Art. 4 Anhang I FZA; Art. 2 Abs. 1 Bst. a Richtlinie 75/34/EWG
Sachverhalt
Der Beschwerdegegner macht ein Verbleiberecht nach Art. 4 Anhang I FZA (SR 0.142.112.681) geltend, was das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestreitet. Das SEM ging davon aus, dass ein Verbleiberecht nur bestehe, wenn die Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit spätestens drei Jahre vor dem Erreichen des Rentenalters erfolgt sei; der Beschwerdegegner habe jedoch die entsprechende Aufenthaltsbewilligung erst im Alter von 73 Jahren erworben und erfülle somit die Voraussetzungen des Verbleiberechts nicht.
Der Beschwerdegegner bestritt diese Voraussetzung und gelangt letztlich ans Bundesgericht.
Erwägungen
Für eine Person aus dem EWG-Raum besteht ein Aufenthaltsanspruch nach Beendigung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, sofern diese Person bereits bei der Einreise in die Schweiz das ordentliche Rentenalter erreicht hatte.
Das Verbleiberecht nach Art. 4 Anhang I FZA; Art. 2 Abs. 1 Bst. a Richtlinie 75/34/EWG besteht auch, wenn die aufenthaltsbegründende selbständige Erwerbstätigkeit in der Schweiz ursprünglich bereits nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters aufgenommen wurde. Die selbständige Erwerbstätigkeit muss aber ernsthaft ausgeübt worden sein.
Aus den kantonalen Vorakten, auf die das Bundesgericht hätte zurückgreifen müssen (BGG 105 Abs. 2), ergab sich, dass der Beschwerdegegner aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als Arzt im Jahr 2012 einen Reingewinn von lediglich Fr. 241.- erwirtschaftet habe. Dies deute darauf hin, dass er seine berufliche Tätigkeit in der Schweiz womöglich nicht effektiv ausgeübt habe.
Die Vorinstanz hatte den Sachverhalt diesbezüglich nicht abgeklärt, weshalb es dem Bundesgericht nicht möglich war, abschliessend darüber zu befinden.
Die Frage, ob der Beschwerdeführer in der Schweiz tatsächlich einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Arzt nachgegangen ist und sich deshalb auf einen Aufenthaltsanspruch nach Art. 4 Anhang I FZA berufen kann, wird durch die Vorinstanz abzuklären sein.
Entscheid
- Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 06.05.2019 wurde aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsabklärung im Sinne der Erwägungen und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
- Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.
- Das Staatssekretariat für Migration hatte den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit CHF 2’000.– zu entschädigen.
- Mitteilungen
Quelle
BGer 2C_534/2019 vom 04.02.2020 = BGE 146 II 145 ff.