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Öffentliches Personalrecht / Arbeitsrecht

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Freistellung von behördenintern unzuständiger Instanz: Kein schwerwiegender Mangel mit Nichtigkeitsfolge

Datum:
21.11.2023
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Öffentliches Personalrecht, Arbeitsrecht
Thema:
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Stichworte:
Freistellungsentscheid, Nichtigkeitsfolge, Öffentliches Personalrecht, schwerwiegender Mangel
Entscheid:
BGer 8C_450/2022
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Öffentliches Personalrecht: Infolge bezahlten «Freistellungslohns» keine vermögensrechtliche Angelegenheit

Sachverhalt

Der 1965 geborene Dr. phil. A.________ schloss am 16. November 2016 mit dem Kanton Basel-Stadt, Präsidialdepartement (nachfolgend PD), einen öffentlich-rechtlichen Arbeitsvertrag ab:

  • Unbefristetes Arbeitsverhältnis als Museumsdirektor des B.________ ab 01. Juni 2017.

Mit neuem Arbeitsvertrag vom 27. November 2017:

  • Verlängerung der Probezeit um sechs Monate

Am 14. Januar 2020 erfolgte eine Vereinbarung betreffend Arbeitsverhältnis zwischen dem Kanton Basel-Stadt, PD, als Arbeitgeber und A.________ als Arbeitnehmer, beide anwaltlich vertreten, wobei die Vereinbarung im Wesentlichen folgenden Inhalt hatte:

  • Ziffer 1
    • «Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung spätestens per 31. März 2022. Das Arbeitsverhältnis wird über diesen Termin hinaus (unter Vorbehalt von Ziffer 2 hiernach) nicht verlängert, insbesondere auch nicht aufgrund erneuter Krankheit, Unfall etc. auf Seiten des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber ist, falls er es im Interesse des B.________ bzw. des Präsidialdepartements für erforderlich erachtet, berechtigt, den Arbeitnehmer einseitig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses (31. März 2022) freizustellen, d.h. von der Pflicht zur Arbeitsleistung zu befreien. Eine entsprechende Freistellung soll jedoch grundsätzlich frühestens nach Abschluss der Supervision bzw. nach deren Abbruch erfolgen. Der Arbeitnehmer erklärt sich damit ohne Vorbehalt einverstanden. Die Parteien würden sich zu diesem Zeitpunkt um eine gemeinsam abgesprochene Kommunikation bemühen.»
  • Ziffer 2
    • Die Ziffer 2 sah vor, dass, sollten die Parteien zu einem späteren Zeitpunkt in Abweichung zur Vereinbarung eine weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers über den genannten Termin hinaus wünschen, eine entsprechende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mittels entsprechender schriftlicher Vereinbarung geregelt würde.

Das Arbeitsverhältnis entwickelte sich weiter wie folgt:

  • Unter Regierungspräsidentin C.
    • Anlässlich einer Sitzung vom 6. August 2020 sprach die damalige Vorsteherin des PD, Regierungspräsidentin C.________, unter Berufung auf die getroffene Vereinbarung vom 14. Januar 2020 mündlich per sofort die Freistellung von A.________ aus.
    • Mit Verfügung vom 15. September 2020 stellte sie fest, die Vereinbarung vom 14. Januar 2020 sei in zulässiger Weise umgesetzt worden.
    • Im folgenden Rekursverfahren hob das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit unangefochten gebliebenem Urteil vom 13. April 2021 in teilweiser Gutheissung des Rekurses von A.________ die Feststellungsverfügung des PD vom 15. September 2020 auf und stellte fest, dass die am 6. August 2020 mündlich mitgeteilte Freistellung bzw. Befreiung von der Pflicht zur Arbeitsleistung nichtig sei.
  • Unter Regierungspräsident D.
    • Mit Schreiben vom 8. Juli 2021 gewährte der nachfolgende Vorsteher des PD, Regierungspräsident D.________, das rechtliche Gehör zu einer geplanten Freistellungsverfügung. A.________ liess sich mit Stellungnahme vom 30. Juli 2021 vernehmen.
    • Am 3. September 2021 liess er beim Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt gegen das PD eine Aufsichtsrechtliche Anzeige und Rechtsverzögerungsbeschwerde einreichen, die zuständigkeitshalber dem Appellationsgericht zum Entscheid überwiesen wurde.
    • Mit Verfügung vom 28. Oktober 2021 erkannte der Vorsteher des Gesundheitsdepartements als Stellvertreter des in den Ausstand getretenen Vorstehers des PD, dass A.________ bis zum 31. März 2022 von der Arbeitsleistung im B.________ freigestellt werde, dass er bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche Ferien zu beziehen sowie Überstunden zu kompensieren habe und dass einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen werde.
    • Die dagegen beim Regierungsrat am 8. November 2021 erfolgte Rekursanmeldung wurde wiederum zuständigkeitshalber dem Appellationsgericht überwiesen.

