Der Mieter kann den Anfangsmietzins von Wohn- und Geschäftsräumen als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen, wenn folgende Voraussetzung erfüllt ist:
1. Abschluss eines neuen Mietvertrages.
Zusätzlich muss eine der folgenden Voraussetzungen vorliegen (alternativ):
2.1 Mietvertragsabschluss in persönlicher oder familiären Notlage
2.2 Mietvertragsabschluss infolge Wohnungsmangel
- Leerwohnungsziffer
- Eine Wohnungsknappheit wird bei einem Leerwohnungsbestand von weniger als 1,5% angenommen
- Wohnungsknappheitsannahme
- Diese Voraussetzung ist nach neuerer Rechtsprechung schon bei Wohnungsknappheit gegeben
- Es ist daher nicht erforderlich, dass die Mieterin vergebliche Suchbemühungen nachweist (BGE 142 III 442)
- Für die Anfechtung des Anfangsmietzinses genügt der Nachweis, dass im örtlichen Wohnungsmarkt Wohnungsnot herrscht; nicht notwendig ist, dass die Mieter darüber hinaus beweisen, sich beim Abschluss des Vertrages in einer Not- oder Zwangslage befunden zu haben (vgl. BGE 4A_691/2015 (Präzisierung der Rechtsprechung))
- Diese Voraussetzung ist nach neuerer Rechtsprechung schon bei Wohnungsknappheit gegeben
2.3 Erhebliche Erhöhung des Mietzinses
- Erheblichkeit
- Die Erheblichkeit der Mietzinserhöhung ist gegeben ab 10%
- Informationsrechte des Mieters
- Der Mieter kann vom Vermieter verlangen kann, dass er ihm den zuletzt gültigen Mietzins bekannt gibt.
- Formularpflicht
- Gestützt auf OR 270 und EGzZGB ZH § 229b sind Vermieter im Kanton Zürich verpflichtet, bei einem Leerwohnungsbestand von unter 1.5 % den früheren Mietzins sowie den Anfangsmietzins per Formular von sich aus dem Mieter bekannt zu geben
- Der Leerwohnungsbestand wird jeweils per 1. Juni ermittelt
- Sofern der Leerwohnungsbestand bei 1.5 % oder niedriger liegt, ordnet der Regierungsrat die Formularpflicht per 1. November des gleichen Jahres an
- Gestützt auf OR 270 und EGzZGB ZH § 229b sind Vermieter im Kanton Zürich verpflichtet, bei einem Leerwohnungsbestand von unter 1.5 % den früheren Mietzins sowie den Anfangsmietzins per Formular von sich aus dem Mieter bekannt zu geben
- Keine Formularpflicht
- Gilt die Formularpflicht für Vermieter nicht, kann der Mieter verlangen, dass der Vermieter ihm die Höhe des zuletzt gültigen Mietzinses bekannt gibt (OR 256a Abs. 2)
- Mieternachweis
- Der Mieter hat nachzuweisen, dass der Vermieter den Mietzins gegenüber dem vorausgehenden Mietverhältnis für dieselbe Sache erheblich (d.h. um mindestens 10%) erhöht hat
2.4 Missbräuchlicher Mietzins
- Nachweispflicht des Mieters
- Der Mieter hat zu beweisen, dass der Anfangsmietzins nach den Kriterien von OR 269 und OR 269a missbräuchlich ist
- Beweislast des Mieters
- Der Mieter trägt die Beweislast (und die Folgen einer Beweislosigkeit), dass die orts- und quartierübliche Vergleichsmiete unter dem vereinbarten Mietzins liegt
- Dieser Nachweis ist schwierig zu führen
- Manchmal ist dieser Nachweis aufgrund entsprechender Indizien möglich (zB: BGE 139 III 13)
- Behauptet der Mieter eine übersetzte Rendite, muss der Vermieter ihr die Berechnungsgrundlagen offenlegen, soweit er über die entsprechenden Unterlagen verfügt (BGE 142 III 568, Erw. 2).
