Agenda
- Gegenstand
- Definition
- Gesetzliche Grundlagen
- Abgrenzung von der privativen Schuldübernahme [OR 176]
- Abgrenzung von der allgemeinen Schuldübernahme [OR 175]
- Abgrenzung von der Bürgschaft
- Rechtsnatur
- Ziele
- Motive
- Verbreitung
- Funktion
- Charakteristik
- Weitere Personal-Sicherheiten
- (Haupt-)Schuld
- Rechtsgrund
- Ablehnung einer beitrittswilligen Person
- Gläubiger
- Bisheriger Schuldner
- Hinzutretender Schuldner
- Schuldbeitrittsvertrag
- Wirkungen
- Persönliche Haftung
- Zahlungsverzug
- Untergang
- Verjährung der Forderung
- Detailinformationen zum Fahrnispfandrecht
- Judikatur
- Literatur
Definition
Schuldbeitritt = Hinzutreten eines weiteren Schuldners (sog. Neu-Schuldner) zum bisherigen Schuldner (sog. Alt-Schuldner), ohne dass dadurch die Schuld auf den Hinzutretenden übergeht oder getilgt wird
Synonyme:
- Schuldmitübernahme
- Kumulative Schuldübernahme
In Französisch:
- cautionnement d’une obligation à titre de débiteur solidaire
Abgrenzung von der privativen Schuldübernahme [OR 176]
- Vertrag zwischen neuem Schuldner und Gläubiger
- Auslegung
- Parteiwillen nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt
- In der Praxis wird die kumulative Schuldübernahme (Schuldbeitritt) vermutet
- Auslegung
- Alter Schuldner wird durch den neuen befreit
- Formfreiheit (zur Abgrenzung gegenüber der Bürgschaft [OR 493])
Gestzestexte
Art. 176 OR
II. Vertrag mit dem Gläubiger
1. Antrag und Annahme
1 Der Eintritt eines Schuldübernehmers in das Schuldverhältnis an Stelle und mit Befreiung des bisherigen Schuldners erfolgt durch Vertrag des Übernehmers mit dem Gläubiger.
2 Der Antrag des Übernehmers kann dadurch erfolgen, dass er, oder mit seiner Ermächtigung der bisherige Schuldner, dem Gläubiger von der Übernahme der Schuld Mitteilung macht.
3 Die Annahmeerklärung des Gläubigers kann ausdrücklich erfolgen oder aus den Umständen hervorgehen und wird vermutet, wenn der Gläubiger ohne Vorbehalt vom Übernehmer eine Zahlung annimmt oder einer anderen schuldnerischen Handlung zustimmt.
Abgrenzung von der allgemeinen Schuldübernahme [OR 175]
- Vertrag zwischen altem und neuem Schuldner
- Auslegung
- Parteiwillen nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt
- Auslegung
- Alter Schuldner wird durch den neuen befreit, sofern er sich zum Schuldner des Gläubigers macht und dieser der Schuldübernahme zustimmt
- Voraussetzung ist, dass der alte Schuldner seinen Verpflichtungen gegenüber dem Uebernehmer nachgekommen ist
- Formfreiheit (zur Abgrenzung gegenüber der Bürgschaft [OR 493])
Gestzestexte
Art. 175 OR
B. Schuldübernahme
I. Schuldner und Schuldübernehmer
1 Wer einem Schuldner verspricht, seine Schuld zu übernehmen, verpflichtet sich, ihn von der Schuld zu befreien, sei es durch Befriedigung des Gläubigers oder dadurch, dass er sich an seiner Statt mit Zustimmung des Gläubigers zu dessen Schuldner macht.
2 Der Übernehmer kann zur Erfüllung dieser Pflicht vom Schuldner nicht angehalten werden, solange dieser ihm gegenüber den Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, die dem Schuldübernahmevertrag zugrunde liegen.
3 Unterbleibt die Befreiung des alten Schuldners, so kann dieser vom neuen Schuldner Sicherheit verlangen.
Abgrenzung von der Bürgschaft
- Schuldbeitritt
- Verpflichtung des Beitretenden orientiert sich an der Solidarität der Hauptschuld und deren Wirkungen [vgl. OR 143 ff.]
- Formfreiheit
- Auslegungsmittel gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung
- 1. Parteiwillen der Vertragsparteien / Vertrauensprinzip
- 2. Wortlaut der Vereinbarung
- 2.1 geschäftsgewandte Personen?
- 2.2 nicht geschäftsgewandte Personen?
