RA Urs Bürgi, Inhaber des Zürcher Notarpatentes, und
RA Marc Peyer, Fachanwalt SAV Erbrecht
Einleitung
Im erbrechtlichen Praxisalltag wird relativ oft die Beurteilung des Testaments eines Erblassers gewünscht, ob es rechts- und / oder sittenwidrige Inhalte aufweise.
Der Wunschgedanken eines zurückgesetzten Kunden zielt natürlich darauf ab, dass das Testament oder mindestens ein Teilinhalt ungültig oder nichtig ist.
Die nachfolgende Auslegeordnung soll die Sittenwidrigkeit und ihre Anwendungsfälle sowie die Rechtsfolgen aufzeigen.
Agenda
- Einleitung
- Sittenwidrigkeit
- Sittenwidrige Testamentsinhalte
- Allgemein
- Maitressentestament (Geliebtentestament)
- Erbschleichertestament
- Testament mit Einschränkung des Bedachten bei seiner Willens- und Entscheidungsfreiheit
- Testament auf Basis beeinträchtigter Willensfreiheit des Erblassers
- Testament zG Pflegepersonen
- Testament zG Ärzte und Rechtsanwälte
- Testament mit Heim- und Demenzklauseln
- Testament mit unsittlichen Auflagen und Bedingungen
- Verstoss gegen die Beistandspflicht
- Wiederverheiratungsklausel
- Konkubinatsklausel
- Strafklausel
- Ungültigkeit
- Fazit
Sittenwidrigkeit
Vorab ist zu klären, dass die Sittenwidrigkeit sich stets auf den Inhalt eines Testaments bezieht.
Definition
Testamentsinhalte gelten als sittenwidrig, wenn sie verstossen:
- gegen das allgemeine Anstandsgefühl;
- gegen die ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe.
Dieser Verstoss kann bestehen:
- einerseits
- in der vereinbarten Leistung;
- oder in dem damit angestrebten mittelbaren Zweck oder Erfolg;
- oder andererseits
- im Umstand, dass eine notwendig unentgeltliche Leistung mit einer geldwerten Gegenleistung verknüpft wird (vgl. BGE 123 III 101).
Gesetzliche Grundlage
Der Ungültigkeitstatbestand der Rechts- und / oder Sittenwidrigkeit ist in ZGB 519 Abs. 1 Ziff. 3 geregelt.
A. Ungültigkeitsklage
I. Bei Verfügungsunfähigkeit, mangelhaftem Willen, Rechtswidrigkeit und Unsittlichkeit
Art. 519
1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
- wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
- wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
- wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2 Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
Abgrenzung
Die Abgrenzung der Sittenwidrigkeit von der Rechtswidrigkeit ist oft schwierig. Selbst die Rechtsprechung bleibt da manchmal unscharf.
Einerseits mag dies davon herrühren, dass der Sittenwidrigkeit eine gewisse Rechtswidrigkeit immanent ist und, dass die praktische Relevanz einer Unterscheidung nur gering ist.
Gesamtwürdigung
Das zuständige Gericht wird für die Beurteilung, ob das Testament gegen die guten Sitten verstösst, auf den Gesamtcharakter des Testaments abstellen.
Subjektive Begleitumstände
Auch eine Sittenwidrigkeitsprüfung kommt nicht um die Berücksichtigung der subjektiven Begleitumstände im konkreten Einzelfall hin:
- Zwecke
- Motive / Beweggründe des Erblassers;
- etc.
Zu berücksichtigen ist auch das Phänomen, dass bei älteren Personen die Widerstandsfähigkeit gegenüber äusseren Druckversuchen abnimmt.
Das Gericht wird die vorliegenden Umstände zu berücksichtigen haben.
Massgebender Zeitpunkt
Für die Sittenwidrigkeitsentscheidung durch das Gericht sind die im Beurteilungszeitpunkt aktuellen Verhältnisse wesentlich, namentlich:
- die Gesamtrechtsordnung
- mit ihren ethischen Prinzipien und
- mit ihren Wertmassstäben;
- die aktuell herrschende sittliche Anschauung der Bevölkerung.
Beurteilungszeitpunkt ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt des Todes (Erbgang).
- Es ist aber zu berücksichtigen, dass ein gesellschaftlicher Wertewandel stattfinden kann.
- Ein Testament kann im Errichtungszeitpunkt als sittenwidrig gelten, im Zeitpunkt des Todes jedoch infolge gesellschaftlichen Wertewandels nicht mehr; oder umgekehrt.
- Es kann der Auslegungsgrundsatz „favor testamenti“ zur Anwendung gelangen:
- Das Prinzip „favor testamenti“ bedeutet, dass im Zweifel diejenige Testaments-Auslegung den Vorzug erhalten soll, welche die Aufrechterhaltung des Testaments ermöglicht
- Ein Testament, welches im Zeitpunkt der Errichtung noch nicht als sittenwidrig galt, jedoch (aufgrund gesellschaftlichen Wertewandels) im Zeitpunkt des Erbgangs nunmehr als sittenwidrig zu qualifiziert ist, kann im konkreten Einzelfall dennoch als gültig erachtet werden.
