ZGB 8
Einleitung
Im Zusammenhang mit einer Anwaltsberatung ging es einige Zeit nach Mandatsbeendigung um anwaltliche Aufklärungs- und Dokumentierungspflichten im Zusammenhang mit einer in Frage stehenden, möglichen Rechtsmittelergreifung und deren Chancen und Risiken.
Sachverhalt
Im Urteil 4A_550/2018 vom 29.05.2019 klagte ein ehemaliger Mandant gegen seine frühere Anwältin auf Schadenersatz aus Auftragsrecht, mit folgender Begründung:
- Seine Anwältin habe ihn nicht darüber aufgeklärt, dass ein erstinstanzliches Urteil, das ihn zur Zahlung gegenüber Dritten verpflichtet habe, mangelhaft gewesen sei und der Rechtsmittelweg aussichtsreich gewesen wäre
- Bei korrekter Aufklärung über die Rechtsmittelchancen hätte er das Urteil (erfolgreich) angefochten und müsste nun die Dritten nicht bezahlen.
Die Parteien hatten einen Weiterzug besprochen, die beklagte Anwältin hatte das Gespräch darüber allerdings nicht dokumentiert.
Erwägungen
Der Kläger brachte vor Bundesgericht vor, die fehlende schriftliche Dokumentation der Besprechung über die Chancen eines Rechtsmittels
- verletze die auftragsrechtliche Rechenschaftspflicht oder
- müsse als Beweisvereitelung qualifiziert werden,
- sodass die beklagte Anwältin die Substanziierungslast und die Beweislast trage.
Zum Vorwurf der Beweisvereitelung
Das Bundesgericht lehnte diese Argumentation ab:
- Eine Beweisvereitelung im prozessrechtlichen Sinne setze voraus,
- dass einerseits eine gesetzliche oder vertragliche Pflicht zur Bewahrung des betreffenden Beweismittels bestehe und
- dass andererseits die Bedeutung für den zukünftigen Prozess erkennbar sei
- Die angeblich unterlassene Dokumentation der Aufklärung über Chancen und Risiken eines Prozesses habe – unbesehen ihrer Bedeutung für die Beweissicherung in einem künftigen Prozess –
- zugunsten des Auftraggebers ohnehin stets eine Beweiserleichterung zur Folge.
Zur Aufklärungspflicht
Als Ausfluss der auftragsrechtliche Treuepflicht obliege es dem Anwalt, seinen Mandanten umfassend aufzuklären über
- die Schwierigkeit und Risiken der Geschäftsbesorgung,
- damit dieser sich über das von ihm zu tragende Risiko bewusst werde.
Zur Form der Aufklärungspflicht
- Kein Schriftformerfordernis
- Eine gesetzliche Verpflichtung, die Chancen-/Risiken-Aufklärung schriftlich zu unterbreiten, bestehe nicht
- Bei mündlicher Aufklärung
- Erfolge die Aufklärung mündlich, habe der Rechtsuchende einen auftragsrechtlichen Anspruch auf eine schriftliche Dokumentation über diese Aufklärung, namentlich um die Risiken und Chancen mit der notwendigen Distanz abzuwägen und die informierte Entscheidung zu treffen, ob ein Prozess geführt werden solle oder nicht
- Mandantenverhalten
- Verlange der Mandant die umfassende Aufklärung indes nicht schriftlich, sondern begnüge er sich mit einer mündlichen Aufklärung, so sei die Anwältin auftragsrechtlich zur schriftlichen Dokumentation nur insoweit verpflichtet, als die entsprechenden Überlegungen der künftigen Mandatsführung dienten, nicht jedoch zur Beweissicherung zugunsten des Mandanten.
Zum Beweismass bei fehlender Dokumentation
- Reduziertes Beweismass
- Bei fehlender Dokumentation sei das Beweismass auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit reduziert, um den bei negativen Tatsachen bestehenden Beweisschwierigkeiten Rechnung zu tragen
- Im konkreten Fall
- In casu habe der Kläger von der Beklagten nicht zeitgerecht eine schriftliche Dokumentation der mündlichen Aufklärung verlangt
- Die Besprechung über die Rechtsmittel-Chancen sei 7 1/2 Jahre her
- Dass sich die beklagte Anwältin daran nicht mehr detailliert erinnere, sei keine Beweisvereitelung
- Zudem habe die beklagte Anwältin das Urteil dem Kläger vor der Besprechung übermittelt
- An der Besprechung habe auch die klägerische Treuhänderin teilgenommen
Schliesslich seien weitere Angaben des Klägers und seiner Ehefrau widersprüchlich.
Zudem seien Anwälte üblicherweise eher daran interessiert, das Einlegen eines Rechtsmittels zu empfehlen.
Gemäss bindender Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz
- lasse sich daher nicht mehr rekonstruieren, inwieweit die Rechtsmittelchancen besprochen worden seien
- gelinge dem Kläger selbst unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nicht, die fehlerhafte Aufklärung über Mängel des Urteils als überwiegend wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
Dem Kläger war es nicht gelungen, eine willkürliche Beweiswürdigung aufzuzeigen, weshalb seine ehemalige Anwältin nicht hafte.
Der Beschwerde des Klägers war daher kein Erfolg beschieden.
Entscheid
- Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
Quelle
BGer 4A_550/2018 vom 29.05.2019