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Auftrag / Auftragsrecht

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Abgrenzung der Anlageberatung von Execution-only-Geschäften

Datum:
09.11.2021
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Auftrag / Auftragsrecht
Stichworte:
Vertrag
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

OR 394 ff. / FIDLEG 3 lit. c Ziff. 2 und 4

Im konkreten Fall spielten einerseits Qualifikation und Begriff des Anlageberatungsvertrages und andererseits die Funktion sog. „Execution-only-Geschäfte“ eine Rolle:

  • Definition Anlageberatung

    • Anlageberatungsvertrag = Vertrag, aufgrund dessen ein Finanzdienstleister dem Anleger regelmässige kundenbezogene Unterstützung beim Treffen von Anlageentscheidungen, i.d.R. gegen Entgelt, bietet
    • Die charakteristische (Dienst-)Leistung des Anlageberaters besteht
      • zum einen 1)
        • aus der Erteilung von Auskünften über objektiv verifizierbare Tatsachen und
      • zum andern 2)
        • aus der Erteilung individualisierter Empfehlungen für die Vermögensanlage des Kunden.
      • Rechtsgrundlage für Anlageberatung

        • Der Anlageberatungsvertrag ist im Schweizerischen Obligationenrecht (OR) nicht ausdrücklich geregelt.
        • Nach Rechtsprechung und Lehre untersteht er den Regeln des Auftragsrechts OR 394 ff.
      • Form des Anlageberatungsvertrags

        • Der Anlageberatungsvertrag kann formfrei abgeschlossen werden.
      • Konkludentes Zustandekommen eines Anlageberatungsvertrages

        • Die Formfreiheit ermöglicht auch ein konkludentes Zustandekommen des Anlageberatungsvertrags.
      • Abgrenzungen

        • Durch die persönliche Beratungsleistung unterscheidet sich die Anlageberatung von Execution-only-Geschäften, insbesondere von der Anlagevermittlung:
          • Erteilung einer persönlichen Empfehlung.
          • Anlagevermittlung = blosse Konto-/Depotbeziehungen bei einer Bank oder die reine Vermittlung von Geschäften mit Finanzinstrumenten durch den Finanzdienstleister

Beim Execution-only-Geschäft handelt es sich um ein grundsätzlich beratungsfreies Geschäft:

  • Definition Execution-only-Geschäft

    • Execution-only-Geschäft = Annahme und Übermittlung von Aufträgen, welche Finanzinstrumente zum Gegenstand haben, wobei der Finanzdienstleister keine individualisierten Anlageempfehlungen erteilt, sondern beschränkt seine Tätigkeit auf die technische Ausführung von Transaktionen
  • Rechtsgrundlage des Execution-only-Geschäfts

    • FIDLEG 3 lit. c Ziff. 2
  • Anwendungsbeispiel eines Execution-only-Geschäfts

    • Die Botschaft zum FIDLEG nennt als Beispiel einer Execution-only-Beziehung (in Abgrenzung zur Anlageberatung) den Fall, in welchem der Finanzdienstleister dem Kunden lediglich allgemeine Erwartungen über die Entwicklung bestimmter Finanzinstrumente mitteilt und der Kunde im Anschluss daran Transaktionen in Auftrag gibt (vgl. Botschaft vom 04.11.2015 zum Finanzdienstleistungsgesetz [FIDLEG] und zum Finanzinstitutsgesetz [FINIG], BBl 2015 8901 ff., 8946 f.).
  • Abgrenzungsschwierigkeiten

    • Die Frage, ob im konkreten Fall eine Beratungskomponente vorliegt, es sich mithin um ein Beratungsverhältnis handelt, kann allerdings Schwierigkeiten bereiten, namentlich bei der Abgrenzung der punktuellen (transaktionsbezogenen) Anlageberatung von der Anlagevermittlung oder vom blossen Verkauf (zB von Fondsanteilen).

Für die Abgrenzung der einzelnen Rechtsgeschäftsarten sind von Belang:

  • Pro Anlageberatungsvertrag

    • Kundenprofilerstellung

      • Für einen Anlageberatungsvertrag dürfte regelmässig sprechen, wenn der Finanzdienstleister ein Kundenprofil erstellt.
    • Erkundung der persönlichen und finanziellen Verhältnisse

      • Die Erkundung der persönlichen und finanziellen Kunden-Umstände gelten als ein Zeichen dafür, dass der Finanzdienstleister eine individualisierte Beratungsdienstleistung erbringen will.
      • Auch bei Nichtberücksichtigung der Kundenangaben kann es sich bei einer abgegebenen Empfehlung aus objektiver Sicht betrachtet um eine Anlageberatung handeln:
    • Inanspruchnahme des Kundenvertrauens

      • Dies dürfte zutreffen, wenn beim Kunden der Eindruck erweckt wird, dass seine persönlichen Umstände in die erteilte Empfehlung einfliessen (Inanspruchnahme des Kundenvertrauens durch Finanzdienstleister).
      • Die Inanspruchnahme des Kundenvertrauens durch den Finanzdienstleister spricht für einen Anlageberatungsvertrag.
    • Anhaltspunkte, die für oder gegen ein Anlageberatungsverhältnis sprechen