Entwicklung
Aktuell werden immer wieder die Fragen gestellt, ob auch Zuwendungen an Vertrauenspersonen des Erblassers die Ungültigkeitsfolge wegen Sittenwidrigkeit nach sich ziehen können und wenn ja, wo die personelle Schranke liegt.
Sittenwidrige Testamentsinhalte
Allgemein
Ein sittenwidriges Testament liegt dann vor, wenn es verstösst gegen
- das allgemeine Anstandsgefühl oder
- die in der Gesamtrechtsordnung mitenthaltenen ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe.
Maitressentestament (Geliebtentestament)
Ein sog. „Maitressentestament“ beinhaltet die erbrechtliche Zuwendung einer verheirateten Person (Erblasser / Erblasserin) an die Partnerin / den Partner eines ehebrecherischen Liebesverhältnisses. Dabei wird stets angenommen, dass
- entweder der Erblasser
- oder die Begünstigte verheiratet ist,
- aber nicht miteinander,
- sondern mit einer anderen Person.
In der testamentarischen Begünstigung kann u.U. eine Verletzung moralischer Pflichten gegenüber dem Ehepartner erblickt und daraus eine Sittenwidrigkeit hergeleitet werden.
Eine Sittenwidrigkeit kann angenommen werden, wenn das Testament errichtet wurde,
- um die Begünstigte zur Fortsetzung des ehebrecherischen Verhältnisses und / oder
- zur Auflösung ihrer eigenen Ehe zu bestimmen.
Die Tatsache einer ausserehelichen Beziehung zwischen dem Erblasser bzw. der Erblasserin und der bedachten Person führt nicht für sich alleine zu einer Sittenwidrigkeits-Qualifikation. Zu berücksichtigen und zu untersuchen sind vielmehr:
- Zweck
- h. der mit dem Testament verfolgte Zweck;
- Beweggründe
- h. die Motive (Beweggründe) des Erblassers;
- Wirkungen
- h. die Auswirkungen des Testaments.
Das Testament gilt nicht als sittenwidrig,
- wenn es das Verhalten des Begünstigten nicht zu beeinflussen vermag,
- zB weil dieser vom Testament bis zur Eröffnung keine Kenntnis hatte.
Entscheidend ist die Wirkung der Zuwendung auf den Begünstigten:
- Die Zuwendung muss das ehebrecherische Verhalten fördern.
Literatur
- HASENBÖHLER FRANZ, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, in: BMJ 1980, S. 5
- WOLF STEPHAN / GENNA GIAN SANDRO, SPR IV/1, S. 426
- EIGENMANN ANTOINE / ROUILLER NICOLAS, Commentaire du droit des successions, Commentaire Stämpfli CS, Bern, Art. 519 ZGB, N 22
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002, S. 120 ff.
- ABT DANIEL / KÜNZLI MARTIN, Stinkende Fälle: Entwicklungen, Erfahrungen, Erkenntnisse, in: Paul Eitel / Alexandra Zeiter (Hrsg.), Kaleidoskop des Familien- und Erbrechts, Liber amicarum für Alexandra Rumo-Jungo, Zürich/Basel/Genf 2014, S. 5
Judikatur
- BGer 5C.81/2003, Erw. 2
- BGE 109 II 15, Erw. 1
- BGE 93 II 161, Erw. 2
- BGE 85 II 380, Erw. 2
- BGE 73 II 15, Erw. 2
Weiterführende Informationen
Die Rechtsprechung dürfte weiter für die Auslegung des Rechtsbegriffes der „Sittenwidrigkeit“ berücksichtigen:
- Die Entwicklung der gesellschaftlichen Normen.
- Die aktuellen Wertvorstellungen der Gesellschaft.
- Die gewandelte Werteauffassung.
Jedenfalls dürfte davon ausgegangen werden,
- dass die Testierfreiheit des Erblassers,
- h. die Freiheit über sein Vermögen innerhalb der Grenzen des Pflichtteilsrechts zu verfügen,
- heute einen wichtigeren Stellenwert einnimmt als früher.
Erbschleichertestament
Definition
Die «Erbschleicherei» ist darauf ausgerichtet,
- dass sich i.d.R. Vertrauenspersonen
- zB Anwälte, Ärzte, Pflegepersonen usw.,
- unter Ausnutzung der Schwäche eines potentiellen Erblassers
- zB betagte Personen,
- über dessen Testament
- zB durch Erbeinsetzung oder Vermächtniszuwendungen (Legate),
- Vermögensvorteile verschaffen,
- zB erbrechtlich relevante Zuwendungen
- was von der Öffentlichkeit als gegen die herrschenden Moralvorstellungen verstossend empfunden wird.
