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Strafverteidiger: Strafanzeigen-Rückzugsanfrage bei Geschädigter keine «Parteibefragung» und damit zulässig

BGFA 12 lit. a; StGB 177 + StGB 144

Datum:
30.01.2025
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Strafprozessrecht, Anwälte / Mediatoren, Strafverteidiger
Thema:
Strafverteidiger
Stichworte:
Geschädigter, Parteibefragung, Rückzugsanfrage, Strafanzeigen, Strafverteidiger
Erlass:
BGFA 12 lit. a; StGB 177 + StGB 144
Entscheid:
Aufsichtskommission über die ­Anwältinnen und Anwälte, ­Basel-Stadt, Entscheid vom 15.04.2024, AK.2024.6
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Ein Strafverteidiger schrieb einer Geschädigten, um nachzufragen, ob sie den Strafantrag zurückziehen wolle. Das stellt gemäss der «Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte Basel-Stadt» keine unzulässige Privatbefragung dar.

Sachverhalt

Ein Basler Advokat vertrat seine Mandantin in einem Strafverfahren, in welchem sie mittels Strafbefehl wegen verschiedener Straftaten verurteilt wurde:

  • Ausgangslage
    • Streit einer Gruppe von Frauen, offenbar alles Hundebesitzerinnen, welche es nach der Darstellung des Advokaten darauf abgesehen hatten, seiner Klientin ihren geliebten Hund behördlich weg­nehmen zu lassen.
  • Einsprache gegen Strafbefehl
    • Ende 2023 erhob der Anwalt Einsprache gegen den Strafbefehl.
  • Kontaktnahme mit einer Geschädigten
    • Kurze Zeit später schrieb der Advokat an eine der Geschädigten eine E-Mail und erklärte ihr, dass seine Mandantin aufgrund ihrer Epilepsie und einer schweren Störung arbeitsunfähig sei und sich an den Vorfall nicht zu erinnern vermöge.
  • Entschuldigung und Aufforderung zum Strafantragsrückzugs
    • Er entschuldigte sich im Namen seiner Mandantin und bat die Geschädigte K., den Strafantrag zurückzuziehen.
  • Strafanzeige des Staatsanwalts
    • Der Staatsanwalt sah darin einen Versuch der Zeugenbeeinflussung und zeigte den Anwalt bei der «Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte Basel-Stadt» (AK) an.

Ergebnis

Im Wesentlichen erwog die AK folgendes:

  • Anwaltstätigkeit mit rechtlich zulässigen Mitteln
    • Die berufsrechtlich gebotene Gewissenhaftigkeit von BGFA 12 lit. a verpflichtet den Anwalt, ausschliesslich mit rechtlich zulässigen Mitteln zu arbeiten.
      • Dem Anwalt ist es daher verboten, bewusst unwahre Behauptungen aufzustellen, das Gericht oder Behörden durch Auflage unrichtiger Beweismittel über einen für die Beurteilung wesentlichen Sachverhalt irrezuführenZeugen zu beeinflussen oder mit rechtswidrigen Drohungen auf die Gegenpartei oder den Gang eines Verfahrens einzuwirken (…).
  • Nicht absolut verbotener Zeugenkontakt
    • Mit der selbständigen Kontaktaufnahme mit einer Person, die als Zeuge in Betracht kommt, ist stets eine zumindest abstrakte Gefahr verbunden, dass diese im Prozess nicht mehr unvoreingenommen aussagt (…).
    • Der (vorgängige) Zeugenkontakt ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht absolut verboten:
      • Eine Kontaktnahme ist ausnahmsweise zulässig, wenn sie
        • erstens sachlich notwendig ist,
        • zweitens so ausgestaltet ist,
          • dass jede Beeinflussung vermieden wird und
          • die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch die Behörden gewährleistet bleibt, und
        • drittens die ­Befragung im Interesse des Mandanten liegt (…).
  • Gängige Praxis bei Antragsdelikten
    • Dass bei Antragsdelikten – wie vorliegend der Beschimpfung (StGB 177) und der Sachbeschädigung (StGB 177) eine Einigung mit der Antragstellerin versucht wird,
      • ist gängige Praxis und in keiner Weise zu beanstanden.
  • In casu
    • Die Absicht einer eigentlichen privaten Zeugenbefragung im Vorfeld der Befragung durch die Staatsanwaltschaft war in dieser Kontaktnahme nicht zu erkennen.
    • In der Nachricht des Rechtsanwalts wies absolut nichts darauf hin,
      • dass der verzeigte Advokat Frau K. in irgendeiner Weise aufgefordert oder gar unter Druck gesetzt hätte, den Sachverhalt anders darzustellen, als sie dies bereits getan hatte.
    • Eine unzulässige Zeugenbeeinflussung lag daher nicht vor,
      • umso mehr, als es im Nachgang zur E-Mail vom 04.01.2024 offenbar auch nicht zu einem Treffen des verzeigten Advokaten mit Frau K. kam, wie es von ihm angeboten worden war.

Ein Verstoss gegen die anwaltliche Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung (vgl. BGFA 12 lit. a) war unter diesen Umständen zu verneinen.

Aufsichtskommission über die ­Anwältinnen und Anwälte ­Basel-Stadt
Entscheid vom 15.04.2024
AK.2024.6

Art. 12 BGFA   Berufsregeln

Für Anwältinnen und Anwälte gelten folgende Berufsregeln:

  1. Sie üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus.
  2. Sie üben ihren Beruf unabhängig, in eigenem Namen und auf eigene Verantwortung aus.
  3. Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen.
  4. Sie können Werbung machen, solange diese objektiv bleibt und solange sie dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht.
  5. Sie dürfen vor Beendigung eines Rechtsstreits mit der Klientin oder dem Klienten keine Vereinbarung über die Beteiligung am Prozessgewinn als Ersatz für das Honorar abschliessen; sie dürfen sich auch nicht dazu verpflichten, im Falle eines ungünstigen Abschlusses des Verfahrens auf das Honorar zu verzichten.
  6. Sie haben eine Berufshaftpflichtversicherung nach Massgabe der Art und des Umfangs der Risiken, die mit ihrer Tätigkeit verbunden sind, abzuschliessen; die Versicherungssumme muss mindestens eine Million Franken pro Jahr betragen; anstelle der Haftpflichtversicherung können andere, gleichwertige Sicherheiten erbracht werden.
  7. Sie sind verpflichtet, in dem Kanton, in dessen Register sie eingetragen sind, amtliche Pflichtverteidigungen und im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege Rechtsvertretungen zu übernehmen.
  8. Sie bewahren die ihnen anvertrauten Vermögenswerte getrennt von ihrem eigenen Vermögen auf.
  9. Sie klären ihre Klientschaft bei Übernahme des Mandates über die Grundsätze ihrer Rechnungsstellung auf und informieren sie periodisch oder auf Verlangen über die Höhe des geschuldeten Honorars.
  10. Sie teilen der Aufsichtsbehörde jede Änderung der sie betreffenden Daten im Register mit.

Weiterführende Informationen

Direktkontakt

  • BGE 136 II 551, Erw. 3.2.1. und Erw. 3.2.2 ff.
  • Fellmann, Anwaltsrecht, 2. Auflage, Bern 2017, N 230 ff.
  • Brunner / Henn / Kriese, Anwaltsrecht, Zürich 2015, S. 88 f.

Amtlicher Verteidiger

Geschädigter

Strafprozessrecht

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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