Prozess-History

  • Appellationsgericht Basel-Stadt
    • Das Appellationsgericht beurteilte die Rechtsverzögerungsbeschwerde und den Rekurs gegen die Freistellungsverfügung in getrennten Verfahren.
    • Mit Urteil vom 25. Mai 2022 wies es den Rekurs gegen die Freistellungsverfügung vom 28. Oktober 2021 ab, wobei es auf eine am 19. Mai 2022 erfolgte Noveneingabe nicht eintrat.
  • Bundesgericht
    • Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde lässt A.________ beantragen, in Aufhebung des Urteils vom 25. Mai 2022 sei festzustellen, dass die Freistellungsverfügung vom 28. Oktober 2021 rechtswidrig sei, eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Aus den Erwägungen des Bundesgerichts

Es soll kurz auf die hier wesentlich erscheinenden Erwägungen eingegangen werden:

  • Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
    • Streitgegenstand
      • Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Rekursverfahrens war die mit Verfügung des PD vom 28. Oktober 2021 angeordnete Freistellung des Beschwerdeführers. … Der Beschwerdeführer beantragte vor Bundesgericht, in Aufhebung des angefochtenen kantonalen Urteils sei die Rechtswidrigkeit der Freistellungsverfügung festzustellen. Nicht beantragt wurde eine Weiterbeschäftigung über den 31. März 2022 hinaus. (vgl. Erw. 2.2)
    • Freistellung
      • Die Freistellung entbindet einen Arbeitnehmenden während deren Dauer bei voller Lohnzahlung von der Pflicht zur Arbeitsleistung.
    • Vermögensrechtliche Streitigkeit mit Nichtigkeitsfolge
      • Da dem Beschwerdeführer – unbestrittenermassen – während der Freistellung bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses der volle Lohn ausgerichtet wurde, beschlägt die Frage der Rechtmässigkeit der Freistellung keine vermögensrechtliche Angelegenheit (vgl. Erw. 2.3. + 2.4.)
    • Fehlerhafter Entscheid?
      • Den Nichtigkeitsgrund sieht der Beschwerdeführer darin, dass das PD die Aufhebungsvereinbarung mit ihm in funktioneller oder sachlicher Unzuständigkeit, d.h. ohne Genehmigung durch den Gesamtregierungsrat, abgeschlossen habe. (vgl. Erw. 2.4.1.)
    • Bundesgerichtliche Rechtsprechung
      • Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind fehlerhafte Entscheide im Sinne der Evidenztheorie nichtig,
        • wenn sie mit einem tiefgreifenden und wesentlichen Mangel behaftet sind;
        • wenn dieser schwerwiegende Mangel offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und
        • wenn die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird
      • Vgl. Erw. 2.4.2.
    • Inhaltliche Mängel eines Entscheids?
      • Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit:
        • Als Nichtigkeitsgründe fallen in Betracht:
          • funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde;
          • krasse Verfahrensfehler.
        • Die Nichtigkeit eines Entscheids ist jederzeit und von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden von Amtes wegen zu beachten.
        • Vgl. Erw. 2.4.2.
    • Von einer unzuständigen Behörde erlassener Entscheid
      • Ein von einer unzuständigen Behörde erlassener Entscheid ist nicht im Sinne eines allgemeinen Grundsatzes per se nichtig.
      • Für eine Nichtigkeit des Entscheids müssen laut BGer die drei vorgenannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
        • Besonders schwerwiegender Mangel;
        • Offensichtliche oder zumindest leichte Erkennbarkeit;
        • Keine ernsthafte Gefährdung der Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit.
      • Vgl. Erw. 2.4.2.
    • Fehlende offensichtliche Nichtigkeit im konkreten Fall
      • Kein besonders schwerwiegender Mangel
        • Abschluss der Aufhebungsvereinbarung mit Arbeitgeber und unter gleichen Parteien
        • Keine Absprechung der Rechtswirkungen des Rechtsakts vom 14. Januar 2020 nach mehr als drei Jahren der Anwendung.
      • Keine Offensichtlichkeit oder leichte Erkennbarkeit
        • Gegen das Vorliegen eines offensichtlichen oder zumindest leicht erkennbaren Mangels spricht der Umstand,
          • dass der im Nachhinein geltend gemachte Fehler der Aufhebungsvereinbarung bei deren Abschluss den anwaltlich vertretenen Parteien entgangen ist.
      • Keine Gefährdung der Rechtssicherheit
        • Der Beschwerdeführer konnte nicht das Vorliegen einer vermögensrechtlichen Streitigkeit begründen (volle Lohnzahlung während der Freistellungszeit; siehe oben).
      • Vgl. Erw. 2.4.3. + 2.4.4.
  • Subsidiäre Verfassungsbeschwerde
    • Zu prüfen blieb die Zulässigkeit der Beschwerde als subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) (vgl. Erw. 3).
    • Mangels grundsätzlicher Bedeutung der zu beurteilenden Fragestellung lag deren Beantwortung laut BGer nicht im öffentlichen Interesse. (vgl. 3.4.2.)
  • Fazit
    • Auf die Beschwerde war daher weder unter dem Titel der «Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten», noch unter demjenigen der «subsidiären Verfassungsbeschwerde» einzutreten.

Entscheid des Bundesgerichts

  1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
  2. Die Gerichtskosten von Fr. 2’000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
  3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht und dem Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

BGer 8C_450/2022 vom 30.03.2023

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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