Erbschleicherei-Tatbestände / Kasuistik
Wichtige Fälle von Erbschleicherei betreffen Zuwendungen des Erblassers an:
- Vertrauenspersonen (mit und ohne Berufsgeheimnispflicht)
- Ärzte / Psychologen
- Rechtsanwälte / Notare
- Siehe auch Testament zG Ärzte und Rechtsanwälte
- Treuhänder
- Banker / Vermögensverwalter / Finanzberater
- Pflegepersonen / Sozialarbeiter / Haushaltshilfen / Heimleiter
- Siehe auch Testament zG Pflegepersonen
- Pfarrer / Geistliche
- Beamte (zB KESB)
- Personen, die mit dem Erblasser eine Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft unterhielten (sog. «Kontaktanzeigenfall»)
- Personen, die den Erblasser beeinflussten oder ihn zu ihren Gunsten zu einem Testament motivierten
Man kann sich nicht auf Gerichtsurteile verlassen, da die frühere Rechtsprechung infolge veränderter Wertvorstellungen inskünftig ändern könnte.
Quelle: BGer 4A_3/2014 vom 09.04.2014, Erw. 3.1
Art. 38 der Standesverordnung der FMH Annahme von Geschenken
Die Annahme von Geschenken, Verfügungen von Todes wegen oder von anderen Vorteilen, sei es von Patienten, Patientinnen oder von Dritten, die den Arzt oder die Ärztin in ihren ärztlichen Entscheidungen beeinflussen können und das übliche Mass kleiner Anerkennungen übersteigen, ist unzulässig.
Art. 12 BGFA Berufsregeln
Für Anwältinnen und Anwälte gelten folgende Berufsregeln:
- Sie üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus.
- Sie üben ihren Beruf unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung aus.
- Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen.
- Sie können Werbung machen, solange diese objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht.
- Sie dürfen vor Beendigung eines Rechtsstreits mit der Klientin oder dem Klienten keine Vereinbarung über die Beteiligung am Prozessgewinn als Ersatz für das Honorar abschliessen; sie dürfen sich auch nicht dazu verpflichten, im Falle eines ungünstigen Abschlusses des Verfahrens auf das Honorar zu verzichten.
- Sie haben eine Berufshaftpflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, abzuschliessen; die Versicherungssumme muss mindestens eine Million Franken pro Jahr betragen; anstelle der Haftpflichtversicherung können andere, gleichwertige Sicherheiten erbracht werden.
- Sie sind verpflichtet, in dem Kanton, in dessen Register sie eingetragen sind, amtliche Pflichtverteidigungen und im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege Rechtsvertretungen zu übernehmen.
- Sie bewahren die ihnen anvertrauten Vermögenswerte getrennt von ihrem eigenen Vermögen auf.
- Sie klären ihre Klientschaft bei Übernahme des Mandates über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung auf und informieren sie periodisch oder auf Verlangen über die Höhe des geschuldeten Honorars.
- Sie teilen der Aufsichtsbehörde jede Änderung der sie betreffenden Daten im Register mit.
Klagevarianten
Derartigen Verhaltensweisen kann durch folgende Instrumente bekämpft werden:
- Klage auf Ungültigkeit wegen Verfügungsunfähigkeit (Testierunfähigkeit)
- Klage auf Ungültigkeit wegen Willensmängeln
- Klage auf Ungültigkeit wegen Sittenwidrigkeit
- Klage auf Nichtigkeit zufolge Erbunwürdigkeit der Vertrauensperson.
Beweisproblematik
Es obliegt grundsätzlich dem Kläger, nachzuweisen, dass der Testamentsinhalt rechtswidrig bzw. sittenwidrig bzw. die Vertrauensperson erbunwürdig ist (ZGB 8).
Gesetzgebungsbemühungen
In jüngster Zeit haben sich bestimmte Bevölkerungskreise, Parlamentarier und der Bundesrat (BR) mit dieser unmoralischen Verhaltensweise, die umgangssprachlich als «Erbschleicherei» bezeichnet wird, beschäftigt:
- Der BR hat die Brücke zur Sittenwidrigkeit geschlagen (vgl. den Vorentwurf und den erläuternden Bericht zur Änderung des ZGB (Erbrecht) des BR, S. 38 ff.)
- Die Auffassungen für künftige Lösungen gingen aber auseinander (a.a.O., S .39):
«Von einer sehr strikten Lösung wie der Einführung eines neuen Unwürdigkeitsgrundes (mit einer Ausnahme für Gelegenheitsgeschenke) für alle Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Funktion in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur verfügenden Person stehen, sowie für ihre Angehörigen (…), über eine moderate Lösung wie der Anfechtbarkeit von Zuwendungen an eine Fachperson, die einen weitgehenden Zugang zur Privatsphäre und zum Vermögen des Erblassers hatte und gegen die Standesethik verstiess (…), bis hin zu einer liberaleren Lösung, gemäss der die Verfügungsfreiheit Vorrang haben soll und das «Trinkgeldtestament» bis zu einem Umfang von 10, 20 oder 33 % des Vermögens zulässig bleiben muss (…).»
