SchKG 46 ff.
Einleitung
Viele Gläubiger tun sich schwer mit der zivil- und zwangsvollstreckungs-rechtlichen Verfolgung ihrer Schuldner. Die Schuldner weichen der Rechtsverfolgung der Gläubiger vor oder während der Betreibung durch Wohnsitzwechsel aus. Dabei geben sie bei der Einwohnerkontrolle meistens ihren neuen Wohnsitz nicht an, sondern reisen «ohne Adressangabe» ab.
Agenda
- Einleitung
- Da bin ich mal weg …
- Ältere Rechtsprechung des Bundesgerichts
- Neuere, differenzierendere Rechtsprechung des Bundesgerichts
- Fazit
- Weiterführende Informationen
Da bin ich mal weg …
Gibt ein Betreibungsschuldner seinen Wohnsitz in der Schweiz ohne Bekanntgabe seiner neuen Anschrift auf, stellt sich für das Betreibungsamt und den Betreibungsgläubiger die Frage, wie weiter zu verfahren ist.
Meistens liegt der Tatbestand vor, dass sich der Schuldner ins Ausland begibt, ohne einen (bekannten) neuen Wohnsitz oder Aufenthalt zu begründen.
Ältere Rechtsprechung des Bundesgerichts
Gemäss BGE 120 III 110 muss der Schuldner an seinem letzten Wohnsitz in der Schweiz betrieben werden:
- Für die Pfändung darf sich das zuständige Betreibungsamt in einem solchen Fall nicht mit der Feststellung begnügen, dass die Pfändung nicht durchgeführt worden sei.
- Das zuständige Betreibungsamt muss vielmehr
- gemäss den SchKG 89 ff. vorgehen und
- eine Pfändungsurkunde im Sinne der SchKG 112 bis 115 erstellen (Erw. 2 und 3).
Aus den – ohne Gewähr – vom Französischen ins Deutsche übersetzten Erwägungen des BGE 120 III 110:
Ist der Aufenthaltsort des Schuldners unbekannt, muss auch in diesem Fall eine Betreibung gegen ihn in der Schweiz möglich sein, und sie findet am Ort seines letzten Wohnsitzes in der Schweiz statt:
- Wenn der Schuldner, der in der Schweiz einen Wohnsitz begründet hatte, sich vorübergehend nicht mehr in der Schweiz aufhält, ohne seinen neuen Aufenthaltsort bekannt gegeben zu haben, kann dem Gläubiger nicht die Verpflichtung auferlegt werden, selbst festzustellen, ob der Schuldner tatsächlich einen neuen Wohnsitz begründet hatte, sich vorübergehend nicht mehr in der Schweiz aufhält, ohne seinen neuen Aufenthaltsort bekannt zu geben, kann der Gläubiger nicht verpflichtet werden, selbst festzustellen, ob der Schuldner tatsächlich im Ausland einen neuen Wohnsitz begründet hat und wo sich dieser befindet.
- Es ist Sache des Schuldners, den Beweis für die Existenz seines neuen Wohnsitzes zu erbringen.
- Folglich muss das Amt einem Betreibungsbegehren Folge leisten, wenn keine Umstände vorliegen, die die Beständigkeit des schweizerischen Wohnsitzes ausschliessen.
- Im Übrigen gilt der Grundsatz von Art. 54 SchKG (der Konkurs eines Schuldners, der sich seinen Verpflichtungen durch Flucht entzogen hat, wird am Ort seines letzten Wohnsitzes eröffnet) auch in Bezug auf einen abwesenden Schuldner, dessen neuer Wohnsitz unbekannt ist, selbst wenn dieser Schuldner nicht der Konkursbetreibung unterliegt (JÄGER, a.a.O., zu Art. 54 SchKG).
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Der Betreibungsgläubiger darf nicht der mit der Pfändung verbundenen Wirkungen beraubt werden, d.h. folgender Möglichkeiten:
- Einreichung einer Widerrufsklage (vgl. SchKG 285 Abs. 2 Ziff. 1)
- Erwirkung eines Arrests (vgl. SchKG 271 Abs. 1 Ziff. 5)
- Wiedereinleitung einer Betreibung ohne vorgängigen Zahlungsbefehl (vgl. SchKG 149 Abs. 3).
Neuere, differenzierendere Rechtsprechung des Bundesgerichts
BGer 5A_580/2016 vom 30.11.2016
In diesem Beschwerdeverfahren ging es um die Rückweisung eines Betreibungsbegehrens in Bezug auf den Betreibungsort, v.a. wegen des unbekannten Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsorts des Schuldners.
Das BGer bestätigte die Ansicht des Betreibungsamtes, wonach die erforderlichen Nachforschungen durch Gläubiger zu erfolgen hätten:
- Es sei Sache des Gläubigers dem Betreibungsamt die nötigen Angaben zum Wohnsitz des Schuldners oder sonstigen zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zu machen (SchKG 67 Abs. 1 Ziff. 1; …).
