DBG 150 + StHG 52
Einleitung
Das Bundesgericht hatte sich im Fall 2C_331/2019 mit einer Meinungsverschiedenheit von steuerpflichtigen und dem Kantonalen Steueramt Schwyz zu befassen:
- Beim Einkommen der direkten Bundessteuer waren Fr. 58’500.– weniger steuerbares Einkommen verfügt worden als die Beschwerdeführer deklariert hatten.
Sachverhalt
Deklaration
Die in U.________/SZ wohnhaften Eheleute A.A.________ und B.A.________ deklarierten in ihrer elektronisch ausgefüllten Steuererklärung für die Steuerperiode 2012 neben anderen Erträgen aus unbeweglichem Vermögen erhaltene Baurechtszinsen von Fr. 58’500.–, wobei sie auf dem Barcodeblatt handschriftlich beifügten: «Anmerkung: Abzug Bundessteuer 1/3 Baurechtszins». Mit der Veranlagungsverfügung vom 18.02.2014 für die kantonalen Steuern und die direkte Bundessteuer wurden die Eheleute A.________ bei den kantonalen Steuern zu einem satzbestimmenden / steuerbaren Einkommen von Fr. 192’400.–/Fr. 102’100.– und bei der direkten Bundessteuer zu einem satzbestimmenden/steuerbaren Einkommen von Fr. 148’200.–/Fr. 146’500.– veranlagt.
Erkundigung von A.
In der Steuererklärung 2013 deklarierten die Eheleute A.________ wiederum erhaltene Baurechtszinsen von Fr. 58’500.–, erneut mit der gleichen handschriftlichen Bemerkung auf dem Barcodeblatt. Nach Erhalt der Veranlagungsverfügung erkundigte sich A.A.________ per Mail, ob die handschriftliche Bemerkung bei der Veranlagung berücksichtigt worden sei.
Mitteilung des „Einschätzers“ betreffend versehentliche Nichtberücksichtigung der Baurechtszinsen
In seiner Mailantwort teilte der „Einschätzer“ mit, dass bei der direkten Bundessteuer kein entsprechender Abzug (1/3 von Fr. 58’500.– = Fr. 19’500.–) vorgenommen worden sei. Ausserdem führte er aus, bei der Veranlagung der direkten Bundessteuer 2012 seien versehentlich die Baurechtszinsen nicht berücksichtigt worden. Deshalb sei die Veranlagungsverfügung vom 18.02.2014 zu korrigieren und das satzbestimmende/steuerbare Einkommen bei der direkten Bundessteuer 2012 um Fr. 58’500.– zu erhöhen.
Beim Einkommen der direkten Bundessteuer seien versehentlich genau Fr. 58’500.– weniger steuerbares Einkommen verfügt worden als die Beschwerdeführer deklariert hätten. Diese Einkünfte entsprächen genau den erhaltenen Baurechtszinsen (verfügt unter Veranlagungscode 537); sie seien indes von der Software der Steuerverwaltung vom Veranlagungscode 536 wieder in Abzug gebracht worden, was so nicht korrekt sei.
Berichtigungs-Verfügung
In der berichtigten Veranlagungsverfügung für die direkte Bundessteuer 2012 vom 31.03.2015 wurden das satzbestimmende/steuerbare Einkommen von 2012 gegenüber der ursprünglichen Verfügung um je Fr. 58’500.– erhöht und ausgeführt, die Liegenschaftserträge würden bei der direkten Bundessteuer «aufgrund eines Software- bzw. Programmierungsfehlers» korrigiert.
Prozess-History
- Einsprache
- Die Kantonale Steuerverwaltung für die direkte Bundessteuer wies die Einsprache der Eheleute A.________ gegen die Veranlagungsverfügung am 10.04.2018 ab
- Hinsichtlich der Fehlerursache wurde im Einspracheentscheid festgestellt, dass diese entgegen der Annahme des Einschätzers nicht in einem Programmierungsfehler liege, sondern auf eine versehentlich unvollständige Erfassung der Liegenschaftserträge (die sich bei den kantonalen Steuern nicht ausgewirkt habe) zurückzuführen sei
- Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
- Die Beschwerde der Eheleute A.________ gegen den Einspracheentscheid wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Kammer II, am 12.02.2019 ab
- Bundesgericht
- Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten verlangten die Eheleute A.________ beim Bundesgericht die Aufhebung des angefochtenen Entscheids.
