Das Bundesgericht (BGer) hatte sich in einem aktuellen Entscheid zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der seit Anfang 2019 geltenden Gesetzesbestimmung zur Rückstufung einer Niederlassungsbewilligung in eine Aufenthaltsbewilligung wegen mangelnder Integration zu äussern.
Einleitung
Anfangs 2019 trat die neue Regelung zur Rückstufung im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) in Kraft (Artikel 63 Absatz 2 AIG):
- Möglichkeit zum Widerruf einer Niederlassungsbewilligung und Ersatz durch eine blosse Aufenthaltsbewilligung, wenn die ausländische Person die gesetzlichen Integrationskriterien nicht oder nicht mehr erfüllt
- Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
- Respektierung der Werte der Bundesverfassung
- Sprachkompetenzen
- Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung.
- Die Rückstufung kann verknüpft werden mit
- einer Integrationsvereinbarung oder
- Bedingungen, wobei
- bei deren Missachtung folgendes möglich ist:
- Widerruf der Aufenthaltsbewilligung oder
- Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung.
Sachverhalt
Der Fall betraf einen kosovarischen Staatsbürger, der 1992 in die Schweiz eingereist war.
Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Er wurde in der Schweiz mehrfach straffällig.
- zahlreiche Strassenverkehrsdelikte
- Betäubungsmitteldelikt (Einfuhr von Haschisch) (2013; Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr 2018).
History
- Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau stufte seine Niederlassungsbewilligung auf eine Aufenthaltsbewilligung zurück (2019), weil er wegen seiner Straffälligkeit ein Integrationsdefizit aufweise.
Erwägungen des Bundesgerichts
Das BGer äussert sich in einem aktuellen Entscheid zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Rückstufung:
Verhältnismässigkeitsprinzip
- Wie jedes staatliche Handeln hat diese grundsätzlich verhältnismässig zu sein.
- zB Anwendung des milderen Mittels der Verwarnung.
Verhältnis von Rückstufung und strafrechtlicher Landesverweisung
- Weiter stellte sich die Frage, wie sich die Rückstufung zur strafrechtlichen Landesverweisung verhalte.
- Gemäss BGer ist die Rückstufung der Niederlassungsbewilligung grundsätzlich auch dann möglich, wenn das Strafgericht auf eine Landesverweisung verzichtet habe.
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Einbezug anderer Gründe?
- Nicht erforderlich sei, dass andere Gründe als die strafrechtliche Verurteilung für die Rückstufung sprechen würden.
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Integrationsdefizite als Rückstufungsgründe
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Ernsthafte Integrationsdefizite
- Nur ernsthafte Integrationsdefizite sollen zu einer Rückstufung führen.
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Aktuelle Integrationsdefizite
- Die Rückstufung muss an ein aktuelles Integrationsdefizit anknüpfen.
- Bei der Rückstufung einer Niederlassungsbewilligung, die vor 2019 erteilt wurde, ist mit Blick auf eine unzulässige Rückwirkung zu beachten, dass nicht ausschliesslich auf Sachverhalte abgestellt werden darf, die sich vor 2019 ereignet haben.
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Temporale Abgrenzung
- Eine Rückstufung muss sich also auf Vorkommnisse abstützen, die sich nach 2019 zugetragen haben oder die nach diesem Datum fortdauern.
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Subsumption
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Strafrechtliche Verurteilung
- Es liegen mehrere strafrechtliche Verurteilungen vor.
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Schweregrad der Delikte
- Abgesehen vom Betäubungsmitteldelikt handelte es sich gemäss BGer aber um Delikte von eher untergeordneter Bedeutung, auch wenn bei einigen nicht mehr von Bagatellen gesprochen werden könne.
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Zeitpunkt
- Die letzte Straftat datiere von 2018 und liege damit vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts.
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Verhalten unter neuem Recht
- Trotz seines früheren Verhaltens liege somit kein unter dem neuen Recht aktualisiertes, hinreichend gewichtiges Integrationsdefizit vor.
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Künftiges Verhalten
- Sollte der Mann weiterhin zu namhaften Klagen Anlass geben, hätte er trotz seiner langen Anwesenheitsdauer entweder mit einem sofortigen Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung und einer Wegweisung oder zumindest mit einer Rückstufung zu rechnen.
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Entscheid
- Das BGer hiess die Beschwerde gut, hob die Rückstufung auf und verwarnte den Mann.
Urteil des Bundesgerichts vom 19.10.2021 (2C_667/2020)
Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 12.11.2021
Quelle
LawMedia Redaktionsteam