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Erbrecht

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Öffentliches Inventar: Keine (weitere) Verlängerung der Deliberationsfrist

Datum:
07.07.2020
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Erbrecht
Stichworte:
Bedenkfrist, Erbrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

ZGB 588

Einleitung

Zwei Erben beschwerten sich beim Bundesgericht (5A_739/2019) über, die Ablehnung ihres Gesuchs um (wiederholte) Verlängerung der Überlegungsfrist zur Erklärung über den Erwerb der Erbschaft (Deliberationsfrist) im Rahmen eines öffentlichen Inventars.

Sachverhalt

Nach dem Tode des Vaters (2017) verlangten die beiden Erben beim Regierungsstatthalteramt Seeland die Errichtung eines öffentlichen Inventars. Das öffentliche Inventar (2018) wies einen Passivenüberschuss von ca. CHF 1,6 Mio. aus.

Wegen Ungewissheiten über die Erbschaftspassiven und infolge der inventarisierten, bestrittenen Steuerschulden über knapp CHF 500000.– ersuchten die Erben um Verlängerung der ihnen nach Abschluss des Inventars angesetzten Frist zur Erklärung über die Annahme der Erbschaft (Deliberationsfrist). Das Regierungsstatthalteramt verlängerte die Deliberationsfrist dreimal bis zum Abschluss des wegen der Steuern angehobenen Verfahrens vor der Steuerrekurskommission im März 2019. Ein weiteres Fristerstreckungsgesuch wies das Regierungsstatthalteramt ab und setzte den Erben eine Nachfrist von zehn Tagen zur Erklärung über die Erbschaft.

Der eine der Erben erklärte innert Frist die Annahme der Erbschaft unter öffentlichem Inventar und der andere deren Ausschlagung für den Fall, dass die Beschwerde gegen die Nichtverlängerung der Frist abgewiesen werde.

Prozess-History

Beide Erben erhoben Beschwerde gegen die Nichtverlängerung der Deliberationsfrist ans Obergericht des Kantons Bern.

Das Obergericht trat auf die Beschwerde des ersten Erben nicht ein und wies jene des zweiten Erben ab. Letzterem setzte es – wie bereits das Regierungsstatthalteramt – eine Nachfrist von 10 Tagen ab Eröffnung seines Entscheids zur Erklärung über die Annahme der Erbschaft an.

Erwägungen

Bei der Entscheidfindung ergaben sich folgende Erwägungen und Argumente:

  • Legitimation
    • Prüfung der Eintretens-Voraussetzungen des Bundesgerichts
  • Erbe 1 (Annahme-Erklärung / Nichtigkeit?)
    • Annahmeerklärung
      • Hinsichtlich des Beschwerdeführers 1 erwog das Obergericht, dieser habe am 26.04.2018 bedingungslos und rechtswirksam die Annahme der Erbschaft unter öffentlichem Inventar erklärt; damit habe er kein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung des Entscheids über die Verlängerung der Deliberationsfrist mehr. Auf seine Beschwerde sei daher nicht einzutreten.
    • Nichtigkeitsvorwurf
      • Die Beschwerdeführer erachteten nun vor Bundesgericht die Annahmeerklärung als nichtig im Sinne von OR 20 Abs. 1, weil das Regierungsstatthalteramt die Nachfrist zur Abgabe der Erklärung fehlerhaft angesetzt habe
    • Gültigkeit der Annahmeerklärung
      • Das Bundesgericht kam aber zum Schluss, dass die Vorinstanz von der Gültigkeit der Annahmeerklärung ausgehen durfte und daher zu Recht auf das Rechtsmittel des Beschwerdeführers nicht eintrat.
    • Nicht zu beanstandender vorinstanzlicher Entscheid
      • Die Beschwerde erwies sich daher insoweit als unbegründet
  • Erbe 2 (Ausschlagung, für den Fall der Abweisung des Gesuchs um Erstreckung der Deliberationsfrist)
    • Inventarrecht
      • Jeder Erbe, der die Befugnis hat, die Erbschaft auszuschlagen, ist berechtigt, ein öffentliches Inventar zu verlangen (vgl. ZGB 580 Abs. 1)
    • Verfahren
    • Deliberation
      • Grundlagen
        • Nach Abschluss des Inventars wird jeder Erbe aufgefordert, sich binnen Monatsfrist über den Erwerb der Erbschaft zu erklären (vgl. ZGB 587 Abs. 1)
        • Wo die Umstände es rechtfertigen, kann die zuständige Behörde zur Einholung von Schätzungen, zur Erledigung streitiger Ansprüche u. dgl. eine weitere Frist einräumen (vgl. ZGB 587 Abs. 2)
      • Fristerstreckung
        • Das Gesetz verweist die zuständige Behörde beim Entscheid über die Fristverlängerung auf
          • die Würdigung der Umstände
          • den Umstand, dass der Entscheid nach Recht und Billigkeit zu treffen ist (vgl. ZGB 4)
        • Überprüfung durch Bundesgericht
          • Beurteilung solcher Ermessensentscheide nur mit gewisser Zurückhaltung
          • Einschreiten nur, wenn die kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen falschen Gebrauch gemacht hat
            • Grundloses Abweichen von den in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen
            • Berücksichtigung unerheblicher Gesichtspunkte
            • Ausserachtlassen rechtserheblicher Umstände
        • Aufhebung oder Korrektur
          • von Ermessensentscheiden, die sich im Ergebnis als offensichtlich unbillig oder als in stossender Weise ungerecht erweisen
    • Fristerstreckungsgründe
      • Zu Recht unbestritten blieb, dass sich hier eine Fristverlängerung nur aus Gründen rechtfertigt, welche auf die Solvenz bzw. Insolvenz der Erbschaft Einfluss haben und daher den Entschluss der Erben über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft beeinflussen
      • Die Beschwerdeführer haben richtig vorgebracht, dass nicht nur Gründe oder Umstände eine Fristverlängerung rechtfertigen würden, die Klarheit hinsichtlich der Solvenz einer Erbschaft schaffen, sondern auch solche, die es den Erben erlauben, den Grad von deren Insolvenz in Erfahrung zu bringen
        • Sind derartige Unklarheiten auszuräumen, kommt eine Fristverlängerung nach dem Gesetzestext zur Erledigung von streitigen Ansprüchen und damit auch zur Klärung öffentlich-rechtlicher Forderungen in Frage
        • Die Beschwerde-Vorbringen sind zur Begründung einer Fristerstreckung damit grundsätzlich geeignet
    • Vorinstanzliche Tatbestands-Feststellungen
      • Das Obergericht hielt in tatsächlicher Hinsicht fest, dass die Erbschaft auch ohne die strittigen Steuerforderungen erheblich überschuldet sei
      • Die hiergegen gerichteten Ausführungen der Beschwerdeführer, wonach die übrigen Passiven tiefer als inventarisiert und die Aktiven höher seien, waren blosse Parteibehauptungen und wurden nicht nachgewiesen
      • Haltlos war auch der Vorwurf der Beschwerdeführer, die Vorinstanz sei auf das Problem der Bewertung der Aktiven nicht eingegangen
      • Die Beschwerdeführer legten zwar ausführlich dar, weshalb sich der Negativsaldo der Erbschaft ihrer Ansicht nach in Grenzen halte, unterliessen es aber, der Vorinstanz Willkür in der Beweiswürdigung vorzuwerfen und ihre Sicht der Dinge darzulegen
      • Damit wurden die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht rechtsgenügend in Frage gestellt
    • Vorinstanzliche Quantitativ-Feststellungen
      • Angesichts des Umstandes, dass die Erbschaft auch ohne die beanstandete Steuerforderung mit rund Fr. 500’000.– überschuldet sei und die Beschwerdeführer die Passiven nicht zu tragen vermögen, kann der Vorinstanz beim Entscheid über die Fristverlängerung keine fehlerhafte Ermessensausübung vorgeworfen werden
    • Zu Recht keine weitere Erstreckung der Deliberationsfrist
      • Die Vorinstanz konnte ohne Bundesrechtsverletzung zum Schluss gelangen, dass sich das laufende Steuerverfahren nicht entscheidend auf den Entschluss über die Annahme der Erbschaft auszuwirken vermöge, weshalb die Deliberationsfrist nicht weiter erstreckt werden musste
    • Nicht zu beanstandender vorinstanzlicher Entscheid
      • Die Abweisung des Gesuchs des Beschwerdeführers 2 um Fristverlängerung war daher nicht zu beanstanden; die Beschwerde erwies sich auch insoweit als unbegründet.

Entscheid

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist
  2. Die Gerichtskosten von Fr. 4’000.– werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
  3. Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Regierungsstatthalteramt Seeland und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Quelle

BGer 5A_739/2019 vom 27.01.2020

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