Vorhandene Regeln
Die derzeit geltenden Bestimmungen erschienen dem BR zwar als ungenügend. Gleichwohl meinte er, dass diese trotzdem einen gewissen Schutz bieten würden, zumindest in den hochproblematischen Fällen. Ausserdem böten sie den Vorteil, dass dem Erblasser seine Verfügungsfreiheit belassen würde, sei dies für Verfügungen zugunsten seines Anwalts, seiner Haushalthilfe oder seiner Pflegerin.
Materialien
- Vorentwurf und erläuternder Bericht zur Änderung des Zivilgesetzbuchs (Erbrecht) des Bundesrats, S. 38 ff.
Literatur
- ABT DANIEL, Probleme um die unentgeltlichen lebzeitigen Zuwendungen an Vertrauenspersonen, AJP 2004 S. 1225 f.
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002, S. 125
- ABT DANIEL, Der Vermächtnisnehmer (als lebzeitiger Privatpfleger, Beistand Generalbevollmächtigter und Vorsorgebeauftragter in Personalunion) ist erbunwürdig; seine Vermächtnisklage wurde abgewiesen, in: successio 2023, 66 ff.
- AEBI-MÜLLER REGINA F., Testierfähigkeit im Schweizerischen Erbrecht, – unter besonderer Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Praxis, in: successio 2012, S. 27 f.
- ABT DANIEL / KÜNZLI MARTIN, Stinkende Fälle: Entwicklungen, Erfahrungen, Erkenntnisse, in: Paul Eitel / Alexandra Zeiter (Hrsg.), Kaleidoskop des Familien- und Erbrechts, Liber amicarum für Alexandra Rumo-Jungo, Zürich/Basel/Genf 2014, S. 3, m.w.H.
- BREITSCHMID PETER, Trinkgelder, Gratifikationen, Erbschaften … oder nichts als Applaus?, Pflegerecht 2022, S. 85
- SEILER BENEDIKT, Die erbrechtliche Ungültigkeit, unter besonderer Berücksichtigung der Wirkungen in personeller Hinsicht, Zürich/Basel/Genf 2017, Rz 681 ff.
- SCHWEIZERISCHE VEREINIGUNG GEGEN ERBSCHLEICHEREI, Erbschleicherei – Ein Medienspiegel, 2017, 215 Seiten
Judikatur
- BGer 5A_993/2020 vom 02.11.2021 (Erbunwürdigkeit des Vermächtnisnehmers, welcher Privatpfleger, Beistand, Generalbevollmächtigter und Vorsorgebeauftragter in Personalunion war)
- BGer 4A_3/2014 vom 09.04.2014 (Schenkung von CHF 2 Mio. an Hausarzt war ok, trotz Rohypnol-Sucht und -abgabe durch Hausarzt)
- BGE 136 III 142 ff. (USD 1 Mio. von USD 500 Mio. an Anwalt war ok)
- BGE 132 III 455 ff.
- BGE 132 III 305, Erw. 2
- BGE 132 III 315
- BGer 5A_748/2008 vom 16.03.2009 (Kontaktanzeige)
Weiterführende Informationen
Testament mit Einschränkung des Bedachten bei seiner Willens- und Entscheidungsfreiheit
Eine Sittenwidrigkeit kann vorliegen,
- wenn der Erblasser den Begünstigten in seiner Willens- und Entscheidungsfreiheit einschränkt,
-
- indem er ihn zu Verhaltensweisen verschiedenster Art verleitet,
- durch Auflagen oder Bedingungen;
- und ihn gestützt auf eine «aristokratische Vormundschaft» despotisch beeinflusst;
- und ihn diskriminiert.
- indem er ihn zu Verhaltensweisen verschiedenster Art verleitet,
Literatur
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002, S. 124 f.
- PAPEIL ANNE-SOPHIE, Clause testamentaire et liberté du mariage – Une étude comparative basée sur l’affaire américaine Shapira, in: successio 2012, S. 72, 75
- BREITSCHMID PETER / MATT ISABEL, FS Steinauer, Wille, Willensmängel und zu viel Wollen im Erbrecht, Bern 2013, S. 318
- SEROZAN RONA, Wohin steuert das Erbrecht?, in: successio 2014, S. 4, 20
Testament auf Basis beeinträchtigter Willensfreiheit des Erblassers
In der Praxis oft anzutreffen ist die Sittenwidrigkeit kraft Beeinträchtigung der freien Willensentscheidung des Erblassers durch Handlungsweisen einer Vertrauensperson:
- Eine Vertrauensperson beeinträchtigt und beeinflusst durch Ausnutzung des Vertrauensverhältnisses den Erblasser in seiner Willensfreiheit so, dass dieser die Person auf deren Veranlassung hin mit erbrechtlichen Zuwendungen begünstigt.
- Vgl. BGE 132 III 455, Erw. 4.2; BGer 4A_3/2014, Erw. 3.
