Der Grundlagenirrtum bildet einen qualifizierten Motivirrtum, ist dadurch wesentlich und berechtigt zur Anfechtung des Vertrages:
Begriff
- Grundlagenirrtum = qualifizierter, wesentlicher Motivirrtum
Grundlage
- OR 24 Abs. 1 Ziffer 4
Abgrenzung zum einfachen Motivirrtum
- Im Gegensatz zum einfachen Motivirrtum ist der Grundlagenirrtum wesentlich
- vgl. OR 24 Abs. 1 Ziffer 4
- Der Grundlagenirrtum berechtigt zur Anfechtung des Vertrages
- vgl. OR 23
Qualifizierende Merkmale
- Die qualifizierenden Merkmale ergeben sich aus OR 24 Abs. 1 Ziffer 4
- Danach muss der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betreffen, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde
Vorgestellter Sachverhalt des Irrenden
- Der vom Irrenden vorgestellte Sachverhalt, kann sich auf Umstände beziehen, die innerhalb oder ausserhalb des Vertrages liegen
- Innerhalb des Vertrages liegende Umstände
- Körperliche Eigenschaften
- Anwendungsfall
- Echtheit einer Statue
- Anwendungsfall
- Körperliche Eigenschaften
- Rechtliche Eigenschaften
- Anwendungsfall
- Baumöglichkeit auf einem Grundstück
- Anwendungsfall
- Ausserhalb des Vertrages liegende Umstände
- Hängen mit dem Zweck oder Risiko des Vertrages zusammen
- Anwendungsfall
- Zahlungsfähigkeit des Vertragspartners
- Anwendungsfall
- Hängen mit dem Zweck oder Risiko des Vertrages zusammen
- Innerhalb des Vertrages liegende Umstände
- Gegenwärtige oder vergangene Sachverhalte
- Grundlage des Irrtums müssen grundsätzlich gegenwärtige oder vergangene Sachverhalte sein
- Zukünftige Sachverhalte
- Zukünftige Sachverhalte spielen nur unter folgenden Voraussetzungen eine Rolle
- Eine Partei nimmt an, dass zukünftiges Ereignis sicher ist
- Gegenpartei erkennt nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, dass diese Sicherheit Voraussetzung dafür war, dass die andere Partei den Vertrag abgeschlossen hat
- BGE 118 II 297
- BGer 4C.236.2002
- BGE 109 II 105
- Keine Beachtung zukünftiger Sachverhalte
- Wenn Unsicherheiten oder hohes Risiko in Kauf genommen wird
- Wenn Erwartung auf Hoffnung und Spekulation gründet
- zB Aktienhandel
- Zukünftige Sachverhalte spielen nur unter folgenden Voraussetzungen eine Rolle
Voraussetzungen des Grundlagenirrtums
- Die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein:
- die subjektive Wesentlichkeit
- Der Irrende muss von einem Sachverhalt ausgegangen sein, der die notwendige Grundlage für den Vertragsschluss darstellte
- D.h. hätte der Irrende die korrekten Umstände gekannt, hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen
- die objektive Wesentlichkeit
- Begriff der objektiven Wesentlichkeit
- Objektive Wesentlichkeit liegt vor, wenn der vom Irrenden vorgestellte Sachverhalt auch im loyalen Geschäftsverkehr von einem durchschnittlichen Dritten nach Treu und Glauben als notwendige Grundlage für den Vertragsschluss aufgefasst werden durfte
- Beurteilung der objektiven Wesentlichkeit
- Die objektive Wesentlichkeit wird nach Ermessen des Richters beurteilt (vgl. ZGB 4)
- Begriff der objektiven Wesentlichkeit
- die Erkennbarkeit der Wesentlichkeit
- Gegenpartei war die Notwendigkeit der wesentlichen Grundlage für den Vertragsabschluss nach Treu und Glauben erkennbar
- Die Erkennbarkeit der Wesentlichkeit ist zwingend erforderlich
- BGE 110 II 293 E. 5
- Voraussetzung der Erkennbarkeit hat ihre Grundlage in Treu und Glaube
- BGE 97 II 43 E. 2
- die subjektive Wesentlichkeit
Verhältnis zur Vertragsanpassung bei veränderten Umständen
- Konkurrenz
- Vertragsanpassungen aufgrund veränderter Umstände (clausula rebus sic stantibus), die zu einem offenbaren Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung führen, konkurrieren mit dem Grundlagenirrtum über künftige Tatsachen
- Unterschiedliche Rechtsfolgen:
- Clausula rebus sic stantibus
- Auflösung des Vertrages oder
- Aufrechterhaltung unter Anpassung des Vertrages
- Grundlagenirrtum über künftige Tatsachen
- Einseitige Vertragsaufhebung (ex tunc) und Rückabwicklung erbrachter Leistungen
- Clausula rebus sic stantibus
Literatur
- Adams Michael, Der Irrtum über „künftige Sachverhalte“. Anwendungsbeispiel und Einführung in die ökonomische Analyse des Rechts, recht 1986, S. 14 ff.
- Furrer Daniel / Müller-Chen Markus, Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Schulthess (Zürich), Zürich 2012, S.176 ff.
- Heiz Christoph, Grundlagenirrtum (Diss.), Zürich 1985
Judikatur
- Zu zukünftigen Sachverhalte
- BGE 118 II 297
- BGer 4C.236.2002
- BGE 109 II 105
- Bei spekulativen Geschäften
- Zur Erkennbarkeit der Wesentlichkeit
- Erkennbarkeit nach Treu und Glaube