      • Pro und contra

        • Anhaltspunkte, die für oder gegen einen Anlageberatungsvertrag sprechen, können sich sodann ergeben aus
          • Inhalt der Äusserungen des Finanzdienstleisters über ein Finanzinstrument und
          • Art der Äusserungen des Finanzdienstleisters über ein Finanzinstrument
        • Keine Empfehlung

          • Die Erteilung objektiver, wertneutraler Auskünfte über ein Finanzprodukt (Kurs, Kosten, Rendite etc.) gilt nicht als Empfehlung
          • Ratschläge, die über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben werden (z.B. im Internet, im Fernsehen oder in Fachzeitschriften), gelten ebenfalls nicht als Anlageberatung.
        • Empfehlung

          • Anlageentscheid-Unterstützung

            • Die Schwelle von der reinen Information zur Erteilung einer persönlichen Empfehlung dürfte dann überschritten werden, wenn der Finanzdienstleister objektive Produktinformationen in einer Art „aufbereitet“, dass er seinen Kunden beim Anlageentscheid unterstützt.
          • Individualisierte Produktinformation an wertschriften-unerfahrenen Kunden

            • In der Zusendung individualisierter Produktinformationen an einen Kunden kann das Angebot zum Abschluss eines Anlageberatungsvertrags liegen, v.a. dann, wenn der Kunde in Wertschriftengeschäften unerfahren ist.
          • Kundgegebene Interessenvertretung

            • Ein weiterer möglicher Hinweis kann die gegen aussen kundgetane Interessenvertretung des Finanzdienstleisters bilden:
              • Während der Finanzdienstleister bei der Anlageberatung auf die persönlichen Umstände und Interessen des Kunden abstellt, handelt er bei der Vermittlung von Geschäften mit Finanzinstrumenten im Interesse des Anbieters:
                • Bei der Vermittlung von Finanzinstrumenten steht der informative, allenfalls werbende Charakter seiner gegenüber dem Kunden getätigten Äusserungen im Vordergrund.
              • Kontakt-Häufigkeit mit Kunden
                • Indizien für die Art des Rechtsverhältnisses ergeben sich auch aus
                  • der Häufigkeit der Kontakte des Finanzdienstleisters zu seinem Kunden und
                  • den daran anschliessend tatsächlich erfolgten Transaktionen.
                • Praxis-Annahme
                  • Ein Anlageberatungsvertrag wird in der Praxis ausserdem bejaht, wenn
                    • sich aufgrund der andauernden Geschäftsbeziehung zwischen dem Finanzdienstleister (meistens einem Bankinstitut) und dem Kunden ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt hat, aus welchem der Kunde nach Treu und Glauben (auch unaufgefordert) Beratung und Abmahnung erwarten darf.
                  • Entschädigung nicht entscheidend
                    • Nicht massgeblich ist, ob der Kunde dem Finanzdienstleister eine Entschädigung bezahlt:
                      • Häufige Anlageempfehlungen ohne Entschädigungsvereinbarung
                      • Aus Optik des Kunden erscheint eine solche Anlageberatung häufig als „Gratisdienstleistung“, da er für die Beratung in den meisten Fällen nicht unmittelbar eine Gebühr bezahlen muss
                    • Das Anlageberatungsverhältnis dürfte dennoch regelmässig als entgeltlich zu qualifizieren sein, weil der Finanzdienstleister indirekt bzw. mittelbar eine Entschädigung vom Kunden erhält:
                      • Quersubventionierung einer solchen Dienstleistung durch:
                        • Depotgebühren
                        • Courtagen
                        • Emissionsgebühren
                      • Finanzdienstleister erhalten für den Erwerb oder das Halten von Finanzinstrumenten auf Rechnung des Kunden teilweise Rückvergütungen von Dritten, sog. (Retrozessionen Bestandespflegekommissionen
                    • Konkrete Verhältnisse entscheidend
                      • Ob im konkreten Fall ein Beratungsverhältnis vorliegt, ergibt sich bei Fehlen einer ausdrücklichen Parteivereinbarung aus den jeweiligen Umständen:
                        • Vertrauensprinzip
                          • Es ist nach dem Vertrauensprinzip zu beurteilen, ob der Kunde als korrekte und redliche Person aus den Umständen auf das Zustandekommen eines Beratungsvertrags schliessen durfte und musste
                        • Nicht Vertragstitel, sondern erwartete und erbrachte Leistungen entscheidend
                          • Für die Qualifikation des Vertrages war nicht entscheidend, welche Bezeichnung die Parteien verwenden, sondern welche Leistungen
                            • der Klient im vereinbarten Rahmen verlangte und
                            • der Finanzintermediär tatsächlich erbrachte.

Quelle

Obergericht des Kantons Zürich
1. Zivilkammer
Beschluss vom 10.12.2020
LB200007
ZR 120 (2021) Nr. 44, S. 215 ff.

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