OR 322a Abs. 2 / ZPO 243
Sachverhalt
A._____ (Klägerin + Beschwerdeführerin) war eine ehemalige Arbeitnehmerin der B._____ AG (Beklagte + Beschwerdegegnerin). Die B._____ AG betreibt Zahnarztkliniken in der Schweiz. Die Klägerin war ab 01.03.2011 bei der Beklagten als Zahnärztin und zusätzlich ab 01.11.2012 als Zentrumsleiterin im Nebenamt angestellt.
Letzteren Arbeitsvertrag kündigte die Beklagte per 17.06.2018, ersteren per 04.01.2019.
Die Klägerin erhob bei der Vorinstanz vier Klagen:
- Im unter der Geschäftsnummer AH200005-L geführten Verfahren machte sie eine Forderung von CHF 29’999.– wegen missbräuchlicher Kündigung der Anstellung als Zahnärztin geltend.
- Im zweiten Verfahren (Geschäftsnummer AH200006-L) verlangte die Klägerin ebenfalls die Zusprechung von CHF 29’999.–, und zwar wegen missbräuchlicher Kündigung der Anstellung als Zentrumsleiterin.
- Zwei weitere Klagen erhob die Klägerin später bei der Vorinstanz: Im unter der Geschäftsnummer AH200203-L geführten Verfahren machte sie Lohnansprüche aus beiden Arbeitsverträgen in der Höhe von CHF 29’999.– geltend.
- Die zweite Klage hat – wiederum aus den beiden Arbeitsverträgen – Ferienlohnansprüche von CHF 8’587.–, zwei Arbeitszeugnisse und die Erstellung von Schlussrechnungen zum Gegenstand (Geschäftsnummer AH200204-L; …).
Überblick über die Klageverhältnisse
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin also folgende Ansprüche zum Gegenstand von vier separaten Klagen gemacht:
- Forderungen von insgesamt CHF 98’584.–;
- die Ausstellung von zwei Arbeitszeugnissen und
- die Erstellung von Schlussrechnungen.
Der Streitwert für die Arbeitszeugnisse betrug praxisgemäss ein Monatslohn,
- somit ca. CHF 16’000.– oder – weil es nur um Änderungen ging – mit der Beklagten mindestens CHF 6’000.–.
In der dazugehörigen Klagebewilligung wurde der Streitwert der vierten Klage
- mit CHF 23’600.– beziffert.
Insgesamt summiert sich der Streitwert der vier Klagen auf
- mindestens CHF 113’597.– (3 x CHF 29’999.– + CHF 23’600.–).
Vorbehalten hat sich die Klägerin die Geltendmachung von Ansprüchen als variabler Lohnanteil ab Beginn ihrer Anstellung als Zentrumsleiterin.
Aufschluss über das Quantitativ dieses Lohnanteils erhofft sich die Klägerin aus der entsprechenden «Schlussabrechnung» zu erhalten.
Im Zahlungsbefehl vom 05.01.2021 wurde der variable Lohnanteil 2015 beziffert mit
- CHF 90’000.– beziffert.
Gemäss Arbeitsvertrag vom 06.06.2012 setzte sich der Lohn für die Zentrumsleitung zusammen aus
- einem Fixlohn und
- einem variablen Lohn, welcher auf dem Standortgewinn basierte.
Prozess-History
- Arbeitsgericht Zürich (VI)
- Prozessvereinigung und Prozessweiterführung im ordentlichen Verfahren, mitgeteilt mit Rechtsmittelbelehrung (siehe nachfolgende Box)
Details des Vorgehens des Arbeitsgerichts Zürich
Mit Verfügung vom 08.09.2020 vereinigte die Vorinstanz die beiden ersten Verfahren AH200005-L und AH200006-L, wobei das Verfahren unter der Geschäftsnummer AH200005-L weitergeführt und das Verfahren AH200006-L abgeschrieben wurde (…).
