der Ursprungsstaat gegenüber der Schweiz Gegenrecht hält
- Ausstellungspriorität
- Mit der Marke gekennzeichnete Waren und / oder Dienstleistungen wurden auf einer offizieller oder einer offiziell anerkannten Ausstellung präsentiert
- Prioritätsfrist
- 6 Monate
- Hinterlegungspriorität (MSchG 6)
- Notorisch bekannte Marke (Verkehrsdurchsetzung / Ausnahmefall)
- Voraussetzungen
- Im Ausland (ohne Wirkung für die Schweiz) eingetragene Marke
- Notorische Bekanntheit der Marke in der Schweiz
- Verkehrsgeltung bei massgeblichem Konsumentenkreis (Durchschnittsabnehmern) in der Schweiz
- Kriterien für die Feststellung der Notorietät
- Hoher Bekanntheitsgrad (> 60 – 70 %)
- Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
- sichere, dauerhafte Kenntnis bei den Verkehrskreisen
- Nutzungsdauer
- Nutzungsintensität
- geographische Ausdehnung
- Hoher Bekanntheitsgrad (> 60 – 70 %)
- Wirkung
- Durchbrechung des Eintragungsprinzips
- Einschränkung
- restriktive Handhabung
- Voraussetzungen
Beispiele Verkehrsdurchsetzung
- „Central Perk“ (BGer 4P.291/2000) > Erfordernis der überdurchschnittlichen Bekanntheit bei Händelern / Abnehmern
- „Tripp Trapp“ (BGE 130 III 267) > überdurchschnittliche Bekanntheit beim Verkehrskreis
- „Yeni Raki“ (BGE 120 II 144) > nicht erforderlich, dass die Marke in der Schweiz gebraucht wird
- „Hotelsterne“ (BGE 137 III 77 > freihaltebedürftig
- „Radio Suisse Romande“ (BGE 4A_434/2009 > freihaltebedürftig
- „Uhrenarmband“ (BGE 130 III 328) > keine fixen Beweisregeln / Einzelfallwürdigung
- „Smarties-Packung“ (BGE 130 III 121) > Regionalnachweis mit Analogieschluss für die ganze Schweiz?
- „Lernstudios“ (BGE 130 III 478) > Beweispflicht des Zeicheninhabers
- „Swatch Group“ / „Watch AG“ (BVGer B-1752/2009) > BVGer verlangt einen internationalen Sachverhalt