SchKG 156 Abs. 2 bezieht sich nur auf verpfändete und nicht auf gepfändete Schuldbriefe
Einleitung
Im SchKG-Beschwerdeverfahren war strittig, ob sich der Wortlaut von SchKG 156 Abs. 2 (siehe Box unten) nur auf verpfändete oder auch auf nicht gepfändete Eigentümer- und Inhaberschuldbriefe beziehe.
- Anlässlich der SchKG-Revision vom 16.12.1994 war der Art. 156 Abs. 2 ins Gesetz aufgenommen worden, weil unter dem alten Recht ungerechte Verwertungspraxen von Schuldbriefen möglich waren:
- Der Faustpfandgläubiger konnte so zuerst mittels Betreibung auf Faustpfandverwertung den ihm verpfändeten Schuldbrief günstig ersteigern und dann im volle Schuld- und Pfandbetrage geltend machen
- In seiner neuen Stellung als Grundpfandgläubiger war er dann berechtigt, durch Betreibung auf Grundpfandverwertung nochmals die ganze Grundpfandforderung geltend zu machen
- Die Abstraktheit der Schuldbriefforderung erlaubte es, den Erlös aus der Grundpfandverwertung nicht auf seine Grundforderung gegen den Schuldner anrechnen lassen zu müssen
- Vielmehr konnte er sogar gestützt auf den Pfandausfallschein, den er in der Betreibung auf Faustpfandverwertung erhielt, seine Grundforderung in das übrige Vermögen des Schuldners vollstrecken lassen.
- Das Bundesgericht motivierte damals diese Gesetzesänderung (vgl. BGE 115 II 149).
Sachverhalt
A.________ betreibt B.________ für eine Forderung von Fr. 1’850’503.30 nebst Zins (Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamtes Küsnacht-Zollikon-Zumikon). Am 17.10.2012 pfändete das beauftragte Betreibungsamt Visp zwei damals im Eigentum von B.________ stehende Grundstücke (Kat. Nr. yyy und Kat. Nr. zzz in U.________) provisorisch. Am 30.10.2012 wurde ein Inhaberschuldbrief (Eigentümerschuldbrief) über Fr. 2,1 Mio., lastend an 1. Pfandstelle auf den beiden Grundstücken, errichtet. Das Betreibungsamt pfändete den Schuldbrief am 22.11.2012. Die auf den Grundstücken erlassene Verfügungsbeschränkung wurde am 29.11.2012 wieder gelöscht. Im Jahre 2017 wurde das Eigentum an den genannten Grundstücken auf C.________, die damalige Ehegattin von B.________, übertragen. Nach seiner Darstellung erfolgte dies im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung infolge Scheidung.
Am 04.10.2018 verfügte das Betreibungsamt Küsnacht-Zollikon-Zumikon die Verwertung des gepfändeten Schuldbriefs auf dem Wege der Versteigerung nach Art. 125 ff. SchKG. Am 30.10.2018 erliess das Betreibungsamt die Steigerungsanzeige. Die beiliegenden Steigerungsbedingungen enthielten unter anderem folgende Bestimmung (Ziff. 11; Hervorhebung im Original) :
«Der Schuldbrief wird dem Ersteigerer erst nach vollständiger Bezahlung des Restkaufpreises ausgehändigt. Die Bestimmung von Art. 156 Abs. 2 SchKG, wonach zu Faustpfand begebene Eigentümer- oder Inhabertitel auf den Betrag des Erlöses herabgesetzt werden, findet vorliegend keine Anwendung.»
History
- Beschwerdeerhebung des B.________ beim Bezirksgericht Meilen
- ________ beantragte, Ziffer 11 der Steigerungsbedingungen sei insofern anzupassen, als der Hinweis erfolgen müsse, dass die Bestimmung von Art. 156 Abs. 2 SchKG, wonach zu Faustpfand begebene Eigentümer- oder Inhabertitel auf den Betrag des Erlöses herabgesetzt würden, vorliegend Anwendung finde
- Beschwerdeabweisung des BG Meilen mit Urteil vom 29.01.2019
- Beschwerdeerhebung des B.________ am 14.02.2019 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich
- Er verlangte die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Ziffer 11 der Steigerungsbedingungen sei insofern anzupassen, als der Hinweis erfolgen müsse, dass die Bestimmung von Art. 156 Abs. 2 SchKG, wonach zu Faustpfand begebene Eigentümer- oder Inhabertitel auf den Betrag des Erlöses herabgesetzt würden, vorliegend analog Anwendung finde
- Das Obergericht des Kantons Zürich hiess mit Urteil vom 26.09.2019 hiess das Obergericht die Beschwerde gut. Es wies das Betreibungsamt Küsnacht-Zollikon-Zumikon an, die Steigerungsbedingungen wie folgt zu korrigieren:
- «Der Schuldbrief wird dem Ersteigerer erst nach vollständiger Bezahlung des Restkaufpreises ausgehändigt. Die Bestimmung von Art. 156 Abs. 2 SchKG, wonach zu Faustpfand begebene Eigentümer- oder Inhabertitel auf den Betrag des Erlöses herabgesetzt werden, findet vorliegend analoge Anwendung.»