- Am 09.02.2021 erliess die Vorinstanz folgende Verfügung (…):
- Die Prozesse Nr. AH200203-L und Nr. AH200204-L werden mit dem vorliegenden Prozess Nr. AH200005-L vereinigt. Die Prozesse Nr. AH200203-L und AH200204-L werden als dadurch erledigt abgeschrieben.
- Der Prozess AH200005-L wird ins ordentliche Verfahren vor Kollegialgericht überführt. Im ordentlichen Verfahren wird der Prozess unter der Nummer AN200093-L weitergeführt.
- Der Prozess AH200005-L wird als dadurch erledigt abgeschrieben.
- 4. Die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen bleibt dem Entscheid im Prozess Nr. AN200093-L vorbehalten.
(5./6.Mitteilungen, Rechtsmittelbelehrung).
- Obergericht des Kantons Zürich
- Gegen die vorinstanzliche Verfügung hat die Klägerin mit Eingabe vom 25.02.2021 Beschwerde erhoben und folgende Anträge gestellt (…): Wortlaut siehe nachfolgende Box.
Details des Rechtsmittelbegehrens der Klägerin / Beschwerdeführerin ans Obergericht des Kantons Zürich
«Die Verfügung des Arbeitsgerichts Zürich vom 9.2.2021 im Prozess Nr. AH200005-L sei aufzuheben und die Sache sei an das Arbeitsgericht Zürich zurückzuweisen zur Neubeurteilung gemäss den Erwägungen. Eventualiter: Die Verfügung des Arbeitsgerichts Zürich vom 9.2.2021 im Prozess Nr. AH200005-L sei aufzuheben und der Prozess Nr. AH200005 (mitenthaltend auch den mit Verfügung des Arbeitsgerichts Zürich vom 8.9.2020 damit vereinigten Prozess[es] Nr. AH200006-L) sei unter Vereinigung mit den Prozessen Nrn. AH200203-L und AH200204-L unter Beibehaltung der Verfahrensart, d.h. im vereinfachten, kostenfreien Verfahren nach Art. 243 Abs. 1 i.V. mit Art. 114 lit. c ZPO vor Einzelrichterin weiterzuführen. – alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge -«.
Erwägungen des Obergerichts des Kantons Zürich (OGZ)
OR 322a Abs. 2 statuiert für diesen Fall ein Auskunfts- und Einsichtsrecht der Arbeitnehmerin:
- Die Auskunfts- und Einsichts-Rechte sind vermögensrechtlicher Natur.
- Sie bilden die Voraussetzung für eine spätere Geltendmachung allfälliger weiterer Ansprüche.
Zu Recht warf die Beklagte der Klägerin vor, sie missbrauche das vereinfachte, kostenlose Verfahren:
- Rechtsmissbrauch von Teilklagen
- Gemäss OGZ erscheint nur schon die Aufteilung in vier Teilklagen als rechtsmissbräuchlich,
- dient doch das Institut der Teilklage nicht dazu,
- durch eine nahezu beliebige Anzahl Teilklagen mit einem Streitwert von jeweils unter CHF 30’000.– ohne Gerichtskosten im vereinfachten Verfahren zu prozessieren.
- dient doch das Institut der Teilklage nicht dazu,
- Die Kostenfreiheit verfolge den Zweck, den am Arbeitsverhältnis Beteiligten, namentlich der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer als schwächere Partei, zu ermöglichen, ohne Kostenrisiko um ihr Recht zu kämpfen.
- Dieser Zweck wurde durch die Klägerin mit der gleichzeitigen oder gestaffelten Erhebung mehrerer Teilklagen unter CHF 30’000.– missbraucht.
