Sachverhalt
«Die A. AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) und die ausländisch beherrschte B. SA (Beklagte, Beschwerdegegnerin), beide mit Sitz in der Schweiz, unterzeichneten am 23. Oktober 2015 eine als «Darlehensvertrag» bezeichnete Vereinbarung. Darin verpflichtete sich die Beklagte, der Klägerin ein Darlehen von Fr. 1’800’000.- zu gewähren. Im Gegenzug verpflichtete sich die Klägerin zur Leistung eines jährlichen Darlehenszinses. Am 28. Oktober 2015 überwies die Beklagte der Klägerin den Betrag von Fr. 1’800’000.-. Mit diesem Betrag wurde ein Mehrfamilienhaus in der Schweiz erworben, wobei die Klägerin der Beklagten den Restbetrag von Fr. 640’000.- zurückerstattete.
Mit Zahlungsbefehl vom 4. Februar 2019 betrieb die Beklagte die Klägerin für den restlichen Darlehensbetrag von Fr. 1’234’592.90 nebst Zins seit 31. Oktober 2017 sowie für die Darlehenszinsen von Fr. 44’697.60 nebst Zins seit 1. Februar 2019. Die Klägerin erhob Rechtsvorschlag. …» (lit. A + B.a.).
Prozess-History
- Bezirksgericht Aarau als Rechtsöffnungsgericht
- «… Mit Gesuch vom 6. Mai 2019 ersuchte die Beklagte beim Bezirksgericht Aarau um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung über den Teilbetrag von Fr. 123’592.90 nebst Zins seit 31. Oktober 2017 bzw. Fr. 44’697.60 nebst Zins seit 1. Februar 2019. Am 10. September 2019 erteilte das Bezirksgericht antragsgemäss die provisorische Rechtsöffnung.» (B.a.)
- Aberkennungsklage
- «… Mit Klage vom 9. Oktober 2019 (Verfahren HOR.2019.38) beantragte die Klägerin beim Handelsgericht des Kantons Aargau im Wesentlichen die Aberkennung der in Betreibung gesetzten Forderungen, für welche das Bezirksgericht Aarau mit Entscheid vom 10. September 2019 die provisorische Rechtsöffnung erteilt hatte. Die Klägerin machte geltend, es liege kein Darlehensvertrag vor und die Ansprüche bezögen sich nur auf einen simulierten Darlehensvertrag. (B.a.)
- Gesuch um provisorische Rechtsöffnung
- Mit Gesuch vom 1. Oktober 2019 ersuchte die Beklagte das Bezirksgericht Aarau um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung im Umfang der restlichen in Betreibung gesetzten Darlehensforderung (d.h. Fr. 1’111’000.- nebst Zins seit 31. Oktober 2017). (B.b.)
- Gutheissung des Rechtsöffnungsbegehrens
- «Das Bezirksgericht hiess mit Entscheid vom 12. Februar 2020 das Rechtsöffnungsbegehren im Umfang von Fr. 471’000.- gut. Dagegen erhob die Beklagte Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau und beantragte die Aufhebung des Entscheids sowie die Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung im Umfang von Fr. 1’111’000.- nebst Zins seit 31. Oktober 2017. Mit Entscheid vom 26. August 2020 hiess das Obergericht die Beschwerde gut.» (B.b.)
- Am 23. März 2020 erhob die Klägerin erneut Klage beim Handelsgericht (Verfahren HOR.2020.10) und beantragte im Wesentlichen die Aberkennung der in Betreibung gesetzten Forderungen von Fr. 123’592.90 nebst Zins seit 31. Oktober 2017 sowie von Fr. 44’697.60 nebst Zins seit 1. Februar 2019, für welche der Beklagten mit Entscheid des Bezirksgerichts vom 12. Februar 2020 provisorische Rechtsöffnung erteilt worden war.
- Handelsgericht des Kantons Aargau
- «Das Handelsgericht vereinigte die Verfahren HOR.2019.38 und HOR.2020.10. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Aberkennungsklagen. Mit Replik erweiterte die Klägerin ihre Rechtsbegehren und beantragte neu die Aberkennung der in Betreibung gesetzten Forderungen von Fr. 1’234’592.90 (statt wie bisher Fr. 123’592.90) nebst Zins sowie von Fr. 44’697.60 nebst Zins. Zudem beantragte sie die Aufhebung der erteilten provisorischen Rechtsöffnungen. Das geänderte Rechtsbegehren wurde vom Handelsgericht dahingehend ausgelegt, dass ausschliesslich eine Änderung der Klage vom 23. März 2020 beabsichtigt worden sei.» (B.c.)
- «Mit Urteil vom 29. Juli 2022 stellte das Handelsgericht in teilweiser Gutheissung der Klagen fest, dass die Forderung von Fr. 1’234’592.90 im Umfang von Fr. 74’592.90, die gesamte Forderung von Fr. 44’697.60 sowie der geforderte Verzugszins auf der Restforderung von Fr. 1’160’000.- für die Zeit vor dem 6. März 2019 nicht bestehen. Im Übrigen wies es die Klagen ab, soweit es auf sie eintrat. Es erwog, der Darlehensvertrag sei nach Art. 26 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1983 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG; SR 211.412.41) nichtig und führe zu einem Rückforderungsanspruch der Beklagten gemäss Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG. Der Rückforderungsanspruch betrage aufgrund der Rückerstattung des Teilbetrages von Fr. 640’000.- an die Beklagte noch Fr. 1’160’000.-.» (B.c.)
- Bundesgericht
- «Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen im Wesentlichen, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und die in Betreibung gesetzten Forderungen von Fr. 1’234’592.90 nebst Zins seit 31. Oktober 2017 sowie von Fr. 44’697.60 nebst Zins seit 1. Februar 2019 seien abzuerkennen.» (C.)
Erwägungen des Bundesgerichts
Im Zentrum der Streitigkeit des Verfahren 4A_378/2022 stand die Frage, ob die Vorinstanz mit der Annahme eines Rückforderungsanspruchs nach BewG 26 Abs. 4 lit. b zugunsten der Beschwerdegegnerin über den Streitgegenstand des Aberkennungsverfahrens hinausgegangen ist und damit die Dispositionsmaxime verletzt hat.
Die Aberkennungsklage gestützt auf SchKG 83 Abs. 2 richtet sich nur auf die in Betreibung gesetzte Forderung:
- Verletzung der Dispositionsmaxime?
- Die Dispositionsmaxime wird verletzt,
- wenn das Gericht seinen Entscheid auf einen Lebenssachverhalt stützt,
- welcher ausserhalb des Streitgegenstands liegt.
- wenn das Gericht seinen Entscheid auf einen Lebenssachverhalt stützt,
- Die Dispositionsmaxime wird verletzt,
- Streitgegenstand des Aberkennungsverfahrens?
- Streitgegenstand des Aberkennungsverfahrens bilden
- der Bestand und
- die Fälligkeit der in Betreibung gesetzten Forderung zum Zeitpunkt der Einleitung der Betreibung.
- Streitgegenstand des Aberkennungsverfahrens bilden
- Identität
- Es muss Identität vorliegen zwischen
- der in Betreibung gesetzten und
- der im Aberkennungsverfahren geltend gemachten Forderung.
- Es muss Identität vorliegen zwischen
- Fixation des Streitgegenstandes
- Der Streitgegenstand des Betreibungsverfahrens wird fixiert
- durch den Zahlungsbefehl.
- Der Streitgegenstand des Betreibungsverfahrens wird fixiert
- Keine Fixation der Rechtsgrundangabe im Zahlungsbefehl
- Die Angabe des Rechtsgrunds im Zahlungsbefehl
- führt aber nicht zu einer Beschränkung des Streitgegenstands der Betreibung auf den genannten Rechtsgrund.
- Die Angabe des Rechtsgrunds im Zahlungsbefehl
- Im konkreten Fall
- Verletzung der Dispositionsmaxime im konkreten Einzelfall verneint.
Entscheid des Bundesgerichts
- Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
- Die Gerichtskosten von Fr. 15’000.– werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
- Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 17’000.– zu entschädigen.
- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
BGer 4A_378/2022 vom 30.03.2023 = BGE 149 III 268 ff.
Art. 83 SchKG
1 Der Gläubiger, welchem die provisorische Rechtsöffnung erteilt ist, kann nach Ablauf der Zahlungsfrist, je nach der Person des Schuldners, die provisorische Pfändung verlangen oder nach Massgabe des Artikels 162 die Aufnahme des Güterverzeichnisses beantragen.
2 Der Betriebene kann indessen innert 20 Tagen nach der Rechtsöffnung auf dem Weg des ordentlichen Prozesses beim Gericht des Betreibungsortes auf Aberkennung der Forderung klagen.
3 Unterlässt er dies oder wird die Aberkennungsklage abgewiesen, so werden die Rechtsöffnung sowie gegebenenfalls die provisorische Pfändung definitiv.
4 Zwischen der Erhebung und der gerichtlichen Erledigung der Aberkennungsklage steht die Frist nach Artikel 165 Absatz 2 still. Das Konkursgericht hebt indessen die Wirkungen des Güterverzeichnisses auf, wenn die Voraussetzungen zu dessen Anordnung nicht mehr gegeben sind.
Art. 58 ZPO Dispositions- und Offizialgrundsatz
1 Das Gericht darf einer Partei nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat.
2 Vorbehalten bleiben gesetzliche Bestimmungen, nach denen das Gericht nicht an die Parteianträge gebunden ist.
Art. 26 BewG Unwirksamkeit und Nichtigkeit
1 Rechtsgeschäfte über einen Erwerb, für den der Erwerber einer Bewilligung bedarf, bleiben ohne rechtskräftige Bewilligung unwirksam.
2 Sie werden nichtig, wenn:
- der Erwerber das Rechtsgeschäft vollzieht, ohne um die Bewilligung nachzusuchen oder bevor die Bewilligung in Rechtskraft tritt;
- die Bewilligungsbehörde die Bewilligung rechtskräftig verweigert oder widerrufen hat;
- der Grundbuchverwalter oder Handelsregisterführer die Anmeldung abweist, ohne dass die Bewilligungsbehörde die Bewilligung vorgängig verweigert hat;
- die Steigerungsbehörde den Zuschlag aufhebt, ohne dass die Bewilligungsbehörde die Bewilligung vorgängig verweigert hat.
3 Unwirksamkeit und Nichtigkeit sind von Amtes wegen zu beachten.
4 Sie haben zur Folge, dass:
- versprochene Leistungen nicht gefordert werden dürfen;
- Leistungen innerhalb eines Jahres zurückgefordert werden können, seit der Kläger Kenntnis von seinem Rückforderungsanspruch hat, oder innerhalb eines Jahres seit Abschluss eines Strafverfahrens, spätestens aber innerhalb von zehn Jahren seit die Leistung erbracht worden ist;
- von Amtes wegen auf Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes geklagt wird.
Weiterführende Informationen
- Aberkennungsprozess
- Aberkennungsklage und Zuständigkeit des Handelsgerichts?
- Zivilprozessrecht
Quelle
LawMedia Redaktionsteam