Legal Tech ist in den meisten Rechtsunternehmen mittlerweile Usus. Die digitalen Tools reichen dabei von Kommunikationsplattformen für den Austausch von Mitarbeiter*innen über automatisierte Rechercheassistenten bis hin zu KI-getriebenen Analytics.
Jetzt nimmt diese digitale Entwicklung erneut Fahrt auf: Durch den Aufstieg Künstlicher Intelligenz steht eine neue Legal-Tech-Generation in den Startlöchern. Welche Rolle KI-Technologien bereits heute in Kanzleien spielen, was die grössten Herausforderungen beim Einsatz von KI sind und wie Jurist*innen dem Tempo des Wandels standhalten können, haben wir im Gespräch mit Dr. Axel Freiherr von dem Bussche, Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei Taylor Wessing, diskutiert.
Herr Dr. Frhr. von dem Bussche, wie kann Künstliche Intelligenz kurz- und langfristig in Rechtsunternehmen eingesetzt werden?
Ganz konkret hat Künstliche Intelligenz im Natural Language Processing in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Das bedeutet: beim Verarbeiten, Verstehen und Interpretieren von Sprache. Damit eignet sich Künstliche Intelligenz derzeit besonders bei der Verarbeitung textgebundener Aufgaben – und speziell bei jenen Aufgaben, die Interpretationsspielraum lassen. Damit unterscheidet sich KI auch von den bislang vorherrschenden Automatisierungstools. Während Automatisierungstools nach festen Mustern im ‘Wenn-Dann’-Prinzip agieren, können sich KI-Lösungen – in einem gewissen Rahmen – frei bewegen und über ein ‘Ja’ oder ‘Nein’ hinausdenken.
Langfristig wird KI dann auch Berater-Funktionen einnehmen – und aus Analysen eigene Schlüsse ziehen, um damit Entscheidungsempfehlungen auszusprechen. Sowohl die kurz- als auch die langfristigen Einsatzszenarien sollten und müssen allerdings regulatorischen Richtlinien folgen. Ausserdem muss der technologische Fortschritt in all seinen Facetten, die gerade tagtäglich in den Medien, in Gremien und in den Unternehmen selbst debattiert werden, kritisch verfolgt und moderiert werden.
Was sind denn derzeit konkrete Anwendungsfälle für KI im Rechts-Alltag?
Im Rechtswesen verarbeiten wir tagtäglich grosse Datenmengen: beispielsweise in der Fallrecherche, der Vertragserstellung oder der Sichtung und Übersetzung von Dokumenten. Und gerade für diese textgebundenen Aufgaben eignet sich der Einsatz von KI hervorragend.
Use Cases, in denen KI bereits heute eingesetzt wird, sind beispielsweise Versicherungen, die mittels der Technologie die Gewinnwahrscheinlichkeit von Schadensfällen prüfen. Andere Rechtsunternehmen verwenden KI für das Prüfen und Aufsetzen von Verträgen. Etwa, indem die Software vorgefertigte Vertragstemplates anpasst und ausfüllt – oder riskante Klauseln in Vertragswerken hervorhebt und auf Zulässigkeit untersucht. Wieder andere Kolleg*innen nutzen KI-Tools für die Recherche, etwa in dem sie die Software vergangene Gerichtsurteile für einen relevanten Fall recherchieren und analysieren lassen.
Ein weiterer grosser Einsatzbereich sind Übersetzungsdienstleistungen. Lange wurden hier externe Übersetzungsdienstleister zu Rate gezogen, um Rechtstexte in fremde Sprachen zu übersetzten. Dies konnten Übersetzungsprogramme nämlich nicht leisten – zumindest nicht in der Qualität, die eine sensible Branche wie das Rechtswesen, in der jedes Wort abgewogen werden muss, benötigt.