Bei derartigen Umständen haben sich in der Literatur zwei Fallumschreibungen eingebürgert:
- «stinkende Fälle»;
- «Erbschleicherei».
Literatur
- ABT DANIEL / KÜNZLI MARTIN, FS ARJ, S. 3 ff., samt einer «Checklist für anrüchige Fälle
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002
- PÄRLI KURT / WANTZ NADINE, Vermächtnis und amtliche Tätigkeit, in: Pflegerecht Heft Nr. 3/2013, 19. August 2013, S. 185 ff.
- SEROZAN RONA, Wohin steuert das Erbrecht?, in: successio 2014, S. 20
Judikatur
- BGE 132 III 455, Erw. 4.2
- BGer, 4A_3/2014, Erw. 3
Testament zu Gunsten Pflegepersonen
Für die Behandlung und Betreuung von älteren, pflegebedürftigen Menschen wird in den medizinisch-ethischen Richtlinien und Empfehlungen stipuliert, dass das Pflegepersonal, abgesehen von kleinen Gelegenheitsgeschenken keine Schenkungen oder Erbschaften entgegennimmt.
Vergleiche zB
- die medizinisch-ethischen Richtlinien zur Betreuung und Behandlung von Menschen mit Demenz, genehmigt vom Senat der SAMW am 16.11.2017;
- in Bezug auf Berufsbeistände
- das Anforderungsprofil der Schweizerischen Vereinigung der Berufsbeistände [SVBB];
- den Verhaltens-/Berufskodex von Avenir-social.
Solche standes- oder berufsrechtlichen Regeln zeigen auf, dass derartige Zuwendungen nicht vereinbar sind mit:
- dem Berufsethos;
- den sittlichen Anschauungen.
Solche Regeln können für eine allfällige Sittenwidrigkeitskontrolle (ZGB 519 Abs. 1 Ziffer 3) der Rechtsprechung von Bedeutung sein. Entsprechend behandelt das Bundesgericht solche Normen mit grossem Respekt.
In Bezug auf Zuwendungen in öffentlich-rechtlichen Pflegeverhältnissen ist die Beschränkung der Verfügungsfreiheit durch [kantonales] öffentliches Personalrecht ein Indikator (vgl. PÄRLI KURT / WANTZ NADINE, a.a.O., 185 ff.).
Literatur
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002, S. 184 ff., S. 194 f., S. 204 + S. 209
- PÄRLI KURT / WANTZ NADINE, Vermächtnis und amtliche Tätigkeit, in: Pflegerecht Heft Nr. 3/2013, 19. August 2013, S. 185 ff.
Weiterführende Informationen
- Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften | samw.ch
- Anforderungsprofil Berufsbeistandspersonen | svbb-ascp.ch
- Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz | avenirsocial.ch
Testament zu Gunsten Ärzte und Rechtsanwälte
Die für die Erbschleicherei bzw. „stinkenden Fälle“ aufgezeigte Rechtsprechung ist von Bedeutung für:
- Ärzte
- Die Ärzte sind Art. 38 der Standesordnung FMH unterworfen, wonach die Annahme von Geschenken, Verfügungen von Todes wegen oder von anderen Vorteilen, sei es von Patienten, Patientinnen oder von Dritten, die den Arzt in ihren ärztlichen Entscheidungen beeinflussen können und das übliche Mass kleiner Anerkennungen übersteigen, untersagt ist.
- Rechtsanwälte
- Für Rechtsanwälte gilt die Maxime des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen.
Nebenbemerkung: Solche Regeln gelten zudem unter gewissen Voraussetzungen – kraft Mandatsrechts – für alle Personen, die im Rahmen eines Vertragsverhältnisses für eine andere Person entgeltlich oder unentgeltlich Geschäfte oder Dienste besorgen.
Zuwendungen an Vertrauenspersonen können
- zu Erbunwürdigkeit führen;
- unter dem Aspekt der Verfügungs(un)fähigkeit betrachtet werden;
- unter dem Aspekt der Willensmängel geprüft werden;
- unter dem Blickwinkel der Sittenwidrigkeit beurteilt werden.
Eine besondere Stellung nimmt sodann die Sittenwidrigkeit infolge Verstosses gegen berufsethische Maximen ein.
Wegleitende Entscheide bilden:
- BGE 132 III 455
- BGer, 4A_3/2014, Erw. 3.1, 3.3 und 3.4
- BGE 136 III 142 ff., Erw. 3.5 = Pra 2010, Nr. 100.
Literatur
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002, S. 23 ff., S. 124 f., S. 189 ff. und S. 195
- WOLF STEPHAN / GENNA GIAN SANDRO, SPR N/1, 425 f.