- Gegen dieses Urteil hat A.________ (Beschwerdeführer) am 10.10.2019 Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben
- Er verlangt, das angefochtene Urteil aufzuheben und Ziff. 11 der Steigerungsbedingungen in ihrer ursprünglichen Fassung zu belassen.
Erwägungen
Das Bundesgericht legte den im konkreten Fall strittigen Absatz 2 von Art. 156 SchKG in alle Richtungen aus und musste folgendes feststellen:
- Klarer Wortlaut
- Bezugnahme in allen drei Amtssprachen nur auf verpfändete und nicht auf gepfändete Titel
- Keine sonstige SchKG-Regelung, welche eine entsprechende Rechtsfolge für gepfändete Eigentümer- oder Inhabertitel anordnen oder das durch SchKG 156 Abs. 2 für verpfändete Titel gelöste Problem in allgemeiner Weise für gepfändete Titel lösen würde
- Systematische Stellung von SchKG 156 Abs. 2 passe zu dessen Wortlaut
- Die herrsche Lehre sei der Auffassung, dass sich SchKG 156 Abs. 2 nur auf verpfändete Titel beziehe und auf gepfändete Titel nicht anzuwenden sei
Weiter stellte das Bundesgericht fest, dass dieses Problem, zu dessen Behebung SchKG 156 Abs. 2 legiferiert worden sei, komme in ähnlicher Weise auch im Rahmen der Pfändung und Verwertung eines Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefs zum Tragen. Zu prüfen sei daher, ob eine Lücke vorliege, die durch eine analoge Anwendung von SchKG 156 Abs. 2 geschlossen werden könne.
Das Bundesgericht wies aber auf folgendes hin:
- Klarer Wortlaut der Norm
- Eindeutigkeit der Materialien
- Der Gesetzgeber habe mit der Norm bewirken wollen:
- einen spezifischen und punktuellen Eingriff für einen Einzelfall
- keine umfassende Problemlösung.
Aus all diesen Gründen sei keine echte Lücke und auch keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes gegeben.
Das Gesetz enthalte bereits eine Antwort für gepfändete Titel, auch wenn diese im Einzelfall unbefriedigend sein könne.
Damit bleibt SchKG 156 Abs. 2 nur auf den Fall der separaten Verwertung von Eigentümer- oder Inhabertiteln, die als Faustpfand verpfändet wurden, anwendbar.
Wollte man dies ändern, müsse der Gesetzgeber tätig werden.
Entscheid
- Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, vom 26. September 2019 wird aufgehoben. Ziffer 11 der Steigerungsbedingungen bleibt in folgender Fassung:
«Der Schuldbrief wird dem Ersteigerer erst nach vollständiger Bezahlung des Restkaufpreises ausgehändigt. Die Bestimmung von Art. 156 Abs. 2 SchKG, wonach zu Faustpfand begebene Eigentümer- oder Inhabertitel auf den Betrag des Erlöses herabgesetzt werden, findet vorliegend keine Anwendung.»
- Die Gerichtskosten von Fr. 10’000.– werden B.________ auferlegt.
- ________ hat den Beschwerdeführer mit Fr. 12’000.– zu entschädigen.
- Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, schriftlich mitgeteilt.
Quelle
BGer 5A_806/2019 vom 14.09.2020
Art. 156 SchKG
1 Für die Verwertung gelten die Artikel 122–143b. Die Steigerungsbedingungen (Art. 135) bestimmen jedoch, dass der Anteil am Zuschlagspreis, der dem betreibenden Pfandgläubiger zukommt, in Geld zu bezahlen ist, wenn die Beteiligten nichts anderes vereinbaren. Sie bestimmen ferner, dass die Belastung des Grundstücks, die zugunsten des Betreibenden bestand, im Grundbuch gelöscht wird.
2 Vom Grundeigentümer zu Faustpfand begebene Eigentümer- oder Inhabertitel werden im Falle separater Verwertung auf den Betrag des Erlöses herabgesetzt.