Grundsätzlich gelten die Allgemeinen Regeln zur Haftung des Beauftragten.
Gemäss OR 398 Abs. 1, welcher auf OR 321e Abs. 1 verweist, haftet der Rechtsanwalt für den Schaden, den er dem Klienten absichtlich oder fahrlässig zufügt.
Seine Haftung unterliegt somit gemäss OR 97 den folgenden vier Voraussetzungen (Haftungsvoraussetzungen):
- eine Verletzung seiner vertraglichen Pflichten, insbesondere eine Verletzung seiner Sorgfalts- und Treuepflicht (OR 398 Abs. 2);
- einen Schaden;
- einen (natürlichen und adäquaten) Kausalzusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden; sowie
- ein Verschulden (BGer 4A_2/2020 vom 19.09.2020, Erw. 3.1; BGer 4A_350/2019 vom 09.01.2020, Erw. 3.1; 4A_175/2018 vom 19.11.2018, Erw. 4; BGer 4A_588/2011 vom 03.05.2012, Erw. 2.2.2).
Der Klient trägt gemäss ZGB 8 ZGB die objektive Behauptungs- sowie die Beweislast für die ersten drei Voraussetzungen (zit. Urteile BGer 4A_2/2020 E. 3.1 mit Hinweisen).
Im Gegenzug hat der Rechtsanwalt zu beweisen, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last fällt («sofern er nicht beweist […]»).
Eine anwaltliche Pflichtverletzung im Rahmen der Prozessführung ist dann von Bedeutung, wenn der Ausgang des Verfahrens bei pflichtgemässem Vorgehen aus Sicht des Auftraggebers besser ausgefallen wäre:
- Im Prozess zwischen Auftraggeber und Anwalt ist zu prüfen, wie der ursprüngliche Prozess ohne anwaltliche Sorgfaltspflichtverletzung ausgegangen wäre.
- Der Auftraggeber führt somit eine Art „Schattenprozess“, in welchem die eigentlichen prozessualen Vorbringen darauf abzielen, den Nachweis dafür zu erbringen, dass der ursprüngliche Prozess bei sorgfältiger Prozessführung ein für ihn günstigeres Ergebnis gebracht hätte.
- Grundsätzlich obliegt es dem Auftraggeber zu beweisen, dass der Prozess siegreich geendet hätte, wenn der Anwalt seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt hätte (zum Ganzen: Urteil BGer 4A_659/2018 vom 15.07.2019, Erw. 3.1.3, mit Hinweisen).
In Kürze
Die Haftungsvoraussetzungen sind also:
- Vertragsverletzung
- zB Unsorgfalt
- Vorliegen eines Schadens
- Verschulden des Anwalts
- Fahrlässigkeit genügt
- Kausalzusammenhang zwischen Vertragsverletzung und Schadenseintritt
(vgl. WEBER ROLF, a.a.O., N 30 zu OR 398).
Bei der Beurteilung der Anwaltshaftung wird faktisch berücksichtigt, dass der Anwalt berufsbedingt eine Monopolstellung geniesst und für die Laien bei ihrer Rechtsverfolgung unentbehrlich ist.
Die Gedanken des Klienten, seinen Anwalt zu belangen, sind meistens nicht grundlos. Ob das beanstandete Anwalts-Verhalten aber haftungsbegründend war, ist eine andere Frage.
Nicht selten deckt sich die Erwartungshaltung des Klienten nicht mit der anwaltlichen Funktion, zB wenn der Mandant meint, sein Anwalt „zeige“ der Gegenpartei – auf emotionaler Ebene – den „Meister“; der Anwalt ist von Berufsstands wegen und im Hinblick auf die Zielerreichung gerade gehalten, die Angelegenheit zu versachlichen; der Mandant ist natürlich im Rahmen der Instruktion entsprechend zu belehren, wenn sich falsche Erwartungshaltungen abzeichnen.
Anzutreffen ist auch ein – nicht tolerables – reduziertes Anwalts-Engagement, weil er die Erfolgschancen zum Vorneherein als gering einschätzt; dem ist entgegenzuhalten, dass das Mandat entweder mit vollem Engagement geführt wird oder abzugeben ist; das reduzierte Engagement kann auch Folge einer nicht zugegebenen eigenen Ratlosigkeit des Anwalts sein.
Ein Grossteil der Haftungsprozesse gegen Anwälte scheitern, weil eine oder mehrere Voraussetzungen für die Schadenersatzpflicht nicht gegeben sind.
Weiterführende Informationen
Berufskodex
- Art. 20 Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV)
Judikatur
- BGer 4A_349/2022 vom 14. Februar 2023
- Siehe Kasuistik
Literatur
- MÜLLER THOMAS, Die Haftung des Anwalts – Ausgewählte Aspekte, in: AnwaltsRevue 11/12/2015, S. 459 ff.
- SIEGRIST DANIEL, Die Deckung von aussergerichtlichen Anwaltskosten durch Rechtsschutzversicherungen in Haftpflichtfällen, HAVE 2003, S. 215 ff.
- KELLERHALS OTTO, Die Zivilrechtliche Haftung des Rechtsanwalts aus Auftrag, Schwarzenbach 1953, 160 S.
- WEBER ROLF, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Basel/Frankfurt, 1992, N 30 zu OR 398