- Der Mieter trägt die Beweislast (und die Folgen einer Beweislosigkeit), dass die orts- und quartierübliche Vergleichsmiete unter dem vereinbarten Mietzins liegt
Die «Seven Thinking Steps»
Die sieben Schritte («Seven Thinking Steps») wurden vom BGer geradezu gebetsbuchartig aufgelistet:
- Bestimmung der Anlagekosten.
- Von diesen Anlagekosten sind die Fremdmittel (Hypothekarschulden) abzuziehen, um das investierte Eigenkapital zu ermitteln.
- Zum Teuerungsausgleich auf dem risikotragenden Kapital (vgl. OR 269a lit. e) sind die investierten Eigenmittel mithilfe des Landesindexes der Konsumentenpreise anzupassen (mit einem in den Details komplizierten, vom BGer dargelegten Mechanismus).
- Bestimmung des höchstzulässigen Ertrags dieser (angepassten) Eigenmittel; massgebend ist dabei ein Zinssatz, der um 0,5 % über dem Referenzzinssatz für Hypotheken liegt (vgl. VMWG 12a).
- Zu diesem Ertrag sind die Kosten hinzuzuzählen, welche der Vermieter zu tragen hat:
- Kapitalkosten
- Betriebskosten
- Unterhaltskosten, um so die jährlich zulässigen Mieteinnahmen der ganzen Liegenschaft festzulegen.
- Diese totalen Mieteinnahmen sind dann nach einem Verteilschlüssel auf die verschiedenen Mietobjekte umzulegen,
- um den für das im Streit stehende Mietobjekt zulässigen Mietzins zu ermitteln.
- wobei dieser Verteilschlüssel sich gemäss BGer oft orientiert an
- der Fläche oder
- am Volumen der verschiedenen Mietobjekte,
- bisweilen auch an der Zimmerzahl.
- In gewissen Fällen, insbesondere
- wenn nicht alle Mietobjekte in gleichem Masse von wertvermehrenden Investitionen profitiert haben oder
- wenn solche Investitionen bei den Mietobjekten zu unterschiedlichen Zeiten vorgenommen wurden,
ist der Verteilschlüssel anzupassen.
- Der so ermittelte Mietzins ist mit dem aktuellen Mietzins zu vergleichen, um festzustellen, ob die beabsichtigte Mietzinserhöhung zulässig ist oder nicht.
Quelle: KOLLER THOMAS, a.a.O., S. 478 ff.
Literatur
- KOLLER THOMAS, Die mietrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2019, ZBJV 2020, S. 478 ff.
- KOLLER THOMAS, Wertungswidersprüche, 3 ff.
- Montini marino, Droit du bail 2019, 42 f., 43 Ziff. 9
- Praxis-Brutschin, Kap. 18, S. 459 ff.
- CPra Bail-Bohnet, Art. 269 N 3 ff.
- BSK OR I-Weber, Art. 269 N 5 ff.
Judikatur
- Wohnungsknappheit
- BGE 142 III 442)
- Missbräuchlicher Mietzins
- Indizienbeweis
- BGE 139 III 13
- Übersetzte Rendite des Vermieters
- BGE 142 III 568, Erw. 2
- Indizienbeweis
- Altliegenschaft
- Vorrang der Vergleichsmiete (Orts- und Quartierüblichkeit) vor der Kostenmiete (Nettoertragsüberprüfung) und Begriff der Altliegenschaft (Erstellung oder letzter Erwerb von mehr als 30 Jahren bei Mietanfang)
- BGE 144 III 514 ff.
- Vorrang der Vergleichsmiete (Orts- und Quartierüblichkeit) vor der Kostenmiete (Nettoertragsüberprüfung) und Begriff der Altliegenschaft (Erstellung oder letzter Erwerb von mehr als 30 Jahren bei Mietanfang)
- Sieben Schritte der Ertragsoptimierungskündigung
- BGer 4A_239/2018 vom 19.02.2019