- 3. Eigeninteresse des Sicherungsgebers am Gesamtgeschäft
- 4. Fehlendes Eigeninteresse
- 4.1 geschäftsgewandte Personen > Behaftung auf Erklärungen
- 4.2 Familienmitglied zG eines anderen Familienmitglieds > Bürgschaft [vgl. BGE 129 III 702 > Schuldbeitritt/Bürgschaft: Tochter zG Vater; BGE 4C.274/2001 > Garantie/Bürgschaft: Mutter zG Sohn]
- Bürgschaft
- Bürgschaftsvertrag zwischen dem Dritten und Gläubiger
- Parteiwillen nach dem Vertrauensprinzip ausgelegt
- Bürgschaft ist von Bestand und Inhalt der Hauptschuld abhängig (sog. Akzessorietät)
- Formzwang [vgl. OR 493]
- Siehe nachfolgende Box
- Bürgschaftsvertrag zwischen dem Dritten und Gläubiger
Gestzestexte
Art. 493 OR
II. Form
1 Die Bürgschaft bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Erklärung des Bürgen und der Angabe des zahlenmässig bestimmten Höchstbetrages seiner Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst.
2 Die Bürgschaftserklärung natürlicher Personen bedarf ausserdem der öffentlichen Beurkundung, die den am Ort ihrer Vornahme geltenden Vorschriften entspricht. Wenn aber der Haftungsbetrag die Summe von 2000 Franken nicht übersteigt, so genügt die eigenschriftliche Angabe des zahlenmässig bestimmten Haftungsbetrages und gegebenenfalls der solidarischen Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst.
3 Bürgschaften, die gegenüber der Eidgenossenschaft oder ihren öffentlich-rechtlichen Anstalten oder gegenüber einem Kanton für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, wie Zölle, Steuern u. dgl. oder für Frachten eingegangen werden, bedürfen in allen Fällen lediglich der schriftlichen Erklärung des Bürgen und der Angabe des zahlenmässig bestimmten Höchstbetrages seiner Haftung in der Bürgschaftsurkunde selbst.
4 Ist der Haftungsbetrag zur Umgehung der Form der öffentlichen Beurkundung in kleinere Beträge aufgeteilt worden, so ist für die Verbürgung der Teilbeträge die für den Gesamtbetrag vorgeschriebene Form notwendig.
5 Für nachträgliche Abänderungen der Bürgschaft, ausgenommen die Erhöhung des Haftungsbetrages und die Umwandlung einer einfachen Bürgschaft in eine solidarische, genügt die Schriftform. Wird die Hauptschuld von einem Dritten mit befreiender Wirkung für den Schuldner übernommen, so geht die Bürgschaft unter, wenn der Bürge dieser Schuldübernahme nicht schriftlich zugestimmt hat.
6 Der gleichen Form wie die Bürgschaft bedürfen auch die Erteilung einer besonderen Vollmacht zur Eingehung einer Bürgschaft und das Versprechen, dem Vertragsgegner oder einem Dritten Bürgschaft zu leisten. Durch schriftliche Abrede kann die Haftung auf denjenigen Teil der Hauptschuld beschränkt werden, der zuerst abgetragen wird.
7 Der Bundesrat kann die Höhe der Gebühren für die öffentliche Beurkundung beschränken.
Rechtsnatur
- Teil des Systems der Personal-Sicherheiten
- Beitreten eines weiteren Schuldners zum Schuldverhältnis als zusätzliche Sicherheit für den Gläubiger
Funktion
Neu hinzutretender Schuldner haftet nebst des bisherigen als Gesamtschuldner inskünftig für dessen Schuld (solidarisch) mit
Charakteristik
- bestehende Schuld
- hinzutretender Schuldner
- inskünftig mehrere Schuldner, von denen der Gläubiger (infolge der Solidarhaftung in freier Wahl) die Erfüllung verlangen kann und darf
Weitere Personal-Sicherheiten
- Bürgschaft | buergschaft.ch
- Garantie | garantien.ch
- Patronatserklärung | patronatserklaerung.ch
(Haupt-)Schuld
Eine beliebige, gegenwärtige oder künftige Schuld
- künftige Schulden muss bestimmt oder bestimmbar sein
- Zulässigkeit nur insoweit als es sich um Schulden handelt, mit deren Begründung die Parteien im Zeitpunkt des Schuldbeitritts rechnen mussten und durften
Rechtsgrund
