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Vertragsrecht / Kunstrecht

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Kunstkauf: Keine Aufklärungspflicht der Verkäuferin eines Kunstobjekts

Datum:
06.07.2022
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Vertrag / Vertragsrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

OR 199; OR 28; ZGB 2

Sachverhalt

«A.

A.a. A.________ (Klägerin, Beschwerdeführerin) erwarb am 8. Dezember 2014 im Nachverkauf zu einer Auktion bei der C.________ AG (Beklagte 1) eine blaue Schwammskulptur («Eponge bleue») des verstorbenen Künstlers Yves Klein zu einem Preis von Fr. 123’120.– (inklusive Mäklerprovision und Mehrwertsteuerzuschlag). Bei dieser Skulptur handelt es sich um einen blauen Schwamm auf einem geraden Metallständer. Folgende Abbildung liegt im Recht:

Yves Klein hatte den Schwamm im Jahr 1961 geschaffen; der Metallständer wurde nach dessen Tod von seinem Nachlass ergänzt. Daneben fertigte Yves Klein zu Lebzeiten zahlreiche weitere Schwammplastiken an, die teilweise von ihm mit einem Sockel versehen worden sind.

A.b. Die Skulptur war der C.________ AG von der B.________ AG (Beklagte 2, Beschwerdegegnerin) eingeliefert und im Auktionskatalog der C.________ AG wie folgt beschrieben worden:

«YVES KLEIN
1928-1962
Ohne Titel (Eponge Bleue). 1961.
IKB Pigment und Kunstharz auf
Schwamm. Ca. 6 × 6 × 6 cm auf Metallständer,
Gesamthöhe 17.5 cm.»

Die Auktionsbedingungen enthielten eine Klausel «Haftungsausschluss». Darin erklärte die C.________ AG unter anderem, dass die Beschreibung der Objekte «nach bestem Wissen und Gewissen» erfolge. Indes werde «keine Haftung» für die Katalogangaben übernommen und «jede Haftung für Rechts- und Sachmängel wegbedungen». Es sei am Käufer, sich ein eigenes Urteil bezüglich der Übereinstimmung des Kunstobjektes mit der Katalogbeschreibung zu bilden. Ferner war darin vermerkt, dass «die Verpflichtungen des Einlieferers gegenüber dem Käufer» in gleichem Mass eingeschränkt seien «wie die Verpflichtungen von C.________ AG gegenüber dem Käufer».

A.c. In der Folge erklärte A.________, den Vertrag nicht halten zu wollen. Sie habe erst im Nachhinein erfahren, dass der Schwamm nicht von Yves Klein auf den Sockel montiert worden sei, und berief sich auf Grundlagenirrtum und absichtliche Täuschung, eventualiter auf Sachgewährleistung.»

Prozess-History

  • Bezirksgericht Zürich (BGZ)
    • Das BGZ hiess die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Skulptur gut.
  • Obergericht des Kantons Zürich (OGZ)
    • Dagegen erhob die B.________ AG Berufung ans OGZ.
    • Dieses hiess die Berufung – soweit hier von Interesse – gut und wies die Klage ab.
  • Bundesgericht
    • A.________ verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
    • Die B.________ AG sei zu verurteilen, ihr Fr. 102’600.– nebst Zins zu 5 % seit 26. September 2016 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe der Schwammskulptur.
      • Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen

Die Erwägungen des BGer ergaben folgendes:

  • Grundlagenirrtum?
    • Ein Grundlagenirrtum bezüglich fehlender Eigenschaften der Kaufsache konnte aufgrund des Gewährleistungsausschlusses nicht angerufen werden.
  • Absichtliche Täuschung?
    • Strittig war, ob die Verkäuferin die Käuferin hätte darüber informieren müssen, dass nur der Schwamm, nicht aber der Ständer, von Yves Klein geschaffen worden sei, und daher eine absichtliche Täuschung bzw. ein arglistiges Verschweigen gemäss OR 199 vorliege.
  • Aufklärungspflicht?
    • Aufklärungsgrundlage
      • Eine Aufklärungspflicht kann sich ergeben aus
        • Gesetz oder
        • Vertrags- bzw. Vertrauensverhältnis.
    • Vertrauensverhältnis bei Vertragsverhandlungen
      • Bei Vertragsverhandlungen besteht ein Vertrauensverhältnis, welches die Parteien nach Treu und Glauben verpflichtet, einander über Tatsachen zu informieren, die den Entscheid der Gegenpartei über den Vertragsabschluss oder dessen Bedingungen beeinflussen können.
    • Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht
      • Die Rechtsprechung bejaht eine Aufklärungspflicht, wenn
        • der Verkäufer annehmen muss, eine ihm bekannte Tatsache könne den vom Käufer vorausgesetzten Verwendungszweck
          • vereiteln,
          • erheblich beeinträchtigen oder
          • sei für diesen sonst von Bedeutung,
            • weil sie beeinflussen könnte:
              • den Entscheid über den Vertragsabschluss oder
              • die Vertragskonditionen.
      • Die Aufklärungspflicht kann sich nicht nur auf Eigenschaften beziehen, die sich auf den Preis auswirken, sondern auf alle, die für den Kaufentscheid wichtig sind.
    • BGZ zur Aufklärungspflicht
      • Das BGZ bejahte die Aufklärungspflicht, weil die Skulptur mit einem von Yves Klein geschaffenen Sockel wesentlich werthaltiger sei als mit einem posthumen Sockel.
    • OGZ zur Aufklärungspflicht
      • Das OGZ verneinte die Aufklärungspflicht, weil der Nachweis einer grossen Wertdifferenz und eines damit verbundenen schweren Mangels nicht erbracht worden sei.
    • Käufer-Rügen
      • Argument der immaterielle Objekt-Authentizität
        • Die Käuferin rügte, für sie habe die immaterielle Authentizität im Vordergrund gestanden, bei deren Fehlen per se ein schwerwiegender Mangel vorliege.
        • Die Käuferin zeigte aber nicht auf, dass dies auch für die Frage gelte, wer den Sockel angebracht habe.
      • Argument des Kunsthändler-Fachwissens
        • Die Käuferin brachte sodann vor, von der Verkäuferin als gewerbsmässiger Kunsthändlerin sei angesichts des Informationsgefälles eine genaue Katalogbeschreibung zu erwarten gewesen.
        • Die Rechtsprechung berücksichtigt hier:
          • nur den aktuellen Wissensstand zur Authentizität;
          • lediglich beschränkte Anforderungen an die Beschreibung im Auktionskatalog, angesichts der Vielfalt des angebotenen Auktionsgutes bei Kunstauktionen.
        • Die Käuferin legte zudem nicht dar, wie die Verkäuferin hätte erkennen müssen, dass die Urheberschaft des Sockels für sie von derartiger Relevanz war, zumal dieser Aspekt für die Preisbestimmung auf dem Kunstmarkt offenbar nicht von erheblicher Bedeutung zu sein scheint.
    • Prinzip von Treu und Glauben bei der Aufklärungspflicht
      • Bei der Aufklärungspflicht gilt grundsätzlich das Prinzip von Treu und Glauben.
      • Ein unredliches Verkäuferverhalten wurde nicht festgestellt.
    • Wichtigkeit des Sockels für die Käuferin
      • Von der Käuferin wären Nachfragen über die Urheberschaft des Sockels zu erwarten gewesen, wenn ihr dieser Aspekt, was die Verkäuferin nicht wusste, derart wichtig war.

Das OGZ verletzte kein Bundesrecht, indem es die Aufklärungspflicht verneinte.

Zusammengefasst kam das BGer zu folgendem Fazit:

  • Keine Aufklärungspflicht
    • Die Verkäuferin traf keine Aufklärungspflicht über die Tatsache, dass der Sockel (Metallständer) der Skulptur nicht vom Künstler selbst stammte, sondern erst nach seinem Tod angebracht worden war.
  • Eigenes Käufer-Nachfragen erforderlich
    • Von der Käuferin wird grundsätzlich erwartet, dass sie über Umstände, die für ihren Kaufentscheid ausschlaggebend sind, durch Nachfragen Informationen selbst einholt.
      • Sie konnte nicht darauf vertrauen, dass die Verkäuferin von sich aus darüber aufklärt.

Entscheid

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
  2. Die Gerichtskosten von Fr. 5’000.– werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
  3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6’000.– zu entschädigen.
  4. (Mitteilungen)

BGer 4A_42/2021 vom 05.07.2021

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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