- Die Kantonale Steuerverwaltung für die direkte Bundessteuer wies die Einsprache der Eheleute A.________ gegen die Veranlagungsverfügung am 10.04.2018 ab
Erwägungen
Numerus clausus der Rückkommensgründe auf eine rechtskräftige Verfügung
Abgaberechtliche Gesetze enthalten regelmässig einen numerus clausus von Rechtsgründen, die es dem Fiskus erlauben, auf eine rechtskräftige Verfügung oder einen rechtskräftigen Entscheid zurückzukommen:
Bei diesen Gründen handelt es sich im Einkommenssteuerrecht um folgende Instrumente:
- Revision
- die Revision (zugunsten der steuerpflichtigen Person; Art. 51 des Bundesgesetzes vom 14.12.1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14) bzw. 147 ff. DBG)
- Berichtigung
- die Berichtigung (zugunsten der steuerpflichtigen Person oder der öffentlichen Hand; 52 StHGbzw. Art. 150 DBG)
- Nachsteuer
- die Nachsteuer (zugunsten der öffentlichen Hand; Art. 53 f. StHG bzw. 151 ff. DBG).
Ausschluss weiterer Aufhebungs- oder Abänderungsgründe, mit einem Vorbehalt
Weitere Aufhebungs- oder Abänderungsgründe sind ausgeschlossen und können weder von der steuerpflichtigen Person noch der öffentlichen Hand angerufen werden:
- Wiedererwägung
- Grundsatz
- Für die im Verwaltungsrecht bekannte Wiedererwägung besteht grundsätzlich kein Raum
- Ausnahme
- Möglichkeit der Steuerbehörde, eine Veranlagungsverfügung bis zum Ablauf der Einsprachefrist in Wiedererwägung zu ziehen
- Grundsatz
Kanzleifehler
Die direktsteuerlichen Berichtigungs-Tatbestände gemäss DBG 150 Abs. 1 bzw. StHG 52 dienen
- Ziel / Zweck
- der Sicherstellung, dass rechtskräftige Verfügungen und Entscheide, die aufgrund eines blossen «Kanzleifehlers» den wirklichen Willen der betreffenden Steuer- oder Steuergerichtsbehörde unzutreffend zum Ausdruck bringen, möglichst formlos korrigiert werden können:
- Rückkommensrecht der Verwaltungs- und Gerichtsbehörden
- Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden haben das Recht, auf eine rechtskräftige Verfügung oder einen ebensolchen Entscheid zurückzukommen, in zeitlicher Hinsicht begrenzt
- Dauer
- absolute Verwirkungsfrist von 5 Jahren
- Gegenstand
- sachlicher Hinsicht («Kanzleifehler»)
- Schutznormen zugunsten des Steuerpflichtigen
- Die erwähnten Bestimmungen haben auch den Charakter von Schutznormen für die steuerpflichtige Person.
- Dauer
- Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden haben das Recht, auf eine rechtskräftige Verfügung oder einen ebensolchen Entscheid zurückzukommen, in zeitlicher Hinsicht begrenzt
Willensäusserung mit Erklärungsirrtum = Kanzleifehler > Grundlagenirrtum
Berichtigungsfähige Kanzleifehler haben den Ausdruck des Verfügungsinhalts und des behördlichen Willens, also die Willensäusserung zum Gegenstand:
- Erklärungsirrtum
- Es geht dabei um die Klarstellung eines Erklärungsirrtums, in welchem sich die Veranlagungsbehörde befand
- Auftreten bei behördlicher Handarbeit
- Kennzeichnend für Kanzleifehler ist, dass sie bei der behördlichen «Handarbeit» auftreten
- Grundlagenirrtum bei den Steuerbehörden
- Solchen Unstimmigkeiten stehen die Fehler bei der «Kopfarbeit» gegenüber
- Ein inhaltlicher Fehler der Verfügung und damit der Willensbildungder Veranlagungsbehörde liegt vor, wenn die Verfügung auf einer unzutreffenden tatbeständlichen oder rechtlichen Würdigung beruht, ungeachtet dessen, ob für die steuerpflichtige Person erkennbar ist, dass die Behörde sich in einem Sach- oder Rechtsirrtum und damit einem eigentlichen Grundlagenirrtum befand
- Derartige Veranlagungsfehler sind nicht berichtigungsweise, sondern im Rechtsmittelweg geltend zu machen
- Hierzu verfügt auch die öffentliche Hand über die erforderlichen Rechtsmittelmöglichkeiten
- Software- und Programmierungsfehler?