- Es sei nicht Aufgabe des Betreibungsamts, den Wohnsitz des Schuldners zu ermitteln; es habe aber die Angaben des Gläubigers zu überprüfen, da seine Zuständigkeit davon abhänge r(…).
- Der Gläubiger habe darzulegen, weshalb der frühere Wohnsitz des Schuldners trotz seines Wegzugs weiterhin Betreibungsort sein soll:
- Nachweis des Verlaufs aller zumutbaren Bemühungen zum Auffinden des aktuellen Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts.
- Die öffentliche Bekanntmachung sei ultima ratio und dürfe erst erfolgen, wenn der Gläubiger und das Betreibungsamt ergebnislos alle zumutbaren Nachforschungen nach einer Zustelladresse unternommen hätten (…).
Das BGer gelangte nach dem Gesagten zum Schluss,
- dass es somit in erster Linie dem Gläubiger obliege, die erforderlichen Nachforschungen zur Bestimmung des Betreibungsorts vorzunehmen;
- dass die Rolle des Betreibungsamts darin liege, die Angaben des Gläubigers zu überprüfen.
Wir berichteten:
Weiterführende Informationen
- Urteil Obergericht des Kantons Bern vom 30.03.2022 (ZK 22 95) (Der Schuldner, der seinen Wohnsitz aufgibt, ohne einen neuen Wohnort oder Aufenthalt anzugeben und dessen Wohnsitz oder Aufenthaltsort demnach unbekannt sind, kann am letzten Wohnsitz betrieben werden; folglich kann an diesem Ort auch ein Arrestbegehren gestellt werden)
Fazit
Der (Betreibungs-)Gläubiger hat also den Wohnort des (Betreibungs-)Schuldners zu erforschen und das Betreibungsamt nur, aber immerhin, zu prüfen und weitere Erkenntnisse beizutragen.
Wesentlich ist aber,
- dass der Nachweis des Verlaufs aller zumutbaren Bemühungen zum Auffinden des aktuellen Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts dem Betreibungsgläubiger obliegt;
- dass die öffentliche Bekanntmachung die ultima ratio darstellt und erst erfolgen darf, wenn der Gläubiger und das Betreibungsamt ergebnislos alle zumutbaren Nachforschungen nach einer Zustelladresse unternommen haben.
Nur ein aktives Mahnwesen mit wiederholten Aufforderungen an den Schuldner ermöglichen es, dessen Umzugs- bzw. Wohnsitzverlauf zeitnah zu verfolgen.
Betreibungen aufs blosse Geratewohl hin verursachen in der Regel Rückweisungen und Kosten, wie oben dargestellt; sie bringen den Gläubiger bei der Weiterverfolgung seiner Ansprüche nicht weiter.
II. Ort der Betreibung
A. Ordentlicher Betreibungsort
Art. 46 SchKG
1 Der Schuldner ist an seinem Wohnsitze zu betreiben.
2 Die im Handelsregister eingetragenen juristischen Personen und Gesellschaften sind an ihrem Sitze, nicht eingetragene juristische Personen am Hauptsitze ihrer Verwaltung zu betreiben.
3 Für die Schulden aus einer Gemeinderschaft kann in Ermangelung einer Vertretung jeder der Gemeinder am Orte der gemeinsamen wirtschaftlichen Tätigkeit betrieben werden.
4 Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer ist am Ort der gelegenen Sache zu betreiben.
Art. 47 SchKG
Aufgehoben durch Ziff. I des BG vom 16. Dez. 1994, mit Wirkung seit 1. Jan. 1997 (AS 1995 1227; BBl 1991 III 1).
B. Besondere Betreibungsorte
1. Betreibungsort des Aufenthaltes
Art. 48 SchKG
Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, können da betrieben werden, wo sie sich aufhalten.
2. Betreibungsort der Erbschaft
Art. 49 SchKG
Die Erbschaft kann, solange die Teilung nicht erfolgt, eine vertragliche Gemeinderschaft nicht gebildet oder eine amtliche Liquidation nicht angeordnet ist, in der auf den Verstorbenen anwendbaren Betreibungsart an dem Ort betrieben werden, wo der Erblasser zur Zeit seines Todes betrieben werden konnte.
3. Betreibungsort des im Ausland wohnenden Schuldners
Art. 50 SchKG
1 Im Auslande wohnende Schuldner, welche in der Schweiz eine Geschäftsniederlassung besitzen, können für die auf Rechnung der letztern eingegangenen Verbindlichkeiten am Sitze derselben betrieben werden.
2 Im Auslande wohnende Schuldner, welche in der Schweiz zur Erfüllung einer Verbindlichkeit ein Spezialdomizil gewählt haben, können für diese Verbindlichkeit am Orte desselben betrieben werden.