- ABT DANIEL / KÜNZLI MARTIN, Stinkende Fälle: Entwicklungen, Erfahrungen, Erkenntnisse, in: Paul Eitel / Alexandra Zeiter (Hrsg.), Kaleidoskop des Familien- und Erbrechts, Liber amicarum für Alexandra Rumo-Jungo, Zürich/Basel/Genf 2014, S. 12 f., S. 203 f. und S. 207
- WOLF STEPHAN / GENNA GIAN SANDRO, SPR N/1, 425 f.
- BESSENICH BALTHASAR, Interessenskonflikte in erbrechtlichen Mandaten, in: successio 2013, 128 ff. (v.a. bezüglich Interessenkonflikte in erbrechtlichen Mandaten)
Judikatur
- BGer 4A_3/2014, Erw. 3 [zum allfälligen Verstoss gegen Art. 1 und 38 der Standesordnung FMH im Zusammenhang mit einer Schenkung von rund CHF 2 Mio. an einen Hausarzt)
- BGE 136 III 142 ff., Erw. 3.5 = Pra 2010, Nr. 100
- BGE 132 III 455
Weiterführende Informationen
Testament mit Heim- und Demenzklauseln
In der Praxis wird neuerdings die Sittenwidrigkeit von Heim- oder Demenzklauseln aufgeworfen:
- Heimklausel
-
- Die Heimklausel bezieht sich v.a. auf den Eintritt des begünstigten überlebenden Ehegatten in ein Alters- oder Pflegeheim oder den Anfall anderer Betreuungskosten.
- Demenzklausel
- Die Demenzklausel kommt beim Verlust der Urteilsfähigkeit zum Tragen.
- Zweck
- (vollständiger oder teilweiser) Verlust (Rückgabe / Wegfall) einer erbrechtlichen Begünstigung
- Sie können in verschiedenen Arten ausgestaltet werden:
- Nacherbeneinsetzung
- Auflage unter (aufschiebender oder auflösender) Bedingung
- Vermächtnis unter (aufschiebender oder auflösender) Bedingung
Die Frage wurde von der Rechtsprechung noch nicht entschieden und in der Doktrin offengelassen.
Literatur
- FANKHAUSER ROLAND / BURCKHARDT THIERRY, FS Breitschmid, S. 295 ff.
- ZEITER ALEXANDRA, Schutzklauseln in Eheverträgen und Verfügungen von Todes wegen, in: ZBGR 96 (2015), 365 ff.
Testament mit unsittlichen Auflagen und Bedingungen
Zu den möglicherweise – je nach Sachverhalt – rechtswidrigen bzw. unsittlichen Auflagen oder Bedingungen zählen Klauseln (vgl. ZGB 482 Abs. 2 (grundsätzlich vollständige Ungültigkeit der Verfügung); Geltendmachung mit Ungültigkeitsklage (ZGB 519 Ziff. 3)), wie:
- Auflagen
- Privatorische Klausel (auch: resolutive Potestativbedingung)
- = Verwirkungsklausel, welche die Begünstigung von Nichtanfechtung einer Verfügung abhängig machen und dem Begünstigten Rechte entziehen, wenn er sich dem Willen des Erblassers widersetzt (umstritten)
- Vexatorische Klausel (ZGB 482 Abs. 3)
- = lästige oder unsinnige Klausel (unzulässig; unbeachtlich siehe Box unten)
- Privatorische Klausel (auch: resolutive Potestativbedingung)
- Bedingungen
- Kaptatorische Bedingung
- = Klausel, die eine Begünstigung davon abhängig machen, dass der Begünstige seinerseits jemanden (Erblasser oder eine Drittperson) begünstigt (in der Regel zulässig).
- Kaptatorische Bedingung
Sofern und soweit eine Klausel unsittlich ist, besteht eine grundsätzlich vollständige Ungültigkeit der Verfügung. Die Geltendmachung hat mit Ungültigkeitsklage zu erfolgen (ZGB 519 Ziffer 3; siehe Box unten).
B. Auflagen und Bedingungen
Art. 482 ZGB
1 Der Erblasser kann seinen Verfügungen Auflagen oder Bedingungen anfügen, deren Vollziehung, sobald die Verfügung zur Ausführung gelangt ist, jedermann verlangen darf, der an ihnen ein Interesse hat.
2 Unsittliche oder rechtswidrige Auflagen und Bedingungen machen die Verfügung ungültig.
3 Sind sie lediglich für andere Personen lästig oder sind sie unsinnig, so werden sie als nicht vorhanden betrachtet.
4 Wird ein Tier mit einer Zuwendung von Todes wegen bedacht, so gilt die entsprechende Verfügung als Auflage, für das Tier tiergerecht zu sorgen.
I. Bei Verfügungsunfähigkeit, mangelhaftem Willen, Rechtswidrigkeit und Unsittlichkeit
Art. 519 ZGB
1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
- wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
- wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
- wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2 Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
Literatur
- ABT DANIEL, Die Ungültigkeitsklage im schweizerischen Erbrecht, unter besonderer Berücksichtigung von Zuwendungen an Vertrauenspersonen, Diss. Basel 2002, S. 127 ff.
