Das sog. „Dublin-System“ bietet den erforderlichen Spielraum, um die Trennung einer Familie im Asylverfahren zu vermeiden, auch wenn die Familienmitglieder ihr Asylgesuch in zwei verschiedenen Staaten gestellt haben. Die Schweiz kann die Anwendung der Zuständigkeitskriterien durch einen anderen Staat nicht immer überprüfen. Zu diesem Schluss kommt das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil.
Sachverhalt
- Der türkische Ehemann stellte sein Asylgesuch in der Schweiz
- Seine Ehefrau für sich und ihre beiden minderjährigen Kinder in der Schweiz und zuvor in Deutschland (Antrag auf internationalen Schutz).
Prozess-History
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) stellte fest, dass Deutschland auf ihr Asylgesuch eingetreten war, ohne innert der gemäss Dublin-III-Verordnung vorgesehenen Frist von der Schweiz die Aufnahme der Gesuchsteller zu verlangen.
Die deutschen Behörden bejahten in der Folge ihre Zuständigkeit sowohl bezüglich der Frau, der beiden Kinder und zur Wahrung der Einheit der Familie bezüglich des Ehemanns.
Das SEM trat daher nicht auf die Asylgesuche sämtlicher Familienmitglieder ein und verfügte ihre Überstellung nach Deutschland.
Gegen diesen Entscheid erhoben die Betroffenen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer). Ihrer Meinung nach seien die schweizerischen Behörden für die Prüfung der Asylgesuche aller Familienmitglieder zuständig, weil das erste Asylgesuch, dasjenige des Ehemannes, in der Schweiz gestellt wurde.
Präzisierung der aktuellen Rechtsprechung
In seinem Grundsatzurteil präzisiert nun das BVGer seine aktuelle Rechtsprechung und berücksichtigt dabei auch die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH).
Wenn ein Dublin-Mitgliedstaat sich für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig erkläre und einer Wiederaufnahme von Asylsuchenden zustimme, die bei ihm bereits ein erstes Gesuch gestellt hätten, so dürfe das SEM nicht mehr sämtliche Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach Kapitel III der Dublin-III-Verordnung überprüfen. Folglich könne es trotz des Grundsatzes der Einheit der Familie zu einer Trennung von gesuchstellenden Familienangehörigen kommen, auch wenn den Behörden der Mitgliedstaaten, die für die Prüfung ihrer Gesuche zuständig seien, diesbezüglich kein Verschulden treffe.
Laut Bundesverwaltungsgericht seien zwei Optionen anzubieten
Im vorliegenden Fall hob das BVGer den Entscheid des SEM auf und wies die Sache mit der Vorgabe an dieses zurück, den Gesuchstellern zwei Optionen anzubieten:
- Entweder der Ehemann akzeptiere die Überstellung nach Deutschland
- In diesem Fall habe Deutschland die Anträge aller Familienmitglieder zu überprüfen und die Einheit der Familie werde so gewahrt
- oder er entscheide sich, in der Schweiz zu bleiben
- Dies hätte zur Folge, dass das SEM einzig sein Asylgesuch prüfen müsse
- Die Ehefrau und ihren beiden Kinder würden nach Deutschland überstellt, ausser das SEM würde die „Selbsteintrittsklausel“ anwenden.
Dieses Urteil sei abschliessend und könne deshalb nicht beim Bundesgericht angefochten werden, so das Bundesverwaltungsgericht.
Mehr: BVGer-Urteil F-1499/2018 vom 25.10.2019
Quelle
LawMedia Redaktionsteam