Vertriebsnehmer kündigte
Sachverhalt
Die Schweizer Gesellschaft Z (Vertriebsnehmerin) verkaufte seit 2000 für die belgische Gesellschaft A (Vertriebsgeberin) Produkte der Marke M. In Bezug auf den Vertrieb dieser Marke schlossen die Parteien am 07.08.2007 zwei Vertriebsverträge:
- Exklusiv-Agenturvertrag nach belgischem Recht
- Alleinvertriebsvertrag nach Schweizer Recht.
Unter dem hier interessierenden („schweizerischen“) Alleinvertriebsvertrag, der eine Gerichtsstandsklausel für Genf postulierte, erhielt die Vertriebsnehmerin Z. was folgt:
- Exklusivrecht, Produkte der Marke M in der Schweiz in eigenem Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben.
Die Vertriebsgeberin A verpflichtete mit dem Alleinvertriebsvertrag, die Vertragsprodukte auf dem Gebiet der Schweiz einzig über die Vertriebsnehmerin Z verkaufen zu lassen und Direktverkäufe zu unterlassen.
Vorbehalten blieben einzig gewisse Kundentypen, an die die Vertriebsnehmerin Z die Produkte als Agentin und damit im Namen und auf Rechnung der Vertriebsgeberin A auf Provisionsbasis vertreiben sollte.
Der Alleinvertriebsvertrag konnte nach einer Laufzeit von 5 Jahren mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten ordentlich gekündigt werden. Die ausserordentliche Kündigung wurde ebenfalls vorgesehen, insbesondere für den Fall einer schwerwiegenden Vertragsverletzung durch eine der Parteien.
Nach einer Direktverkäufe insinuierenden Mitteilung der Vertriebsgeberin A an die Vertriebsnehmerin Z betreffend die Anfrage einer Schweizer Kaufinteressentin für Vertragsprodukte kündigte die Vertriebsnehmerin Z den Alleinvertriebsvertrag mit Einschreibebrief am 31.01.2013 mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund. Als Begründung nannte sie die Verletzung ihres Alleinvertriebsrechts durch die Vertriebsgeberin, sei es doch bereits in der Vergangenheit zu ähnlichen Vertragsverletzungen gekommen.
Prozess-History
- Vor erstinstanzlichem Gericht in Genf
- Klage der Vertriebsgeberin A.
- Die Vertriebsgeberin A. klagte die Vertriebsnehmerin Z. am 10.09.2014 vor dem erstinstanzlichen Gericht in Genf ein
- Forderung von ca. CHF 80’000 aus Schadenersatz für unnötigen Aufwand und aus entgangenem Gewinn bis zur ordentlichen Vertragsbeendigung
- Forderung von ca. CHF 41’000 aus Warenlieferungen
- Die Vertriebsgeberin A. klagte die Vertriebsnehmerin Z. am 10.09.2014 vor dem erstinstanzlichen Gericht in Genf ein
- Reaktion der Vertriebsnehmerin Z.
- Die Vertriebsnehmerin Z. anerkannte ca. CHF 31’000 aus Warenlieferungen, allerdings nur unter Verrechnung bzw. Widerklage mit einer Forderung von total ca. CHF 198’000 für nicht amortisierte Investitionen sowie entgangenen Gewinn des Jahres 2013
- Urteil
- Verpflichtung der Vertriebsgeberin A, der Vertriebsnehmerin Z. aus entgangenem Gewinn (abzüglich der Forderung aus Warenlieferungen) Schadenersatz zu zahlen, wobei es die Forderung der Vertriebsnehmerin Z. reduzierte
- Klage der Vertriebsgeberin A.
- Vor zweitinstanzlichem Gericht in Genf
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- Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, mit der Änderung, dass für die Berechnung des entgangenen Gewinns nicht auf den Umsatz, sondern auf die Gewinnmarge abgestellt wurde
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- Anrufung des Bundesgerichts
- Gegen das zweitinstanzliche Urteil erhob die Vertriebsgeberin A Beschwerde ans Schweizerische Bundesgericht.
Erwägungen
Anstelle einer Wiedergabe der Detailerwägungen des französischsprachigen Bundesgerichtsentscheids sei an dieser Stelle vor allem auf die Key Points hingewiesen:
- Bestätigung der jederzeitigen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund
- Das Bundesgericht bestätigte die Rechtsprechung, wonach ein Alleinvertriebsvertrag resp. Vertriebsverträge generell als Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund jederzeit und fristlos gekündigt werden könnten
- Systematische Verletzung des Alleinvertriebsvertrages berechtigt grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigen Grund
- Ohne die weiteren von der letzten kantonalen Instanz geprüften Kündigungsgründe noch zu prüfen, gelangte das Bundesgericht zur Ansicht, dass die Vorinstanz ihr Ermessen nicht überschritten und die Kündigung aus wichtigem Grund zu Recht als gerechtfertigt erachtet habe; bei systematischer Verletzung des Vertriebsrechts sei dem Vertriebsnehmer die Fortführung des Vertrages grundsätzlich nicht mehr zumutbar
- Obliegenheit der sofortigen Kündigung aus wichtigem Grund auch bei einer Kündigung nach 15 Tagen gewahrt
- Massgeblichkeit der konkreten Umstände des Einzelfalls, hier rechtswahrend – im Gegensatz zu den 10 Tagen des Falles BGer C.85/1983 vom 16.05.1983 Erw. 5 – Kündigung nach einer Bedenkzeit von circa 15 Tagen, beginnend nach Kenntnisnahme eines damals noch nicht rechtskräftigen Strafurteils
- Schadensberechnung (entgangener Gewinn) auf Basis der Gewinnmarge und nicht auf Basis des Umsatzes mit den Vertragsprodukten
- Das Bundesgericht schützte die Berechnungsweise des Schadenersatzes aus entgangenem Gewinn durch die Vorinstanz
- Dabei gelangte folgende Berechnungsformel zur Anwendung:
- Durchschnittlicher mit den Vertragsprodukten erwirtschafteter Gewinn der letzten drei Jahre vor der Kündigung ./. infolge der Kündigung alternativ erwirtschafteter Gewinn x Zeit bis zur ordentlichen Beendigung des Vertriebsvertrages in Monaten (in casu 6 Monate) : 12
Entscheid
Soweit auf die Beschwerde eingetreten werden konnte, wurde sie abgewiesen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdeführerin.
Quelle
BGer 4A_241/2017 vom 31.08.2018