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Gesellschaftsrecht

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Verantwortlichkeit des Stiftungsrats bei der Kapitalanlage

Datum:
26.07.2017
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Gesellschaftsrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

BVG 52 und 56a / BVV2 49a

Thema

Das Bundesgericht hatte sich im Falle 9C_752/2015 mit den Sorgfaltspflichten des Stiftungsrates bei der Festlegung der Anlagestrategie zu befassen und musste sich mit der Frage näher auseinandersetzen, ob und inwieweit sich der Stiftungsrat haftbar macht, wenn er trotz unzureichender Wertschwankungsreserven grosse Vermögensanlagerisiken eingeht.

Sachverhalt

Die in den 1990er-Jahren gegründete Sammelstiftung G. warb aggressiv um Unternehmensanschlüsse mit garantierter Verzinsung der Altersguthaben zu 5 % resp. einer Sollrendite von 7 % p.a.). Ein von der Aufsichtsbehörde 1998 veranlasstes Gutachten zur Frage der Ordnungsmässigkeit der Geschäftsführung ergab, dass die Sammelstiftung nicht über genügend Schwankungsreserve verfügte. Bei der tiefen Risikofähigkeit wäre in der Folge eine konservative resp. risikoarme Anlagestrategie gefragt gewesen. Ungeachtet dessen nahm die Stiftung weitere Aktieninvestitionen vor. 2001 als der Deckungsgrad gerade noch 81,55 % betrug, prüfte der Stiftungsrat die Stiftungsliquidation, entschloss sich dann aber, die Stiftung durch Übergabe der Aktienanlagen an einen Trader, welcher eine Aktienperformance von 15 % p.a. zu erzielen versprach, zu „sanieren“. Der Stiftungsrat vertraute dem Trader L. resp. dem Fonds ca. CHF 15 Mio. des Anlagevermögens an. Im Juni 2002 betrug der Deckungsgrad gerade noch 71 %. 2003 wurde die Sammelstiftung in Liquidation gesetzt und es stellte der Sicherheitsfonds die Leistungen sicher. Anschliessend wurden die ehemaligen Stiftungsräte auf Schadenersatz verklagt.

Risikofähigkeit der Sammelstiftung

Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen haben gestützt auf BVV2 46 dem Aufbau von adäquaten Wertschwankungsreserven die notwendige prioritäre Beachtung schenken. Unzureichende Wertschwankungsreserven reduzieren die Risikofähigkeit der Stiftung und können die finanzielle Sicherheit der Vorsorgeeinrichtung gefährden. Laut Bundesgericht kommt dem ausreichenden Vorhandensein von Wertschwankungsreserven zentrale Bedeutung zu, damit die Vorsorgeeinrichtung jederzeit über die notwendige Risikofähigkeit verfüge, um die eingegangenen Anlagerisiken tragen zu können.

Die Risikofähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung, so das Bundesgericht, könne auch bei Einhaltung der gesetzlichen und reglementarischen Limiten überschritten werden.

Der Stiftungsrat habe daher bei der Festlegung der Anlagestrategie zu beachten:

  • Risikofähigkeit der Stiftung
  • Sicherstellung der Umsetzungskontrolle.

Stiftungsratshaftung

Gemäss BVG 52 sind alle mit der Verwaltung, Geschäftsführung und der Kontrolle der Vorsorgeeinrichtung betrauten Personen für den Schaden haftbar, den sie dieser absichtlich oder fahrlässig zufügen.

Auch bei der Haftung des Stiftungsrates gelten die üblichen Voraussetzungen:

  • Schaden;
  • Pflichtverletzung;
  • Kausalzusammenhang (zwischen Pflichtverletzung und Schaden);
  • Verschulden.

Nachfolgend soll näher auf die Haftungsvoraussetzung der „Pflichtverletzung“ eingegangen werden.

Pflichtverletzung des Stiftungsrates

Dem aggressiven Management setzte der Stiftungsrat weder Vorgaben noch Schranken, auch nicht in Bezug auf das „Sanierungsvorhaben“ mit dem Fonds des Traders L:

  • Nichtbeachtung von Risikofähigkeit und sicherer Kapitalanlage
    • Tiefe Risikofähigkeit der Vorsorgeeinrichtung
      • Vermögensanlagen im Rahmen der Grenzwerte von BVV2 gelten laut Bundesgericht nicht per se als zulässig, sondern nur insoweit, als sie den allgemeinen Sicherheitsanforderungen von BVG 71 genügen würden.
    • Nichtbeachtung bei der konkreten Vermögensanlage
      • Expertenbedenken
      • Undurchschaubarkeit des von Trader L. angepriesenen „automatisierten Aktienhandels-Systems“
  • Keine Sicherstellung der Umsetzung
    • Keine Vorgaben
      • Benchmark
      • Tracking Error

Der Stiftungsrat musste sich die Verletzung seiner Führungspflicht entgegenhalten lassen (vgl. auch BVV2 49a).

Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Stiftungsrat durch sein Handeln in grober Weise gegen das Gebot der sicheren Vermögensanlage von BVG 71 Abs. 1 von verstossen habe.

Rückweisung an die Vorinstanz

Da die Vorinstanz die Stiftungsratshaftung verneinte und daher keine ausreichenden Schadenserhebungen getroffen worden waren, wurde die Angelegenheit zur Schadensabklärung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Quelle

BGE 9C_752/2015 vom 28.12.2016 = BGE 143 V 19 ff.

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