- WACHENDORF EICHENBERGER ISABEL, Die Konversion ungültiger Verfügungen von Todes wegen, Diss. Basel 2002, 92 ff.
- AUBERSON GERALDINE, Les clauses punitives du droit successoral, in: successio 2008, S. 35 ff.
- LÜDI MICHAEL, Auflagen und Bedingungen in Verfügungen von Todes wegen, unter Berücksichtigung des deutschen Rechts, Zürich / Basel / Genf 2016, S. 95 ff.
Weiterführende Informationen
Verstoss gegen die Beistandspflicht
In der Lehre wird darauf hingewiesen, dass ein Verstoss gegen ZGB 272, namentlich eine Verletzung von Loyalitätspflichten, im Kontext letztwilliger Verfügungen auch eine Sittenwidrigkeit (je nach Fall eher eine Rechtswidrigkeit) begründen könne.
C. Beistand und Gemeinschaft
Art. 272318 ZGB
Eltern und Kinder sind einander allen Beistand, alle Rücksicht und Achtung schuldig, die das Wohl der Gemeinschaft erfordert.
318 Fassung gemäss Ziff. I 1 des BG vom 25. Juni 1976, in Kraft seit 1. Jan. 1978 (AS 1977 237; BBl 1974 II 1).
Literatur
- ABT DANIEL / WEIBEL THOMAS, Erbrecht, Nachlassplanung, Nachlassabwicklung, Willensvollstreckung, Prozessführung, 4. Auflage, Basel 2019, N 29a zu Art. 519 ZGB
- BREITSCHMID PETER / MATT ISABEL, FS Steinauer, 318 f.
Weiterführende Informationen
Wiederverheiratungsklausel
Sogenannte Wiederverheiratungsklauseln sind testamentarische Anordnungen, welche die Entstehung oder den Verlust erbrechtlicher Ansprüche des Ehepartners davon abhängig machen, ob er wieder heiratet oder nicht.
Im Vordergrund stehen (meist wechselseitige) Wiederverheiratungsklauseln zu Lasten überlebender Ehegatten:
- Ausgangslage
- Errichtet der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen und begünstigt er den überlebenden Ehegatten mit mehr als ihm bei gesetzlicher Erbfolge zukäme, geschieht dies oft mit der Absicht, dass zumindest ein Teil der Begünstigung nach dem Hinschied auch des überlebenden Ehegatten gleichsam „doch noch“ an die gemeinsamen Nachkommen falle.
- Korrektur für den Fall der Wiederverheiratung
- Die Anwartschaften werden beeinträchtigt, wenn der überlebende Ehegatte erneut heiratet.
- Dieser Situation wird dadurch begegnet, dass der überlebende Ehegatte bei erneuter Verheiratung zumindest einen Teil des letztwillig vom früheren Ehegatten Erhaltenen den gemeinsamen Nachkommen wieder herausgeben muss.
- Ziel
- Dem überlebenden Ehegatten soll im Wiederverheiratungsfall gleich viel Substrat verbleiben, wie er seinerzeit bei gesetzlicher Erbfolge erhalten hätte.
Die Frage der Gültigkeit solcher Wiederverheiratungsklauseln wird in der Rechtslehre diskutiert.
Konkubinatsklausel
Die Konkubinatsklausel soll sicherstellen, dass die Anwendung der «Wiederverheiratungsklausel» nicht dadurch umgangen wird, dass der überlebende Ehegatte nicht heiratet, sondern eine «faktische Lebensgemeinschaft» mit einem neuen Partner eingeht:
- Die «Konkubinatsklausel» soll vor allem vermeiden, dass die Vermögen der beiden zusammenlebenden Partner vermischt werden und für die gemeinsamen Nachkommen Nachteile entstehen.
Auch hier wird in der Rechtslehre darüber debattiert, ob eine solche Einschränkung rechts- und / oder sittenwidrig sein könnte.
Strafklausel
Mit einer sog. Strafklausel (auch: Verwirkungsklausel, privatorische Klausel) verfügt der Erblasser testamentarisch, dass diejenige Person, welche seine Verfügung von Todes wegen als Ganzes oder in Teilen, d.h. einzelne Anordnungen, mittels Nichtigkeits-, Ungültigkeits- oder Herabsetzungsklage anfechten sollte, im Erbgang leer ausgeht oder im Falle einer Pflichtteilsberechtigung nur den Pflichtteil erhalten solle.
Nach herrschender Lehrmeinung gelten Strafklauseln grundsätzlich als zulässig:
- Ging es dem Erblasser dagegen darum, dem Begünstigten gesetzlich gewährte Rechte und Möglichkeiten zu entziehen, kann die Anordnung rechts- und / oder sittenwidrig sein.
Ungültigkeit
Grundsatz: Anfechtbarkeit
In Anbetracht des Grundsatzes des «favor testamenti» sind Testamente in der Regel nur, aber immerhin, anfechtbar. – Wird ein Testament nicht rechtzeitig angefochten, bleibt es mit allen seinen Mängeln gültig.
