Neues Schulstufenmodell / Praxisänderung
Das Bundesgericht hat im Urteil BGer 5A_384/2018 vom 21.09.2018 die Richtlinien festgelegt, ab wann und in welchem Umfang der hauptsächlich die Kinder betreuende Elternteil mit Blick auf die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils einer Erwerbstätigkeit nachzugehen hat.
Neues Kindesunterhaltsrecht und Kriterien
Am 01.01.2017 trat das neue Kindesunterhaltsrecht in Kraft.
Nebst der direkten Kosten wie diejenigen für Nahrung, Kleidung und Wohnen des Kindes ist neu auch «Betreuungsunterhalt» geschuldet. Dabei geht es um indirekte Kosten, welche entstehen, wenn ein Elternteil die Kinder selbst betreut und während dieser Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann.
Die finanziellen Folgen aus dem Zeitaufwand für die Kinderbetreuung sollen auf diese Weise unabhängig vom Zivilstand von beiden Eltern gemeinsam getragen werden.
Altes Kindesunterhaltsrecht
Vor der Revision des Kindesunterhaltsrechts wurden die Betreuungsleistungen einzig bei verheirateten Eltern über den ehelichen oder nachehelichen Unterhalt abgegolten. Dabei wurde die sog. „10/16-Regel“ angewandt. Danach musste der Elternteil, dem bei einer Trennung oder Scheidung die Kinder in Obhut gegeben wurden und der keiner Erwerbstätigkeit nachging, ab dem 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes ein Arbeitspensum von 50 % aufnehmen und eine Vollzeitstelle ab dessen 16. Lebensjahr.
Neubeurteilung durch Bundesgericht
Das Bundesgericht kommt in seinem obgenannten Entscheid nun zum Schluss, dass diese Regel für den Betreuungsunterhalt nicht sachgerecht ist und auch nicht mehr der heutigen gesellschaftlichen Realität entspricht. Bezüglich der stattdessen anzuwendenden Richtlinien erwägt das Bundesgericht, dass sich jeder Entscheid mit unmittelbaren Auswirkungen auf ein Kind an dessen Wohl messen lassen muss. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber die Eigenbetreuung durch die Eltern und die Fremdbetreuung – zum Beispiel in einer Kinderkrippe – als gleichwertig bezeichnet. In diesem Sinne gibt es keine verallgemeinerungsfähige Vermutung zugunsten des einen oder des anderen Betreuungsmodells.
Neues sog. „Schulstufenmodell“
Grundsätzlich sollen die Eltern darüber entscheiden, welche Betreuungsform für ihr Kind geeignet ist und in welchem zeitlichen Umfang die Eigen- oder Fremdbetreuung erfolgen soll. Weil stabile Verhältnisse dem Kindeswohl dienlich sind, ist bei fehlender Einigung der Eltern im Trennungs- oder Scheidungsfall jedenfalls in einer ersten Phase das von diesen vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes vereinbarte, beziehungsweise praktizierte Betreuungsmodell fortzuführen. Für die weitere Zeit, aber auch wenn keine elterliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell besteht, ist das Schulstufenmodell anzuwenden.
Im Scheidungs- oder Trennungsfall soll nach einer Übergangsphase oder bei fehlender Eltern-Vereinbarung über die Art der Betreuung das sog. „Schulstufenmodell“ zur Anwendung gelangen.
Der hauptbetreuende Elternteil muss grundsätzlich:
- ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes
- zu 50 % eine Erwerbsarbeit ausüben
- ab Eintritt des jüngsten Kindes in die Sekundarstufe
- zu 80 % einer Erwerbstätigkeit nachgehen
- ab dem vollendeten 16. Lebensjahr des jüngsten Kindes
- zu 100 % erwerbstätig sein.
Aus zureichenden Gründen kann im Einzelfall eine Abweichung vom „Schulstufenmodell“ erfolgen (siehe unten).
Künftige Handhabung
Dies soll künftig auch beim ehelichen oder nachehelichen Unterhalt zwischen verheirateten oder geschiedenen Eltern gelten. Für die Anwendung dieses sog. „Schulstufenmodells“ spricht, dass der obhutsberechtigte Elternteil mit der Einschulung des Kindes während der betreffenden Zeit von der Betreuung entlastet wird. Die schulische Betreuung dehnt sich sodann im Verlauf der Jahre aus. Dies, sowie die allgemeine Entwicklung des Kindes lassen eine Erweiterung der zumutbaren Erwerbsquote nach Schulstufen des Kindes als angezeigt erscheinen. Dem Charakter einer Richtlinie entsprechend, kann im Einzelfall aus zureichenden Gründen vom Schulstufenmodell abgewichen werden (siehe nachfolgend).
Abweichung vom sog. „Schulstufenmodell“
Vom sog. „Schulstufenmodell“ kann im Einzelfall aus zureichenden Gründen abgewichen werden. Für Kinder im Vorschulalter, muss der Richter prüfen,
- ob im konkreten Einzelfall angemessene vor- oder ausserschulische Betreuungsangebote bestehen und von der persönlichen Betreuung entlasten können;
- ob entsprechende Angebote bei finanziell knappen Mitteln eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit ökonomisch als sinnvoll erscheinen lassen.
Quelle
BGer 5A_384/2018 vom 21.09.2018
Medienmitteilung des Bundesgerichtes vom 28.09.2018