Das Element der Unentgeltlichkeit ist gegeben, wenn
- der Schenker eine geldwerte Leistung erbringt, ohne sich eine Gegenleistung auszubedingen;
- der Beschenkte nach den Vertrauensgrundsätzen aus der gegenleistungslosen geldwerten Leistung auf einen Schenkungswillen (animus donandi) schliessen musste und durfte.
Die Stichworte für die Unentgeltlichkeit sind:
- Zuwendung ohne Anspruch darauf
- Fehlen eines vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchs auf Zuwendung
- Fehlen eines sittlichen Anspruchs auf Zuwendung
- Zuwendung ohne Gegenleistung
- Zuwendung darf nicht Leistung für eine Gegenleistung sein
- Relevanz der gegenseitigen Leistungen
- Hoffnung auf eine Gegenleistung zerstört den unentgeltlichen Charakter der Zuwendung nicht (Hoffnung des Schenkers hat nur moralische und nicht rechtliche Konsequenzen)
- Relevanz der wertmässigen Angemessenheit zwischen den gegenseitigen Leistungen
- Wertmässige Angemessenheit ist eine Frage des Parteiwillens
- Absichtliche Falschbewertung durch die Parteien
- Parteiwillen: Simulierte Entgeltlichkeit, dissimulierte Unentgeltlichkeit
- Beispiel: Vertuschung eines Schenkungsvertrages in einem Gegenleistungsgeschäft
- Gemischte Schenkung
- Parteiwillen: Kombination von Teilunentgeltlichkeit und Teilentgeltlichkeit
- Normalfall: offener Ausweis und Gegenleistungskonformität
- Ausnahmetatbestände: Missverhältnis der Leistungen
- Als Folge einer subjektiv unterschiedlichen Wert-Beimessung
- Marktentwicklung
- Liquiditätsbedürfnis
- Übervorteilung bei objektiv offensichtlichem Missverhältnis (vgl. OR 21 / Anfechtungsmöglichkeit)
- Als Folge einer subjektiv unterschiedlichen Wert-Beimessung
- Beispiel (ohne Missverhältnis): Immobiliennachfolge
Fehlende Unentgeltlichkeit wegen vorbestandenen Anlasses
Wenn vor der Schenkung bereits ein rechtserheblicher Anlass zur Leistung bestand, fehlt die Unentgeltlichkeit.
Beispiele:
- Erfüllung einer vorbestandenen vertraglichen Verpflichtung
- Erfüllung einer sog. Naturalobligation (vgl. OR 63 Abs. 2)
- Bezahlung einer verjährten Schuld
- Erfüllung eines gesetzlichen Anspruchs
- Rente
- Pflichtteil an Pflichtteilserben
- Sittliche Pflicht (vgl. OR 239 Abs. 3)
- Alimentenleistungen an Angehörige, für die eine Unterstützungspflicht nicht besteht (OR 328)
- Freiwillige Verwandtenunterstützung (BGE 53 II 198)
- Freiwillige Rentenzahlung an langjährige Hausangestellte des Erblassers
- Schuldentilgung für Konkubinatspartner
- Nicht als sittliche Pflicht gilt bzw. nicht anwendbar ist OR 239 Abs. 3:
- Freiwillige Tragung des Lebensunterhalts für einen Dritten
- Zuweisung des gesamten ehegüterrechtlichen Vorschlags an den überlebenden Ehegatten (BGE 102 II 325)
- Kondiktionsanspruch
Umstritten
Die Einordnung der üblichen Gelegenheitsgeschenke ist umstritten
- Sind sie (Hand-)Schenkungen nach OR 239 Abs. 1 oder Gefälligkeitshandeln?
- Rechtsnatur: Schenkung
- Behandlung nicht wie eine Schenkung, zumindest nicht bei
- Herabsetzung (ZGB 527 Ziff. 3)
- Ausgleichung (ZGB 632)
- Anfechtung (SchKG 286)
- Lösungshilfe: Beurteilung im konkreten Einzelfall
Rechtsprechung
- BGE 80 II 260 ff. Erw. 2
- BGE 50 II 447
Fehlende Unentgeltlichkeit nach Auslegung der Erklärung gemäss Vertrauensprinzip
Wenn der Leistungsempfänger nicht auf einen Schenkungswillen schliessen durfte, liegt ein anderer Rechtstitel vor.
Beispiele:
- Kauf
- Auftrag
- Geschäftsführung ohne Auftrag
- Freiwillige Verwandtenunterstützung (vgl. BGE 83 II 535).
Kann ein tatsächlich übereinstimmender Wille der Parteien nicht festgestellt werden (fehlender natürlicher Konsens), hat das Gericht den objektiven Willen der Parteien nach dem Vertrauensprinzip zu bestimmen (Bestimmung des rechtlichen Konsens)
Anwendung der Prinzipien zur Auslegung des Parteiwillens (Art. 18 Abs. 1 OR und Vertrauensprinzip); vgl. auch die Ausführungen zum Schenkungswillen (Erw. 5)
Rechtsprechung
- BGer 4A_635/2016 vom 22.01.2018 = BGE 144 III 93 ff. = Pra 4/2019, Nr. 40, S. 442 ff.
OR 239 Abs. 3
Die Erfüllung einer sittlichen Pflicht wird nicht als Schenkung behandelt.