Dies gilt auch für den Ungültigkeitsgrund der Unsittlichkeit; im Erbrecht sind daher die Regeln von OR 20 nicht anwendbar.
Ausnahme: Nichtigkeit
Obwohl das Zivilrecht in verschiedenen Bestimmungen den Begriff der Nichtigkeit verwendet, findet sich im Erbrecht keine präzise Aussage über Bedeutung, Inhalt und Folgen der Nichtigkeit. – Nach Lehre und Rechtsprechung wirkt die Nichtigkeit ex tunc (von Anfang an) und absolut; sie ist von den Behörden und Gerichten von Amtes wegen zu beachten (jedoch werden die Behörden und Gerichte selbstredend nur tätig, wenn ihnen ein nichtiges Testament konkret zur Kenntnis gebracht wird [Klage auf Feststellung der Nichtigkeit; siehe „Prozessuales“]).
Auch nichtige Testamente sind der zuständigen Behörde einzuliefern und von dieser amtlich zu eröffnen (vgl. ZGB 556 f.).
Abgrenzung
Ein Teil der Lehre geht davon aus, dass das Abgrenzungsmerkmal zwischen Ungültigkeit und Nichtigkeit durch den Grundsatz des «animus testandi» bestimmt werde.
Zurückhaltung
Die Ungültigkeitsfolge im Sinne von ZGB 519 Abs. 1 Ziff. 3 kann nicht leichthin bejaht werden.
Prozessuales
Aufgrund des Prinzips der «Nichtigkeit von Amtes wegen» kann die Nichtigkeit festgestellt werden:
- von der rechtsanwendenden Behörde;
- vom Gericht;
- auf besondere Klage auf Feststellung der Nichtigkeit;
- auf Erhebung einer Nichtigkeits-Einrede
- zeitlich unbefristet.
Klagefristen bei der Ungültigkeitsklage:
- relative Frist:
- mit Ablauf eines Jahres, von dem Zeitpunkt an gerechnet, da der Kläger von der Verfügung und dem Ungültigkeitsgrund Kenntnis erhalten hat.
- absolute Frist:
- in jedem Falle mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage der Eröffnung der Verfügung an gerechnet.
- Absolute Frist bei Bösgläubigkeit:
- unter allen Umständen erst mit dem Ablauf von 30 Jahren.
Kläger bevorzugen wegen aller Unsicherheiten (Anfechtung oder Nichtigkeit, Verjährung der Ungültigkeitsklage) bei ihrer Klage ein zweigleisiges Vorgehen:
- primär: Begehren auf Feststellung der Nichtigkeit des Testaments;
- sekundär (eventualiter): Begehren auf Ungültigerklärung des Testaments.
Die Aktivlegitimation steht allen Personen zu, die über ein Feststellungsinteresse verfügen (gesetzliche oder zurückgesetzte Erben, Gläubiger uam.).
Passivlegitimiert ist, wer aus der betreffenden Verfügung Rechte oder Ansprüche ableitet.
Die gutgeheissene Klage erzeugt Wirkungen gegenüber jedermann (erga omnes).
III. Verjährung
Art. 521 ZGB
1 Die Ungültigkeitsklage verjährt mit Ablauf eines Jahres, von dem Zeitpunkt an gerechnet, da der Kläger von der Verfügung und dem Ungültigkeitsgrund Kenntnis erhalten hat, und in jedem Falle mit Ablauf von zehn Jahren, vom Tage der Eröffnung der Verfügung an gerechnet.
2 Gegenüber einem bösgläubigen Bedachten verjährt sie im Falle der Verfügungsunfähigkeit des Erblassers oder der Rechtswidrigkeit oder Unsittlichkeit unter allen Umständen erst mit dem Ablauf von 30 Jahren.
Wirkungen
Ein nichtiges Testament entfaltet überhaupt keine Rechtswirkungen, und zwar ex tunc, d.h. von Anfang an.
Je nach konkretem Sachverhalt kann ein Gericht auch erkennen auf:
- Teilnichtigkeit;
- Konversion (Umwandlung in einen rechtsgültigen / nicht sittenwidrigen Testamentsinhalt).
Fazit
Wie so oft in rechtlichen Angelegenheiten ist der individuell-konkrete Einzelfall für die Beurteilung massgebend. Dies ist bei sittenwidrigen Testamenten nicht anders.
Weiterführende Informationen
- Ungültigkeitsklage: Numerus Clausus
- Ungültigkeitsklage
- Testament / letztwillige Verfügung
- Testament-Inhalt: Auflagen
- Testament-Inhalt: Bedingungen
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2008 – I-3 Wx 100/08 | openjur.de (Geliebtentestament von OLG Düsseldorf nicht als generell sittenwidrig beurteilt, mit deutlichen Hinweisen zur Entwicklung gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen und zu den Nachteilen einer Ehescheidung, die die Witwe hätte gewärtigen müssen)