- Software- und Programmierungsfehler betreffen nicht in jedem Fall die Rechtsanwendung:
- Vorgänge, welche im Rahmen der Vorbereitung und Vornahme der Veranlagung ebenfalls mittels des Einsatzes der Veranlagungssoftware bewältigt werden
- zB Erfassung des erforderlichen Datenmaterials
- zB rechnerische Aufbereitung des erforderlichen Datenmaterials
- Aufgaben, die früher mittels «Handarbeit» erledigt wurden,
- Vorgänge, welche im Rahmen der Vorbereitung und Vornahme der Veranlagung ebenfalls mittels des Einsatzes der Veranlagungssoftware bewältigt werden
- Bei den Arbeiten, die ehemals durch „Handarbeit“ erledigt wurden, steht laut Bundesgericht nichts entgegen, den Berichtigungstatbestand beim Einsatz von EDV-Programmen auch bei durch Programmierungsfehlern generierten Fehlern in einer Veranlagung zum Zuge kommen zu lassen
- Es mache keinen Unterschied, ob ein falscher Übertrag, ein Verschrieb oder ähnliche Fehler auf einer (direkten) menschlichen Fehlleistung beruhen oder das Ergebnis einer fehlerhaft programmierten Software seien
- Diesbezüglich gelte es auch zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Einführung des DBG und StHG nicht vorausgesehen werden konnte, wie sich die Abläufe im Veranlagungsverfahren im Rahmen der Digitalisierung entwickeln werden
- Standen damals der Berichtigung zugängliche menschliche Rechnungs- und Schreibfehler im Vordergrund, nähmen zunehmend Programmierungs- und Softwarefehler deren Platz ein
- Software- und Programmierungsfehler betreffen nicht in jedem Fall die Rechtsanwendung:
Auslegung von DBG 150 und StHG 52
Die Auslegung des Normzwecks von DBG 150 und StHG 52 hat den gewandelten Umständen Rechnung zu tragen:
- Kaum Trennung von Abläufen bei Software-Einsatz
- Eine zur Hauptsache ablaufbezogene Betrachtung – Fehler schon in der Willensbildung oder erst in der Willensäusserung – wird der heutigen Arbeitsweise nicht mehr vollständig gerecht
- Fehlende Nachvollziehbarkeit für Aussenstehende
- Für Aussenstehende sei nicht oder nur beschränkt einseh- und nachvollziehbar, ob es sich um einen Programmierungs-, einen Handhabungs- oder einen Fehler im Druckzentrum handle
- Frage, wem Computerfehler zuzurechnen sind
- Vielmehr fragte sich ganz grundsätzlich, wem und welchem Verfahrensstadium «Computerfehler» zuzurechnen sind
Somit rechtfertige sich auch vor dem Hintergrund der neuen digitalen Möglichkeiten eine nicht all zu enge Auslegung.
Ergebnis
Selbst wenn dieser Fehler als Programmierungsfehler systematisch auftreten sollte und nicht auf eine Fehlmanipulation eines Veranlagungsbeamten zurückzuführen wäre, betraf er nicht die Rechtsanwendung, sondern einen Vorgang, der, würde heute noch «von Hand» veranlagt, als typischer «Kanzleifehler» zu charakterisieren wäre. – Deshalb stand entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nichts entgegen, diesen Fehler auf dem Wege der Berichtigung zu korrigieren.
Die Beschwerde war aufgrund des Dargelegten unbegründet und damit abzuweisen.
Entscheid
- Beschwerdeabweisung
- Kostenauferlegung zulasten der Beschwerdeführer zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung
- Mitteilungen.
Quelle
BGer 2C_331/2019 vom 07.04.2020
Art. 150 DBG
1 Rechnungsfehler und Schreibversehen in rechtskräftigen Verfügungen und Entscheiden können innert fünf Jahren nach Eröffnung auf Antrag oder von Amtes wegen von der Behörde, der sie unterlaufen sind, berichtigt werden.
2 Gegen die Berichtigung oder ihre Ablehnung können die gleichen Rechtsmittel wie gegen die Verfügung oder den Entscheid ergriffen werden.
Art. 52 StHG Rechnungsfehler und Schreibversehen
Rechnungsfehler und Schreibversehen in rechtskräftigen Verfügungen und Entscheiden können innert fünf Jahren nach der Eröffnung auf Antrag oder von Amtes wegen von der Behörde berichtigt werden, der sie unterlaufen sind.