- Gemäss OGZ erscheint nur schon die Aufteilung in vier Teilklagen als rechtsmissbräuchlich,
- Nicht gerechtfertigte Nutzung der «Vorteile des vereinfachten Verfahrens»
- Mit Blick auf den Gesamtstreitwert von über CHF 100’000.– sei es auch nicht gerechtfertigt gewesen, dass die Klägerin die «Vorteile des vereinfachten Verfahrens» beanspruche, welches im Bereich von kleinen Streitwerten sich durch die Verfahrensbeschleunigung und die Laientauglichkeit sowie richterliche Hilfestellung bei der Feststellung des Sachverhalts auszeichne.
- Sanktionierung des Rechtsmissbrauchs durch die Vorinstanz (VI): Überführung ins ordentliche Verfahren
- Die Vorinstanz (VI) habe den Rechtsmissbrauch mit der Vereinigung der Verfahren und Überführung ins ordentliche Verfahren sanktioniert.
- Dies wurde für den Fall, dass der Tatbestand des Rechtsmissbrauchs bejaht wird, von der Klägerin nicht gerügt!
- Die Vorinstanz (VI) habe den Rechtsmissbrauch mit der Vereinigung der Verfahren und Überführung ins ordentliche Verfahren sanktioniert.
- Alternative Sanktionierungsmöglichkeit: Nichteintreten
- Alternativ hätte die Vorinstanz nach Ansicht des OGZ auf die Klagen mangels Rechtsschutzinteresse nicht eintreten können und der Klägerin wäre es offen gestanden, ihre Ansprüche mit einer neuen Klage im ordentlichen Verfahren geltend zu machen.
Aufgrund der Erwägungen war die Beschwerde gegen die Verfügung des Arbeitsgerichts Zürich (VI) vom 09.02.2021 abzuweisen und der angefochtene Entscheid zu bestätigen.
Entscheid des OGZ
- Die Beschwerde wird abgewiesen und die Verfügung des Arbeitsgerichts Zürich, 3. Abteilung, vom 9. Februar 2021 wird bestätigt.
- Für das zweitinstanzliche Verfahren werden keine Kosten erhoben.
- Für das zweitinstanzliche Verfahren werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
- (Schriftliche Mitteilungen)
- (Rechtsmittelbelehrung)
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich
I.Zivilkammer
vom 23.04.2021
RA210006-O/U
Weiterführende Informationen
2. Anteil am Geschäftsergebnis
Art. 322a OR
1 Hat der Arbeitnehmer vertraglich Anspruch auf einen Anteil am Gewinn oder am Umsatz oder sonst am Geschäftsergebnis, so ist für die Berechnung des Anteils das Ergebnis des Geschäftsjahres massgebend, wie es nach den gesetzlichen Vorschriften und allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen festzustellen ist.
2 Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer oder an dessen Stelle einem gemeinsam bestimmten oder vom Richter bezeichneten Sachverständigen die nötigen Aufschlüsse zu geben und Einsicht in die Geschäftsbücher zu gewähren, soweit dies zur Nachprüfung erforderlich ist.
3 Ist ein Anteil am Gewinn des Unternehmens verabredet, so ist dem Arbeitnehmer überdies auf Verlangen eine Abschrift der Erfolgsrechnung zu übergeben.
4. Titel: Vereinfachtes Verfahren
Art. 243 ZPO Geltungsbereich
1 Das vereinfachte Verfahren gilt für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 30 000 Franken.
2 Es gilt ohne Rücksicht auf den Streitwert bei Streitigkeiten:
- nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995;
- wegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen nach Artikel 28b ZGB oder betreffend eine elektronische Überwachung nach Artikel 28c ZGB;
- aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- oder Pachtverhältnisses betroffen ist;
- zur Durchsetzung des Auskunftsrechts nach dem Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz;
- nach dem Mitwirkungsgesetz vom 17. Dezember 1993;
- aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung.
3 Es findet keine Anwendung in Streitigkeiten vor der einzigen kantonalen Instanz nach den Artikeln 5 und 8 und vor dem Handelsgericht nach Artikel 6.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam