Befindet sich ein 64-jähriger Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt nach einem 30-jährigen Arbeitsverhältnis beim gleichen Arbeitgeber kurz, d.h. 11 Monate, vor der Pensionierung,
- ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Kündigung unter der Generalklausel von OR 336 Abs. 1 lit. a zu prüfen.
Gemäss Bundesgericht besteht in einer solchen Konstellation
- eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die einer Kündigung zwar nicht entgegensteht,
- aber eine schonende Rechtsausübung gebietet.
Zu Recht leitete daher die Vorinstanz aus der erhöhten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ab, dieser hätte den Arbeitnehmer
- frühzeitig über die beabsichtigte Kündigung informieren und
- eine sozialverträglichere Alternative prüfen müssen.
Dem Arbeitgeber wurde zwar nicht das Kündigungsrecht abgesprochen, aber die Art und Weise der Kündigung als missbräuchlich qualifiziert.
BGer 4A_117/2023 vom 15.05.2023
(Bestätigung des Urteils des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12.01.2023)
Art. 336192
1 Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist missbräuchlich, wenn eine Partei sie ausspricht:
- wegen einer Eigenschaft, die der anderen Partei kraft ihrer Persönlichkeit zusteht, es sei denn, diese Eigenschaft stehe in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb;
- weil die andere Partei ein verfassungsmässiges Recht ausübt, es sei denn, die Rechtsausübung verletze eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb;
- ausschliesslich um die Entstehung von Ansprüchen der anderen Partei aus dem Arbeitsverhältnis zu vereiteln;
- weil die andere Partei nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend macht;
- weil die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militär- oder Schutzdienst oder schweizerischen Zivildienst leistet oder eine nicht freiwillig übernommene gesetzliche Pflicht erfüllt.
2 Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ist im Weiteren missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird:
- weil der Arbeitnehmer einem Arbeitnehmerverband angehört oder nicht angehört oder weil er eine gewerkschaftliche Tätigkeit rechtmässig ausübt;
- während der Arbeitnehmer gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder in einer dem Unternehmen angeschlossenen Einrichtung ist, und der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass er einen begründeten Anlass zur Kündigung hatte;
- im Rahmen einer Massenentlassung, ohne dass die Arbeitnehmervertretung oder, falls es keine solche gibt, die Arbeitnehmer, konsultiert worden sind (Art. 335f).
3 Der Schutz eines Arbeitnehmervertreters nach Absatz 2 Buchstabe b, dessen Mandat infolge Übergangs des Arbeitsverhältnisses endet (Art. 333), besteht so lange weiter, als das Mandat gedauert hätte, falls das Arbeitsverhältnis nicht übertragen worden wäre.
Weiterführende Informationen
Arbeitgeberfürsorge
Fürsorgepflichtverletzung
Missbräuchliche Kündigung
Checkliste «Missbräuchliche Kündigung»
Quelle
LawMedia Redaktionsteam