Es gibt u.E. keine Einschränkungen, zu welchen Forderungsarten der hinzutretende Schuldner neu beitreten kann
Ablehnung einer beitrittswilligen Person
Ist eine beitrittswillige Person unerwünscht (persona non grata), kann der Gläubiger den Abschluss eines Schuldbeitritts-Vertrages mit ihr einfach ablehnen oder beim Schuldbeitrittsvertrag i.V. Schuldner / Dritter (Vertag zugunsten Dritter nach OR 112) die Anerkennung des neuen, weiteren Schuldners ablehnen
Hinzutretender Schuldner
- Persönliche Voraussetzung
- Handlungsfähigkeit
- Motive
- Person, die den Hauptschuldner in seiner Kreditfähigkeit stützen will (Gefälligkeit)
- Person mit Eigeninteresse
Schuldbeitrittsvertrag
Rechtsgeschäftliche Begründung der Schuldpflicht
- Verpflichtungsgeschäft
- Parteien
- Gläubiger und Dritter (Beitretender) oder
- Schuldner und Dritter (Beitretender) [= Vertrag zugunsten Dritter nach OR 112] oder
- Gläubiger, Schuldner und Dritter (Beitretender)
- Vertrag über den Schuldbeitritt des Dritten
- Zeitpunkt
- gleichzeitig mit der Entstehung der Schuld (sog. simultaner Beitritt)
- später, d.h. nachträglich nach Entstehung der Schuld
- zB Spital- oder Garantieschein (Kostengutsprache) des Krankenversicherers gegenüber dem Privatspital [vgl. ZR 87 (1988) Nr .53 S. 122
- Kostengutsprache des Rechtsschutzversicherers an den Rechtsanwalt des Versicherten [vgl. Ziffer 6 unter Kostenübernahme / Kostengutsprache ]
- Zeitpunkt
- Rechtsnatur
- Innominatkontrakt (weil gesetzlich nicht geregelt)
- Inhalt
- Bezeichnung der Forderung
- Verpflichtung des Beitretenden, die Forderung des Schuldners solidarisch mit zu erfüllen, ohne dass der alte Schuldner durch den Beitritt befreit wird
- Form
- Formfrei [vgl. OR 11 Abs. 1]
- Empfohlene Form: Schriftform
- Parteien
- Verfügungsgeschäft
- Keines, da lediglich, aber immerhin eine obligatorische Verpflichtung begründet wird, aber weder ein dingliches oder beschränkt dingliches Recht übertragen wird, noch eine Forderung abgetreten wird
Ausservertragliche Verpflichtung
- Mitschuld aus unerlaubter Handlung o.ä.
- Mitschuld aus ungerechtfertigter Bereicherung o.ä.
Wirkungen
- Solidarische Haftung von Alt- und Neuschuldner
- Kein Schuldnerwechsel
- Verstärkung der Gläubiger-Position
Persönliche Haftung
Der hinzutretende Schuldner haftet – solidarisch – nebst des Hauptschuldners mit seinem ganzen Vermögen mit
Zahlungsverzug
Kommen weder der Alt- noch der Neu-Schuldner ihrer Zahlungspflicht nach, kann der Gläubiger seine Geldforderung auf dem Zwangsvollstreckungswege nach dem Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz gegen einen oder beide geltend machen:
- Privatschuldner
- Betreibungsbegehren | forderungseinzug.ch
- Pfändung
- Unternehmensschuldner
- Betreibungsbegehren | forderungseinzug.ch
- Konkurs | forderungseinzug.ch
Verjährung der Forderung
- Es gelten die allgemeinen Verjährungsnormen, auch für den der Schuld Beitretenden
- Verjährungsunterbrechung
- Wirkt der Hauptschuldner beim Schuldbeitritt – im Vertrag über den Schuldbeitritt des Dritten, wo die Forderung anerkannt wird – mit, wird dadurch die Verjährung unterbrochen [vgl. OR 135 Ziffer 1].
Judikatur
- ZR 87 (1988) Nr. 53 S. 133
- BGE 129 III 702 ff.
- BGE 4C.154/2002, Erw. 3.3
- BGE 4C.24/2007
- BGE 4A_420/2007 (Schuldbeitritt oder Bürgschaft? Tochter zG Vater)
- BGE 4C.274/2001 (Garantie oder Bürgschaft? Mutter zG Sohn)
Literatur
- BARTELS, Der vertragliche Schuldbeitritt im Gefüge gegenseitiger Dauerschuldverhältnisse, Tübingen 2003
- EMMENEGGER, Garantie, Schuldbeitritt und Bürgschaft – vom bundesgerichtlichen Umgang mit gesetzgeberischen Inkohärenzen, in: ZBJV 143 (2007) 561 ff.
- SPIRIG, Zürcher Kommentar, N 300 Vorbem. Zu OR 175 – OR 183