4. Betreibungsort der gelegenen Sache
Art. 51 SchKG
1 Haftet für die Forderung ein Faustpfand, so kann die Betreibung entweder dort, wo sie nach den Artikeln 46–50 stattzufinden hat, oder an dem Ort, wo sich das Pfand oder dessen wertvollster Teil befindet, eingeleitet werden.
2 Für grundpfandgesicherte Forderungen findet die Betreibung nur dort89 statt, wo das verpfändete Grundstück liegt. Wenn die Betreibung sich auf mehrere, in verschiedenen Betreibungskreisen gelegene Grundstücke bezieht, ist dieselbe in demjenigen Kreise zu führen, in welchem der wertvollste Teil der Grundstücke sich befindet.
5. Betreibungsort des Arrestes
Art. 52 SchKG
Ist für eine Forderung Arrest gelegt, so kann die Betreibung auch dort eingeleitet werden, wo sich der Arrestgegenstand befindet. Die Konkursandrohung und die Konkurseröffnung können jedoch nur dort erfolgen, wo ordentlicherweise die Betreibung stattzufinden hat.
C. Betreibungsort bei Wohnsitzwechsel
Art. 53 SchKG
Verändert der Schuldner seinen Wohnsitz, nachdem ihm die Pfändung angekündigt oder nachdem ihm die Konkursandrohung oder der Zahlungsbefehl zur Wechselbetreibung zugestellt worden ist, so wird die Betreibung am bisherigen Orte fortgesetzt.
D. Konkursort bei flüchtigem Schuldner
Art. 54 SchKG
Gegen einen flüchtigen Schuldner wird der Konkurs an dessen letztem Wohnsitze eröffnet.
E. Einheit des Konkurses
Art. 55 SchKG
Der Konkurs kann in der Schweiz gegen den nämlichen Schuldner gleichzeitig nur an einem Orte eröffnet sein. Er gilt dort als eröffnet, wo er zuerst erkannt wird.
Pfändung
Dritter Titel: Betreibung auf Pfändung175
I. Pfändung
A. Vollzug
1. Zeitpunkt
Art. 89 SchKG
Unterliegt der Schuldner der Betreibung auf Pfändung, so hat das Betreibungsamt nach Empfang des Fortsetzungsbegehrens unverzüglich die Pfändung zu vollziehen oder durch das Betreibungsamt des Ortes, wo die zu pfändenden Vermögensstücke liegen, vollziehen zu lassen.
2. Ankündigung
Art. 90 SchKG
Dem Schuldner wird die Pfändung spätestens am vorhergehenden Tage unter Hinweis auf die Bestimmung des Artikels 91 angekündigt.
3. Pflichten des Schuldners und Dritter
Art. 91 SchKG
1 Der Schuldner ist bei Straffolge verpflichtet:
- der Pfändung beizuwohnen oder sich dabei vertreten zu lassen (Art. 323 Ziff. 1 StGB);
- seine Vermögensgegenstände, einschliesslich derjenigen, welche sich nicht in seinem Gewahrsam befinden, sowie seine Forderungen und Rechte gegenüber Dritten anzugeben, soweit dies zu einer genügenden Pfändung nötig ist (Art. 163 Ziff. 1 und 323 Ziff. 2 StGB).
2 Bleibt der Schuldner ohne genügende Entschuldigung der Pfändung fern und lässt er sich auch nicht vertreten, so kann ihn das Betreibungsamt durch die Polizei vorführen lassen.
3 Der Schuldner muss dem Beamten auf Verlangen Räumlichkeiten und Behältnisse öffnen. Der Beamte kann nötigenfalls die Polizeigewalt in Anspruch nehmen.
4 Dritte, die Vermögensgegenstände des Schuldners verwahren oder bei denen dieser Guthaben hat, sind bei Straffolge (Art. 324 Ziff. 5 StGB) im gleichen Umfang auskunftspflichtig wie der Schuldner.
5 Behörden sind im gleichen Umfang auskunftspflichtig wie der Schuldner.
6 Das Betreibungsamt macht die Betroffenen auf ihre Pflichten und auf die Straffolgen ausdrücklich aufmerksam.
4. Pfändungsurkunde als Verlustschein
Art. 115 SchKG
1 War kein pfändbares Vermögen vorhanden, so bildet die Pfändungsurkunde den Verlustschein im Sinne des Artikels 149.
2 War nach der Schätzung des Beamten nicht genügendes Vermögen vorhanden, so dient die Pfändungsurkunde dem Gläubiger als provisorischer Verlustschein und äussert als solcher die in den Artikeln 271 Ziffer 5 und 285 bezeichneten Rechtswirkungen.
3 Der provisorische Verlustschein verleiht dem Gläubiger ferner das Recht, innert der Jahresfrist nach Artikel 88 Absatz 2 die Pfändung neu entdeckter Vermögensgegenstände zu verlangen. Die Bestimmungen über den Pfändungsanschluss (Art. 110 und 111) sind anwendbar.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam