Bei der absichtlichen Täuschung wird ein Vertragsschliessender von der Gegenpartei oder von einem Dritten durch gewollte Irreführung zum Vertragsabschluss verleitet:
Begriff
- Absichtliche Täuschung = Verfälschung der Willensbildung durch absichtliche und widerrechtliche Irreführung
Grundlage
- OR 28
- Weitere Sonderbestimmungen
- OR 192 Abs. 3
- OR 199
- OR 203
- VVG 4-8 (Versicherungsvertragsgesetz)
Zweck
- Schutz der Willensfreiheit
Wirkung der Täuschung
- Die Täuschung verursacht bei der getäuschten Partei einen Motivirrtum oder hält diesen aufrecht
Anfechtung des Vertrages
- Die Vertragsanfechtung aufgrund absichtlicher Täuschung ist auch dann möglich, wenn der Irrtum ein unwesentlicher ist
Wirkung der Anfechtung
- Der Vertrag wird für den Getäuschten einseitig unverbindlich
Schranken der Vertragsfreiheit
- Die Möglichkeit, Verträge aufgrund von absichtlicher Täuschung nach OR 28 anzufechten, kann vertraglich nicht wegbedungen werden
Voraussetzungen
Täuschungshandlung
- Täuschung durch aktive Handlung
- Vorspiegelung falscher Tatsachen
- Unterdrückung vorhandener Tatsachen
- Tatsachen
- Begriff
- Tatsachen sind objektiv feststellbare Zustände, Ereignisse tatsächlicher Art oder rechtlicher Art.
- Inhalt
- Tatsachen betreffen
- Innere Umstände oder
- Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei
- Äussere Umstände
- Zahlungswille der Gegenpartei
- Innere Umstände oder
- Tatsachen betreffen
- Begriff
- Form der Täuschungshandlung
- Täuschungshandlungen können ausdrücklich oder konkludent erfolgen
- Schweigen als Täuschungshandlung
- Irrtum muss für den Schweigenden erkennbar sein
- Schweigender ist aufklärungspflichtig aufgrund Vertrag, Gesetz, Grundsatz von Treu und Glauben oder der herrschenden Anschauung (vgl. BGE 117 II 218 E. 6)
Täuschungsabsicht
- Wissen
- Täuschender weiss, dass er dem Vertragspartner falsche Tatsachen vorspiegelt oder vorhandene Tatsachen unterdrückt
- Willen
- Täuschender will oder nimmt zumindest in Kauf, dass seine Handlung beim Vertragspartner zu einem Irrtum führt
- Vorsatz
- Fahrlässigkeit genügt nicht
- Aber Haftung aus culpa in contrahendo oder allenfalls Geltendmachung eines Grundlagenirrtums möglich
- Fahrlässigkeit genügt nicht
Widerrechtlichkeit
- Die Täuschungshandlung muss widerrechtlich sein
- Es dürfen keine Rechtfertigungsgründe vorhanden sein
Täuschung durch Dritte
Hintergrund
- Kannte der Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die von einem Dritten absichtlich verübte Täuschung der Gegenpartei oder hätte er sie kennen sollen, so kann die getäuschte Gegenpartei den Vertrag anfechten
Grundlage
- OR 28 Abs. 2
Dritte
- Dritte können grundsätzlich alle Personen sein, die nicht Vertragspartner des Getäuschten sind
- Handlungen dieser Personen werden dem Vertragspartner zugerechnet (Anwendung von OR 28 Abs. 1)
- BGE 108 II 419 E. 5
- Handlungen dieser Personen werden dem Vertragspartner zugerechnet (Anwendung von OR 28 Abs. 1)
- Abschlussgehilfen oder Vertreter sind keine Dritten
Fahrlässigkeit
- Fahrlässigkeit des Vertragspartners genügt
- Vgl. Wortlaut von OR 28 Abs. 2 „hätte kennen sollen“
Wenn Dritter Täuschung nicht kannte
- OR 28 Abs. 2 greift nicht, wenn der Vertragspartner die Täuschung des Dritten nicht kannte und nicht kennen sollte
- Getäuschte kann gegebenenfalls ein Irrtum gelten machen
- OR 23 ff.
Unwahre Angaben bei der Beantwortung von Fragen
Hintergrund
- Das Recht der einen Partei auf wahrheitsgetreue Beantwortung wird durch das Persönlichkeitsrecht des anderen bei Fragen im Zusammenhang mit persönlichen Lebenssachverhalten beschränkt
Grundlagen
- Art. 27 ff. Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB; SR 210)
- Art. 4 Abs. 2 Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG; 235.1)
Anwendungsfälle
- Fragen zur Konfession
- Fragen zur Schwangerschaft
- Fragen zur Parteizugehörigkeit
- Fragen über Krankheiten
Anspruch auf wahrheitsgetreue Beantwortung
- Gegenpartei hat Anspruch auf wahrheitsgetreue Beantwortung, falls Information von unmittelbarem und objektivem Interessen hinsichtlich des geplanten Vertragsschlusses ist
Gesetzestext
Art. 28 F. Mängel des Vertragsabschlusses / II. Absichtliche Täuschung
II. Absichtliche Täuschung
1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2 Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
Literatur
- Huguenin Claire, Die absichtliche Täuschung durch Dritte – Art. 28 Abs. 2 OR, SJZ 1999, S. 261 ff.
- Furrer Daniel / Müller-Chen Markus, Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Schulthess (Zürich), Zürich 2012, S. 197 ff.
Judikatur
- Zur Tragweite des Persönlichkeitsschutzes eines Stellenbewerbers
- Zu Schweigen als Täuschungshandlung
- Zur Haftung für Täuschungshandlungen eines Abschlussgehilfens