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Mietrecht / Miete / Mietvertrag

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Anfechtung Anfangsmietzins: Praxisänderung der Rechtsprechung zur Beweislast der Missbräuchlichkeit

Datum:
07.06.2021
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Mietrecht / Miete / Mietvertrag
Stichworte:
Anfangsmietzins, Anfechtung, Beweislast, Missbrauch
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Einleitung

Das Bundesgericht (BGer) präzisiert neu seine Rechtsprechung zur Frage, welche Partei (Mieter oder Vermieter) im Streitfall zu beweisen hat, ob der Anfangsmietzins für eine Altbauwohnung im Vergleich mit orts- oder quartierüblichen Mietzinsen missbräuchlich ist oder nicht.

Sachverhalt

Eine Frau hatte 2017 in der Stadt Zürich eine 2-Zimmer-Wohnung für monatlich CHF 1060 netto in einem 1933 erbauten Haus gemietet. Die Vormiete betrug CHF 738 netto.

Prozess-History

  • Erste Instanz
    • Das Mietgericht Zürich (MGZ) beurteilte den Mietzins 2019 als missbräuchlich und legte ihn auf CHF 855 netto fest.
  • Zweite Instanz
    • Die Vermieterin erhob Berufung ans Obergericht des Kantons Zürich (OGZ).
    • Dieses wies die Berufung ab.
  • Dritte Instanz
    • Das BGer hiess die Beschwerde der Vermieterin teilweise gut und wies die Sache zu neuem Entscheid ans OGZ zurück.

Erwägungen des Bundesgerichts

  • Voraussetzung der erheblichen Erhöhung
    • Gemäss OR 270 können Mieter den Anfangsmietzins für Wohnräume als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen, falls er gegenüber dem früheren Mietzins erheblich erhöht wurde.
  • Orts- und Quartierüblichkeit als Kriterium
    • Ob der Mietzins missbräuchlich ist, beurteilt sich bei Altbauten – wie hier- aufgrund des Kriteriums der Orts- oder Quartierüblichkeit.
  • Überprüfung aufgrund von Statistiken + Vergleichsobjekten
    • Die Missbräuchlichkeit ist auf der Basis offizieller Statistiken (im konkreten Fall nicht verfügbar) oder anhand von fünf Vergleichsobjekten zu prüfen.
  • Beweislast des Mieters
    • Ficht der Mieter den Anfangsmietzins an, hat grundsätzlich er zu beweisen, dass dieser missbräuchlich ist.
  • Präzisierung der Rechtsprechung zur Beweislast
    • In Präzisierung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 139 III 13) geht das BGer nun zu Gunsten des Mieters von der Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses aus, wenn der neue Mietzins gegenüber dem früheren massiv, d.h. um deutlich mehr als 10 % erhöht wurde.
    • Die Mietzinserhöhung betrug hier 44 %.
  • Erschütterung der Vermutung durch den Vermieter
    • Diese Vermutung kann vom Vermieter jedoch erschüttert werden, wenn es ihm gelingt, an ihrer Richtigkeit mittels Indizien begründete Zweifel zu wecken.
    • Dabei würden nicht die gleich strengen Anforderungen wie für den Beweis der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses gelten.
      • Denkbare Beispiele
        • Beizug von 1) inoffiziellen Statistiken oder von 2) anderen Wohnobjekten, welche die Anforderungen bezüglich Vergleichbarkeit nicht vollständig erfüllen.
        • Privatgutachten, die die Vermutung erschüttern.
      • Ein gewichtiges Indiz gegendie Vermutung eines missbräuchlichen Anfangsmietzinses ist zudem ein lange dauerndes Vormietverhältnis ohne laufende Mietzinserhöhung.
        • Von einem langen Vormietverhältnis ist laut BGer bei einer Dauer von 15 bis 20 Jahren auszugehen.
  • Entfallende Vermutung bei Erschütterung durch den Vermieter
    • Sollte das Gericht zum Schluss kommen, dass es dem Vermieter gelungen ist, die Vermutung eines wegen massiver Mieterhöhung missbräuchlichen Anfangsmietzinses zu erschüttern, entfällt diese.
  • Obliegenheit des Mieters zum strikten Beweis bei entfallener Vermutung
    • Für den Fall der entfallenen Vermutung obliegt es dem Mieter, auf Basis amtlicher Statistiken oder von fünf Vergleichsobjekten den strikten Beweis zu erbringen, dass die Mietzinserhöhung tatsächlich missbräuchlich ist.

Entscheid

  1. Die Beschwerde wurde teilweise gutheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 02.03.2020 wurde aufgehoben und die Sache wurde zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen.
  2. Die Gerichtskosten von CHF 2’000.– wurden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
  3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit CHF 2’500.– zu entschädigen.
  4. Dieses Urteil wurde den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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