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Arbeitsplatz-Konflikte: Oft Ursache für psychisch bedingte Krankschreibungen

Datum:
14.10.2022
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Arztzeugnis
Stichworte:
Absentisums, Absenz, Arbeitsbedingungen, Arztzeugnis, Burnout, Depression, Konflikt am Arbeitsplatz, Krankschreibung, Mobbing
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Eine Studie befasst sich mit den Hintergründen von Arbeitsabsenzen

Einleitung

Absenzen am Arbeitsplatz aufgrund psychisch bedingter Beschwerden kosten die Wirtschaft und Gesellschaft gemäss OECD-Erhebungen ca. CHF 21 Mrd. pro Jahr im OECD Raum.

Seit Covid-19 haben sich Wahrnehmung und Umgang mit psychischen Problemen nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Unternehmen verändert.

Die Studie

WorkMed, ein Kompetenzzentrum der Psychiatrie Baselland, hat mit der SWICA, einem Versicherer mit rund 27’000 versicherten Unternehmen und mit rund 600’000 versicherten Personen, gemeinsam eine Studie durchgeführt. Analysiert wurden ca. 2’000 Krankentaggeld-Dossiers. Als Basis der Auswertung dienten rund 1’350 Krankschreibungen aus psychischen Gründen. Die untersuchten Krankschreibungen dauerten von 15 Tagen bis 730 Tagen und endeten 2019.

Zunahme der Krankschreibungen aus psychischen Gründen

Auch in der Schweiz nehmen die Krankschreibungen aus psychischen Gründen – wie in anderen Industrieländern – seit langem stetig zu.

Solche Krankschreibungen sind für alle belastend:

  • Für den betroffenen Mitarbeiter;
  • für den Betrieb;
  • für die Volkswirtschaft und die Gesellschaft.

Solche Krankschreibungen sind die wichtigste Ursache für

  • Langzeitarbeitslosigkeit und
  • Invalidisierung.

Die Studienergebnisse

Im Wesentlichen ergab die Studie folgendes:

  • Absenzursache
    • 57 % der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten werden durch bestehende oder latente Konflikte am Arbeitsplatz ausgelöst.
    • Gründe
      • Konflikte am Arbeitsplatz
        • zB Reaktion auf Kränkungen
        • zB Mobbing
        • zB Bossing;
      • Belastende Arbeitsbedingungen
        • zB Burnout;
      • emotionale und interaktionelle Anforderungen;
      • kognitive und hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit;
      • Branche
  • Durchschnittliche Absenzdauer
    • 218 Tage, d.h. 7 Monate
  • Absenzgrad
    • Vollzeit-Krankschreibungen: ca. 95 %
  • Funktion der betroffenen Arbeitnehmer
    • 9 von 10 Arbeitnehmern sind ohne Kaderfunktion;
  • Betroffene Unternehmen
    • Betriebsgrösse
      • Stärkere Betroffenheit von Grossbetrieben, weniger KMU;
      • je grösser das Arbeitgeber-Unternehmen, desto länger die Arbeitsunfähigkeit;
    • Zusammenhänge
      • Der Zusammenhang zwischen Betriebsgrösse und Arbeitsunfähigkeitsdauer lässt sich mit folgendem erklären:
        • Reduzierte soziale Kontrolle mit zunehmender Betriebsgrösse;
        • Personal-Ausfall hat im Grossbetrieb weniger direkte Konsequenzen als im KMU;
    • Fürsorge-Support
      • In Grossbetrieben besteht meist eine Vielzahl von Supportdiensten wie
        • Coaches;
        • Psychologen;
        • Sozialdienste;
      • In KMU fehlen normalerweise solche Supportdienste.
  • Arztberichte
    • In rund der Hälfte der Arztberichte
      • ist unklar, warum die versicherte Person nicht arbeiten kann;
      • fehlt eine Prognose zur Arbeitsplatz-Rückkehr.
    • Auch fehlen meistens Hinweise, wie die Stelle erhalten werden kann.
  • Arbeitsstellenverlust
    • Rund 50 % der Krankgeschriebenen verliert am Ende die

Schwieriger Wiedereinstieg

Ist es einmal zu einer konfliktbedingten Arbeitsunfähigkeit gekommen, wird der Wiedereinstieg sehr schwierig:

  • Gekündigtes Arbeitsverhältnis
    • Oft wurde das Arbeitsverhältnis gekündigt.
  • Massnahmen bei allen Beteiligten
    • Es brächte frühe Massnahmen bei allen Beteiligten, um Eskalationen präventiv zu entschärfen:
      • Bei den Ärzten;
      • beim Arbeitgeber;
      • bei den Versicherern;
      • etc.

Primäres Ziel: Vermeidung eines Stellenverlusts

In den Schlussfolgerungen der Studie wird aufgezeigt, welche Massnahmen dazu beitragen könnten, um längere Krankschreibungen und damit Arbeitsplatzverluste zu vermeiden:

  • Ärzte
    • Unterstützung und Schulung der Ärzte
      • Die behandelnden Ärzte sollten stärker für den bewussten Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, der den Patienten hilft, ihre Arbeitsstelle zu behalten, unterstützt und geschult werden.
    • Leitlinien
      • Hilfreich wäre die Entwicklung von Leitlinien für Ärzte, Versicherer und Arbeitgeber, wie in schwierigen Situationen gehandelt werden könnte, dass die betroffenen Arbeitnehmer längerfristig im Arbeitsmarkt bleiben können.
  • Arbeitgeber
    • Sensibilisierung
      • Die Arbeitgeber sollten stärker für die Hintergründe der Arbeitsunfähigkeiten sensibilisiert werden.
    • Frühe Reaktionen
      • Arbeitgeber reagieren – weil die ihnen die Hintergründe latenter Konflikte verborgen bleiben – oft erst spät oder zu spät, wenn die Arbeitssituation bereits eskaliert ist.
    • Prävention
      • Arbeitgeber sollten präventiv eine förderliche Haltung und Frühintervention in ihrem Betrieb verankern.
  • Versicherer
    • Die Taggeld-Versicherer sollten die angeschlossenen Unternehmen vermehrt präventiv und pragmatisch unterstützen, um negative Verläufe zu vermeiden bzw. zu verhindern.