Doch wir arbeiten bei Taylor Wessing inzwischen mit dem deutschen KI-Unternehmen DeepL zusammen. Denn DeepL hat es über die Jahre geschafft, eine KI zu entwickeln, die Texte nicht nur Wort-für-Wort übersetzt, sondern sie in einen gesamtheitlich korrekten Kontext bringen und damit sprachliche Nuancen (etwa kulturelle Spracheigenheiten) abdecken kann.
Für uns ist das in zweierlei Hinsicht eine positive Entwicklung. Zum einen können wir schneller agieren, da das Tool, im Vergleich zu sonst üblichen Übersetzungsagenturen, innerhalb weniger Minuten ganze Dokumente in die gewünschte Sprache bringt. Zum anderen ist der Service bei der Menge an Texten deutlich kosteneffizienter: Wo Übersetzungsagenturen in der Regel zehn bis 20 Cent pro Wort veranschlagen, hat DeepL bei einer überschaubaren monatlichen Gebühr kein Zeichenlimit. Unsere Expert*innen müssen die fertigen Texte zwar natürlich auf Korrektheit prüfen und glatt ziehen, können das Gros der Aufgabe aber der Maschine überlassen. So sparen wir bis zu 80 Prozent der zuvor für solche Aufgaben veranschlagten Zeit ein.
Sie haben eingangs ein paar ‘Herausforderungen’ für den Einsatz von KI angesprochen. Wie genau sehen diese aus und wie können sich Rechtsunternehmen entsprechend vorbereiten?
Speziell im Rechtsbereich liegt unser Hauptaugenmerk unweigerlich auf Datenschutz und Vertraulichkeit. Schliesslich hantieren wir mit äusserst sensiblen internen und externen Informationen, sind unseren Mandant*innen gegenüber verpflichtet und agieren unter Schweigepflicht. Die initiale Frage beim Auswahlprozess der KI muss also lauten: Wie verarbeitet und nutzt das Tool die von uns eingespeisten Daten? Denn manche Software-Anbieter verarbeiten Daten für eigene Zwecke, was im Umkehrschluss ein Sicherheitsrisiko darstellt – etwa, um die KI weiter zu trainieren.
Diese Fragen helfen zu Beginn, ein fundiertes Bild über den Anbieter zu zeichnen:
- Erklärt sich der KI-Entwickler idealerweise bereit, ein NDA zu unterzeichnen?
- Sind die KI-Unternehmen Eigentümer ihrer Datenspeicher? Falls ja, ist das ein gutes Indiz dafür, dass die Kontrolle der Daten nicht an Drittanbieter verloren geht.
- Kann der (potenzielle) Partner Sicherheitszertifikate vorweisen? Zertifikate wie das ISO 27001-Zertifikat des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik belegen ein standardisiertes Mass an Sicherheit.
- Wird End-To-End-Verschlüsselung (E2EE) genutzt und werden die Daten nach Verarbeitung gelöscht? E2EE sollte gerade bei hochsensiblen Daten zwingend vorliegen. Zudem verspricht eine umgehende Löschung nach Verarbeitung der Daten einen bewussten oder irrtümlichen Missbrauch, beispielsweise durch Hackerangriffe.
Zudem sollte man natürlich auch die lokalen gesetzlichen Gegebenheiten beachten. In Deutschland wurden etwa die einschlägigen Vorschriften in § 203 des Strafgesetzbuchs und § 43e der Bundesrechtsanwaltsordnung um die Begriffe der ‘mitwirkenden Personen’ und ‘Dienstleister’ erweitert, sodass Rechtsunternehmen grundsätzlich externe Dienstleister zur beschäftigen oder deren Software nutzen können. Vor der KI-Nutzung sollten Schweizer Rechtsunternehmen ähnliche gesetzliche Rahmenbedingungen prüfen.
Über den Gesprächspartner:
Dr. Axel Frhr. von dem Bussche ist Partner und Fachanwalt für Informationstechnologierecht bei Taylor Wessing.