Schweiz stimmt Gruppenanfragen zu
Gruppenanfragen zählen bei der Steueramtshilfe neu zum internationalen Standard: Mitte Juli 2012 hat das Fiskalkomitee der OECD die Neukommentierung von Artikel 26 des Musterabkommens zur Steueramtshilfe einstimmig genehmigt. Auch der Vertreter der Schweiz hat im Aauuftrag des Bundesrates der Zulassung von Gruppenanfragen bei der Amtshilfe in Steuersachen zugestimmt. Damit muss internationale Amtshilfe neu nicht mehr nur im Einzelfall gewährt werden, sondern auch für ganze Gruppen von Steuerpflichtigen. Dies soll die Transparenz bei der grenzüberschreitenden Besteuerung erhöhen.
Kritiker befürchten Fishing Expeditions
Die Zulassung von Gruppenanfragen weist in Richtung so genannter Fishing Expeditions, d.h. von Amtshilfegesuchen ohne konkrete Anhaltspunkte. Laut OECD sollen diese jedoch ausdrücklich verboten bleiben – daher werden klare Qualifikationen für Gruppenanfragen verlangt: Die betroffene Gruppe sowie die Umstände einer Anfrage müssen detailliert beschrieben werden. Betroffene Personen müssen durch ganz bestimmte Verhaltensmuster identifiziert werden können – sind keine konkreten Anhaltspunkte gegeben, sind die Anfragen ausdrücklich nicht zulässig. Kritiker bemängeln, dass diese Abgrenzung in der Praxis schwierig umzusetzen sei, und sehen in der Genehmigung der Gruppenanfragen nur den ersten Schritt hin zu einer späteren Zulassung von Fishing Expeditions. In der Schweiz wird die Zulassung von Gruppenanfragen zudem von verschiedener Seite als eine weitere Aufweichung des Bankgeheimnisses kritisiert.
Da im OECD-Rat das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, hätte die Schweiz den neuen Standard theoretisch auch verhindern können. In einem Interview mit der HandelsZeitung äusserte sich der Leiter der Schweizer OECD-Delegation Stefan Flückiger zu den Vorwürfen, die Schweiz hätte sich auf Kosten des Bankgeheimnisses erneut von aussen unter Druck setzen lassen. Auf die Frage, weshalb der Bundesrat bei den Verhandlungen zu den Gruppenanfragen nicht hart geblieben sei, antwortete Flückiger: «Wenn Sie mit ‹hart sein› meinen, nur stur Nein zu sagen, dann scheint mir das keine sehr zukunftsträchtige Strategie. Für einen Staat wie die Schweiz, ohne globale Allianzen, führt dies in eine Sackgasse. Deshalb hat die Schweiz in der OECD bei den Gruppenanfragen nicht Fundamentalopposition gemacht, sondern wir haben uns erfolgreich für klare Kriterien gegen die Fishing Expeditions eingesetzt. Das stimmt überein mit unserer neuen Finanzmarktpolitik und zeigt zweitens, dass man sich auch als Kleinstaat durchsetzen kann, wenn man gute und glaubwürdige Argumente hat.»
Anpassung des Schweizer Steueramtshilfegesetzes
Nach der Zustimmung im OECD-Rat müssen die Mitgliedsstaaten die beschlossene Änderung nun in ihrem nationalen Recht umsetzen. Für die Schweiz hatte dieser Entscheid eine Anpassung des Steueramtshilfegesetzes zur Folge. Der Ständerat hat einer entsprechenden Regelung bereits in der Sommersession zugestimmt, und folgte damit den Anträgen des Bundesrates und der vorbehandelnden Ständeratskommission.
Der Nationalrat hingegen wollte Gruppenanfragen zuerst nur im Einzelfall zulassen. Die grosse Kammer musste daher in der Herbstsession ein zweites mal über die Vorlage beraten. Im Vorfeld hatte die zuständige Kommission dem Nationalrat empfohlen, sich in der Frage des Steueramtshilfegesetzes dem Ständerat anzuschliessen, und Gruppenanfragen nicht nur im Einzelfall zuzulassen.
Die Wirtschafts-Kommission hatte auch zu beraten, ob Gruppenanfragen rückwirkend möglich sein sollen – d.h. ob Gruppenanfragen ab Inkrafttreten der OECD-Standards am 18. Juli 2012 oder erst ab Inkrafttreten des Schweizer Steueramtshilfegesetzes zulässig sind. Dabei ging es zu dem Zeitpunkt auch um die Frage, ob im Steuerstreit mit Deutschland eine letzte Konzession gemacht werden soll. Am 10. September 2012 gab Kommissionspräsident Darbellay den Entscheid der WAK bekannt: Gruppenanfragen sollen möglich sein, jedoch erst ab Inkrafttreten des Gesetzes und damit nicht rückwirkend. Konkret hätte dies bedeutet, dass Deutschland zu «Steuerabschleichern», die ihr Geld bis Ende 2012 aus der Schweiz abgezogen haben, keine Gruppenanfragen hätte stellen können. Der entgültige Entscheid überliess das Parlament aber formell dem Bundesrat. Finanzministerin Widmer-Schlumpf beantragte dem Bundesrat ebenfalls eine Anwendung der Gruppenanfragen nur für Tatbestände ab Inkrafttreten des Amtshilfegesetzes. In Bezug auf Deutschland ist dieser Entscheid nach dem Scheitern des Steuerabkommens nun unerheblich geworden.
Am 12. September stimmte auch der Nationalrat dafür, Gruppenanfragen nach OECD im Steueramtshilfegesetz nicht auszuschliessen – die Vorlage wurde in der Schlussabstimmung der Räte mit 134 zu 5 und 40 zu 5 Stimmen angenommen. Die Frist für das faktultative Referendum lief am 17. Februar 2013 ab; das Referendum wurde nicht ergriffen. Der Bundesrat hat daraufhin beschlossen, das angepasste Steueramtshilfegesetz per 1. Februar 2013 in Kraft zu setzen. Die bisherige Verordnung zur Umsetzung der Doppelbesteuerungsabkommen wird mit Inkrafttreten des Steueramtshilfegesetzes aufgehoben. Damit sind Gruppenanfragen in der Steueramtshilfe ab Februar 2013 in der Schweiz zulässig.
Keine Anpassung neuer DBA nach OECD-Standard nötig
Seit die Schweiz 2009 auf Druck der OECD den internationalen Standard zur Steueramtshilfe übernommen hat, wurden zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen neu verhandelt und ergänzt: Amts- und Rechtshilfe werden nach neuem Standard nicht mehr nur bei Steuerbetrug, sondern auch bei blosser Steuerhinterziehung geleistet.
Die neuen bzw. angepassten Doppelbesteuerungsabkommen, welche die Schweiz seit Übernahme des OECD-Standards ausgehandelt hat, müssen nicht angepasst werden – die Aufnahme der neuen Bestimmungen zu Gruppenanfragen im Steueramtshilfegesetz genügt.
» Neue und revidierte DBA nach OECD-Standard
» Erleichterte Amtshilfe in Steuersachen geplant
» Rechtshilfe bei Steuerdelikten wird ausgedehnt
Einzig das mit den USA ausgehandelte Abkommen beinhaltet Amtshilfe bei Gruppenanfragen aufgrund der US-amerikanische Gerichtspraxis bereits explizit. Das 2009 ausgehandelte und 2011 unterzeichnete Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA ist jedoch zurzeit aufgrund des laufenden Steuerstreits von Seiten der USA politisch blockiert – wann das Abkommen in Kraft treten kann, ist unklar.
Zurzeit versucht der Bundesrat, im Steuerstreit mit den USA eine Globallösung für den Schweizer Finanzplatz auszuhandeln. Diese soll einen Schlussstrich unter die Affäre ziehen, und zwar für alle Schweizer Banken. Vorgesehen ist, dass die Banken mehrere Milliarden CHF an “Ablass” bezahlen. Ein Regierungsabkommen soll den Rahmen für die Bussen der 11 Schweizer Banken regeln, welche ins Visier der US-Justiz geraten sind. Ein zweites Abkommen soll eine Abgeltungssumme für die übrigen 300 Banken des Schweizer Finanzplatzes festlegen. Als Gegenleistung sollen die USA garantieren, dass Schweizer Banken und ihre Angestellten nicht weiter rechtlich verfolgt würden. Das neue Doppelbesteuerungsabkommen, das die Schweiz mit den USA bereits 2009 ausgehandelt hat, ist zurzeit in den USA politisch blockiert.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Auslieferung bestimmter Daten CS-Kundendaten in einem Urteil abgelehnt hatte, hat sich das Verhandlungsklima weiter verschlechtert. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf betonte noch im April in einem Interview mit der NZZ, dass sie nach wie vor davon ausgehe, dass noch 2012 eine Lösung gefunden werden könne. Gerade nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sollten die USA ein grosses Interesse daran haben, das neue DBA endlich in Kraft zu setzen, da dieses auch Amtshilfe bei Steuerhinterziehung zulassen würde. Weiter sagte die Finanzministerin zum Konflikt mit den USA: “Es geht nicht darum, die Banken zu verteidigen. Wir müssen unseren Rechtsstaat verteidigen. Im Moment ist es so, dass die USA extraterritorial ihr Recht durchsetzen möchten. Dagegen muss man sich als Staat wehren. Würden wir keine Lösung suchen, könnten die Banken möglicherweise versucht sein, selber eine Lösung zu suchen, die gegen unsere Regeln verstösst.”
Ende Juli berichtete der TagesAnzeiger jedoch, ein Abschluss des Steuerdeals sei in weite Ferne gerückt: Verschiedene Experten aus der Finanzbranche würden eine baldige Lösung als unrealistisch einstufen oder gar nicht mehr an eine Globallösung glauben – nicht zuletzt aufgrund des laufenden Präsidentschafts-Wahlkampfs in den USA. Bei einem Wahlsieg der Republikaner müssten die Verhandlungen neu aufgerollt werden. Daneben streitet sich die Schweizer Bankiersvereinigung weiterhin über die Aufteilung einer möglichen Ablasszahlung, was die Verhandlungen über eine Globallösung weiter erschwert.
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