von
Urs Bürgi
Rechtsanwalt und Inhaber des zürch. Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes
Einleitung
Bei der Gründung einer juristischen Person (AG, GmbH) werden in der Regel vor deren Eintragung im Handelsregister (HR) Verpflichtungen begründet – Verpflichtungen, die inskünftig von der Gesellschaft übernommen werden sollen. Nachfolgend wird dargelegt, wie und wann diese Verpflichtungen übergehen bzw. nicht übergehen.
Agenda
- Einleitung
- Vor der Eintragung der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen
- Schuldübergang
- Schutz der Vertragsgegner
- Umfang der Verbindlichkeiten
- Solidarische Haftbarkeit der Gründer
- Bedingtes Vorgehen für Haftungsschutz
- OR 156 oder Culpa in contrahendo
- Befreiung durch die Gesellschaft
- Drei-Monatsfrist
- Ablauf der Drei-Monatsfrist
- Verpflichtungen ohne Übernahmeerfordernis
- Kein Übernahmeanspruch
- Fazit
- Gesetzesbestimmungen
- Weiterführende Informationen
Vor der Eintragung der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen
Zwischen Gründungsabsicht und Handelsregistereintrag der zu gründenden Gesellschaft sind die Gründer bereits vertraglich verbunden (einfache Gesellschaft, sog. «Gründungsgesellschaft») und gehen häufig im Hinblick auf die Gründung erste Verpflichtungen ein.
Schuldübergang
Übernimmt die Gesellschaft innerhalb von drei Monaten nach ihrer Eintragung im Handelsregister Verpflichtungen, die ausdrücklich in ihrem Namen eingegangen wurden, so werden die Gründer befreit und es haftet nur die Gesellschaft (vgl. OR 645 Abs. 2 (AG) bzw. OR 779a Abs. 2 (GmbH)).
Schutz der Vertragsgegner
Ziel von OR 645 (AG) und OR 779a (GmbH) ist es, ein Handeln der rechtlich noch nicht zur Entstehung gelangten Gesellschaft möglichst einzuschränken und die Vertragsgegner der für Gesellschaft handelnden Personen zu schützen.
Umfang der Verbindlichkeiten
Obwohl die Bestimmungen von OR 645 (AG) und OR 779a (GmbH) nur von «haften» oder von «Verpflichtungen» sprechen, erfassen diese Normen nicht nur Verbindlichkeiten, sondern auch Rechte und ganze Vertragsverhältnisse wie
- Arbeitsverträge mit künftigen Mitarbeitern;
- Mietverträge über künftige Geschäftsräumlichkeiten;
- Bestellungen und Montageverträge für die Betriebseinrichtungen;
- Lieferverträge für die ersten Produkte;
- usw.
Solidarische Haftbarkeit der Gründer
Da die Gesellschaft als juristische Person vor ihrer Eintragung im Handelsregister die Rechtspersönlichkeit nicht erwirbt,
- bestimmen OR 645 Abs. 1 (AG) bzw. OR 779a Abs. 1 (GmbH) zwingend die solidarische Haftbarkeit der für sie handelnden Personen;
- spielt es keine Rolle, ob der Partner des im Namen der künftigen Gesellschaft Handelnden weiss, dass die Gesellschaft erst in Entstehung begriffen ist.
Bedingtes Vorgehen für Haftungsschutz
Der für die künftige Gesellschaft rechtsgeschäftlich Handelnde kann sich vor der Haftbarkeit gemäss OR 645 Abs. 1 (AG) bzw. OR 779a Abs. 1 (GmbH) schützen, indem er das betreffende Rechtsgeschäft von der Suspensivbedingung abhängig macht, dass
- erstens die Gesellschaft überhaupt entsteht und
- zweitens das Geschäft genehmigt.
OR 156 oder Culpa in contrahendo
Bei gegebenen Voraussetzungen kann ein so handelnder Gründer immer noch gestützt auf OR 156 oder aus culpa in contrahendo haftbar werden,
- wenn er die Entstehung der Gesellschaft wider Treu und Glauben verhindert.
Befreiung durch die Gesellschaft
Befreiung ohne Mitwirkung der Gesellschaft
Ohne externe Mitwirkung tritt die Befreiung der gemäss OR 645 Abs. 1 (AG) bzw. OR 779a Abs. 1 (GmbH) Haftenden automatisch ein,
- wenn die Gesellschaft innerhalb von drei Monaten nach ihrer Eintragung das Rechtsgeschäft übernimmt.
Befreiung durch ausdrückliche Übernahme der Gesellschaft
Übernimmt die neu gegründete Gesellschaft binnen drei Monaten nach ihrer Eintragung im Handelsregister die Rechtsgeschäfte, so
- ist für den Übernahmebeschluss der Verwaltungsrat (VR) die GmbH-Geschäftsführungzuständig;
- muss der Übernahmebeschluss den Gegenparteien der durch die Gründer geschlossenen Rechtsgeschäfte zur Kenntnis gebracht werden.
Konkludente Übernahme durch die Gesellschaft
Auch ein konkludentes Verhalten der Gesellschaft kann genügen (Beispiel: Vorbehaltlose Erfüllung der Rechtsgeschäfte).
Drei-Monatsfrist
Die Drei-Monatsfrist zur Übernahme nach OR 645 Abs. 2 (AG) bzw. OR 779a Abs. 2 berechnet sich ab dem Datum der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister.
Ablauf der Drei-Monatsfrist
Ist die Drei-Monatsfrist verstrichen,
- kann eine die handelnden Gründer befreiende Schuldübernahme nur mit Zustimmung des Geschäftspartners erfolgen.
Verpflichtungen ohne Übernahmeerfordernis
Keine Übernahme gemäss OR 645 Abs. 2 (AG) bzw. OR 779a Abs. 2 (GmbH) ist für diejenigen Rechtsgeschäfte erforderlich, welche für die Gründung der neuen Gesellschaft unmittelbar notwendig sind:
- Beauftragung der Urkundsperson im Namen der zu gründenden Gesellschaft zur Vornahme der Gründungsformalitäten,
-
- mit der Folge, dass die Gesellschaft nach ihrer HR-Eintragung für die Beurkundungs- und Handelsregister-Gebühren auch ohne Übernahmeerklärung haftbar ist.
- Übernahme der Rechtsgeschäfte nach den Vorschriften über die Sacheinlagegründung,
-
- welche in die Statuten der Gesellschaft aufgenommen wurden.
Kein Übernahmeanspruch
Weder die im Namen der noch nicht eingetragenen Gesellschaft handelnden Gründer noch die Geschäftspartner haben gegenüber der Gesellschaft einen Anspruch darauf, dass diese ihre Verpflichtungen aufgrund von OR 645 Abs. 2 (AG) bzw. OR 779a Abs. 2 (GmbH) übernimmt:
- Unterbleibt die Befreiung, so verbleibt es bei der Haftbarkeit der handelnden Gründer, gestützt auf OR 645 Abs. 1 (AG) bzw. OR 779a Abs. 1 (GmbH).
Im konkreten Einzelfall ist zu entscheiden, ob dem Geschäftspartner der Gründer zusteht:
- das Recht, sich auf die Unverbindlichkeit des Vertrags wegen Irrtums in der Person des Vertragspartners zu berufen (vgl. OR 24 Abs. 1 Ziffer 2);
- Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber der die Rechtsgeschäfte-Übernahme verweigernden Gesellschaft.
Fazit
Gründern ist zu empfehlen, sich beim Zeitmanagement auch die sog. «Drei-Monatsfrist» vorzumerken, um nicht die Haftungsbefreiung zu verpassen.
Denkbar ist ein Zerwürfnis mit den andern Gründern, welches dazu führen könnte, dass die Schuld-Befreiung nach Ablauf der «Drei-Monatsfrist» auf Seiten der gegründeten Gesellschaft nicht mehr gewährt wird.
Gesetzesbestimmungen
Aktiengesellschaft (AG)(OR 645)
III. Vor der
Eintragung eingegangene Verpflichtungen
Art. 645 OR
1 Ist vor der Eintragung in das Handelsregister im Namen der Gesellschaft gehandelt worden, so haften die Handelnden persönlich und solidarisch.
2 Wurden solche Verpflichtungen ausdrücklich im Namen der zu bildenden Gesellschaft eingegangen und innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Eintragung in das Handelsregister von der Gesellschaft übernommen, so werden die Handelnden befreit, und es haftet nur die Gesellschaft.
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)(OR 779a)
II. Vor der Eintragung eingegangene Verpflichtungen
Art. 779a OR
1 Personen, die vor der Eintragung ins Handelsregister im Namen der Gesellschaft handeln, haften dafür persönlich und solidarisch.
2 Übernimmt die Gesellschaft innerhalb von drei Monaten nach ihrer Eintragung Verpflichtungen, die ausdrücklich in ihrem Namen eingegangen werden, so werden die Handelnden befreit, und es haftet nur die Gesellschaft.
Verhinderung wider Treu und Glauben (OR 156)
II. Verhinderung wider Treu und Glauben
Art. 156 OR
Eine Bedingung gilt als erfüllt, wenn ihr Eintritt von dem einen Teile wider Treu und Glauben verhindert worden ist.
Weiterführende Informationen
- Gründungsgesellschaft
- Start-up
- Erfolgsfaktoren
- Allgemein
- GmbH-Gründung
- Schuldübernahme
- AG-Verwaltungsrat
- GmbH-Geschäftsführung
- Suspensivbedingung
- Culpa in contrahendo
- Erklärungsirrtum nach OR 24 Abs. 1 Ziffer 2
- Gerichtsentscheid
- BGer 4A_377/2023 vom 19.01.2024