Fazit (der Studie)

«Die vertiefte Analyse der Arbeitsunfähigkeiten aus psychischen Gründen gibt einigen Aufschluss über Hintergründe, Verläufe sowie Problemfelder und Potentiale.

Aus einer Perspektive des Arbeitsplatzerhalts und der wirksamen Re-Integration von krankgeschriebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen sich einige wesentliche Hindernisse:

  • Die Mehrheit der Krankschreibungen erfolgt als vorläufiges Ende einer seit längerem konflikthaft eskalierenden Situation am Arbeitsplatz. Wenn es einmal zu konfliktbedingten Arbeitsunfähigkeiten gekommen ist, ist es für alle Beteiligten (Arbeitgeber, erkrankte Person, behandelnder Arzt, Versicherung) schwierig, einen Wiedereinstieg zu planen. Oft ist dann das Arbeitsverhältnis auch schon gekündet.
  • Rund die Hälfte der betroffenen Versicherten hatte schon an früheren Arbeitsstellen oder gar schon in der Ausbildung und Schulzeit psychisch bedingte Verhaltens- oder Leistungsprobleme. In diesen Fällen handelt es sich um deutlichere Beeinträchtigungen und auch um längere Arbeitsunfähigkeiten sowie um Versicherte, die früher schon in psychiatrischer Behandlung waren.
  • Neben Arbeitsplatzkonflikten spielen oft auch Konflikte und Belastungen im familiären Umfeld, soziale Isolation sowie Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeiten eine Rolle. All diese Umstände sind jeweils mit einer deutlich längeren Arbeitsunfähigkeitsdauer verbunden.
  • Auf der betrieblichen Seite führen ein hoher Erfolgsdruck, hohe kognitive, emotionale und disziplinarische Anforderungen der Tätigkeit zu längeren Krankschreibungen. Zudem scheinen die Betriebe oft nicht in der Lage, die erwähnten längeren Konfliktsituationen früh zu entschärfen und eine Eskalation bis hin zur Arbeitsunfähigkeit zu verhindern.
  • Die ärztliche Berichterstattung ist medizinisch fundiert, gibt aber oft keine oder zu wenig klare Auskunft über viele der im Rahmen von Arbeitsunfähigkeiten interessierenden Fragen (Funktionsfähigkeiten, Prognose, Möglichkeiten einer Teilzeitarbeitsunfähigkeit, nötige Arbeitsplatzanpassungen etc.) und stützen sich zu oft ausschliesslich auf die Patientenangaben.
  • Von Versicherungsseite wird gerade bei psychisch kranken Versicherten oft kein früher persönlicher Kontakt aufgenommen. Unterstützungsmassnahmen (Care Management) werden zwar häufig vorgehalten, binden aber Arbeitgeber und Behandelnde noch zu selten ein.

Aufgrund der gesammelten Erkenntnisse liegen die Potentiale in verschiedener Hinsicht klar auf der Sekundärprävention, das heisst auf der Verhinderung oder Verringerung wiederkehrender gesundheitlicher Verschlechterungen und krisenhafter Zuspitzungen am Arbeitsplatz.

Das heisst, es braucht wirksame präventive Interventionen in den Unternehmen, damit solche Eskalationen verhindert werden können. Unternehmen sollten stärker sensibilisiert werden, nicht erst zu reagieren, wenn die Situation eskaliert, sondern sollten präventiv eine förderliche Haltung und Frühintervention verankern und ihre Führungskräfte – wie auch die Mitarbeitenden! – entsprechend schulen. Hier könnten auch die Versicherungen die Unternehmen noch gezielter unterstützen. Zudem braucht es eine kooperativere Haltung von Unternehmen und Ärzteschaft im Dienst der Arbeitsmarktintegration.

Die behandelnden Ärzte sollten stärker unterstützt und geschult werden für einen bewussten Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, der den Patienten hilft, die Stelle zu behalten. Nützlich wäre, wenn Ärzte, Versicherungen und Arbeitgeber Leitlinien entwickeln, wie in schwierigen Situationen früh und wirksam gehandelt werden könnte. Dass immer mehr Personen in psychiatrisch-psychologischer Behandlung sind, ist ein Fortschritt. Aber dass sie zunehmend arbeitsunfähig werden, ist ein Rückschritt.

Diskutiert werden sollte schliesslich gesellschaftlich / medial die Tatsache, dass Herausforderungen, die das Arbeitsleben mit sich bringt (Frustration, Veränderung, Konflikte etc.) zunehmend zu Krankschreibungen und in der Folge zur Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt führen (Medikalisierung von Arbeitsproblemen).»

Quelle: Krankschreibungen aus psychischen Gründen in der Schweiz: Hintergründe, Verläufe und Verfahren, SWICA + WORKMED, Binningen, Köln, Winterthur, Wädenswil, 23.03.2022

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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